junge Welt, 10.2.2000

Schnittmeisterin in Uniform

Hessen: Polizei manipulierte Videoaufzeichnungen von Einsätzen gegen Kurden

Seit Anfang Januar ermittelt die Gießener Staatsanwaltschaft gegen vier Polizisten der Licher (Kreis Gießen) Bereitschaftspolizei, darunter auch gegen einen Hauptkommissar und Leiter der Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit (BFE) der hessischen Bereitschaftspolizei. Gegen alle vier wird wegen Körperverletzung, Falschaussage und Strafvereitelung im Amt ermittelt, erklärte der zuständige Staatsanwalt Reinhard Hübner gegenüber jW. So soll eine Beamtin auf Anweisung des Leiters der BFE Videoaufzeichnungen der Polizei zugunsten prügelnder Kollegen manipuliert haben.

Anlaß der polizeilichen Aufzeichnungen war eine Demonstration von Kurden nach der Festnahme von PKK- Chef Öcalan im Februar 1999. Bei der Demonstration kam es in Gießen zu einer Auseinandersetzung zwischen den Demonstranten und der Polizei. Laut Staatsanwaltschaft habe die Polizistin die Videobänder dahingehend verändert, daß ihre prügelnden Kollegen nicht mehr auf dem Filmmaterial zu sehen waren. »Damit«, so Staatsanwalt Hübner, »hat die Beamtin mögliche Straftaten ihrer Kollegen verschleiern wollen und sich der Strafvereitelung schuldig gemacht.«

Die Polizisten haben auf Veranlassung ihres Chefs auch eine Falschaussage gemacht, um einen Kurden wegen angeblichen Steinewerfens vor Gericht zu bringen. Staatsanwalt Hübner: »Wir wissen inzwischen, daß der Mann zu Unrecht belastet wurde.« Daraufhin habe die Staatsanwaltschaft mehrere noch gegen Kurden anhängige Ermittlungsverfahren eingestellt. Überdies, so der Staatsanwalt, ist damit zu rechnen, daß es für bereits in dieser Sache verurteilte Kurden ein Wiederaufnahmeverfahren geben wird. Dem Leiter der BFE wird auch vorgeworfen, einen Fußballfan auf übelste Weise geschlagen und mißhandelt sowie einen weiteren Mann getreten zu haben. Auch dazu hätte er von seinen Untergebenen Stillschweigen verlangt. Zudem habe der Hauptkommissar über Jahre unliebsame Kollegen unbegründet beschimpft und regelrecht gemobbt, damit sie die Licher Bereitschaftspolizei verlassen.

Pikant an der Angelegenheit ist, daß der besagte Polizeibrutalo kurz vor seiner Beförderung zum Polizeirat stand. Dafür war der Mann 1998 zu Qualifizierungsmaßnahmen ins damals SPD-geführte hessische Innenministerium versetzt worden. Inzwischen ist der Hauptkommissar vom Dienst suspendiert. Die ganze Sache ins Rollen gebracht haben mehrere detailgenaue anonyme Schreiben an die Staatsanwaltschaft Gießen. »Offenbar von Kollegen«, wie der Staatsanwalt vermutet.

Till Meyer, Frankfurt/Main