Neues Deutschland 7. Februar 2000


Noch herrscht Ausnahmezustand

HADEP-Vorsitzender Ahmet Demir verlangt auch Rückkehr der vertriebenen Kurden

Ahmet Turan Demir, Vorsitzender der türkischen Partei der Demokratie des Volkes (Halk Demokrasi Partisi - HADEP), war jüngst auf einer Informationsreise durch Europa. Sie führte ihn u.a. zum Osloer Treffen des Forums der Neuen Europäischen Linken (NELF). Demir, von Beruf Lehrer, steht seit Herbst 1999 an der Spitze der prokurdischen Partei. Bei den Wahlen 1995 und 1999 erhielt HADEP in kurdischen Gebieten bis zu 50 Prozent der Stimmen, ist aber wegen der landesweiten l0-Prozent-Klausel nicht im Parlament. Sie stellt indes die Bürgermeister der größten Städte Kurdistans.

· Wie ist gegenwärtig die Situation für Ihre Partei in den kurdischen Gebieten?

Sie hat sich in den letzten Monaten entschärft. Es ist kein Vergleich zur Lage in den Jahren zuvor. Doch noch immer herrscht in den kurdischen Provinzen der Ausnahmezustand. Davon sind auch die Nachbarprovinzen betroffen. Noch immer gibt es Unterdrückung und Repression gegen das Volk und das betrifft leider auch unsere Partei. So wurden auch in den vergangenen Wochen immer wieder Funktionäre unserer Partei festgenommen.

· Hat sich das Klima geändert, nachdem ich Präsident Sitleuman Demirel mit dem Vorstand Ihrer Partei traf?

Es kann sein, dass sich dieses Treffen ausgewirkt hat. Aber auch die Tatsache, dass es seit längerem keine militärischen Auseinandersetzungen mehr gibt, wirkt sich positiv auf die gesamte Atmosphäre aus. Die Öffentlichkeit erwartet nun einen demokratischen Wandel in der Türkei und das erfordert auch eine friedliche Lösung des kurdischen Problems

· Werden Sie von anderen Parteien in der Türkei unterstützt?
Wir haben gute Beziehungen zu den außerparlamentarischen Organisationen und Parteien, in einigen Punkten arbeiten wir auch eng zusammen. Das betrifft aber nur die linken oppositionellen Kräfte. Wir haben aber auch Kontakt zu den Parteien die im Parlament vertreten sind. Seit unserer Gründung haben wir das Gespräch mit ihnen gesucht
· Die neue Demokratische Bewegung, in der auch der Exvorsitzende der Menschenrechtsvereinigung IHD, Akin Birdal, aktiv ist. versucht, die demokratischen Kräfte in der 7'ürkei zu einen. Wie stehen Sie dazu?

Die demokratischen Kräfte in der Türkei sind zersplittert - es ist nötig, alle an einem Tisch zu versammeln, um gemeinsam zu agieren. Nur wenn sie zusammenarbeiten ist es möglich, Fortschritte bei der demokratischen Entwicklung der Türkei zu erzielen. Von Anfang an war das auch unser Kurs. Die Kräfte, die ähnliche Ziele und Forderungen haben, sollten eine Art Front schaffen - die Demokratische Bewegung hat ein ähnliches Ziel. Wir werden Gespräche mit den Initiatoren führen, sie unterstützen.
· Jüngst haben einige Abgeordnete der Tugendpartei ihre Partei verlassen Sie kritisieren, dass die Tugendpartei für die Todesstrafe - und damit für die rasche Hinrichtung von Abdullah Öcalan - eintritt. Könnte von dort zulauf zu Ihrer Partei kommen?
Ja, wir haben gehört, dass die Position der Tugendpartei zur Todesstrafe bei einigen ihrer kurdischen Abgeordneten der Nationalversammlung auf Ablehnung gestoßen ist. Zwei Abgeordnete, einer aus Diyarbakir, einer aus Agri, haben die Partei verlassen. Möglich, dass die Unzufriedenheit in der Tugendpartei in den kommenden Tagen wächst und noch mehr aus der Partei austreten.
· Es gibt Bemühungen seitens der EU, Schritte zu einer Demokratisierung der Türkei zu unterstützen. wie beurteilt HADBP diese Bestrebungen?
Unsere Partei hat immer die europäische Integration der Türkei unterstützt. Das werden wir auch in Zukunft tun. Es gehört zu unseren erstrangigen Forderungen, dass die europäischen Standards auch in der Türkei Geltung erhalten. Bei jeder Gelegenheit haben wir das zur Sprache gebracht. Alle demokratischen Rechte, die Menschenrechte müssen anerkannt werden. Es müssen gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen sich eine demokratische Republik überhaupt entwickeln kann. Dabei ist es von vorrangiger Bedeutung, dass ein friedlicher Weg zur Lösung der kurdischen Frage eröffnet wird. Wir sind der Meinung, dass Europa selbst auch ein Interesse daran haben muss, dass sich demokratische Werte in der Türkei etablieren - egal ob entsprechende Initiativen vom Staat, von oppositionellen türkischen Gruppen oder von anderen Organisationen vorgebracht werden. In allen Staaten Europas leben auch kurdische Flüchtlinge und Immigranten. Diese Gruppen haben auch in Europa ihre Probleme. Wir erwarten von den europäische Regierungen, dass sie auch gegenüber diesen Gruppen ihre humanitäre Pflicht tun und die Erwartungen der Immigranten erfüllen.
· Haben Sie den Eindruck, dass die europäischen Regierungen Ihrer Partei gegenüber eher zurückhaltend sind?
Seit Gründung unserer Partei läuft in der Türkei eine Diffamierungskampagne gegen uns. Wir glauben, dass das auch an einigen Staaten in Europa nicht spurlos vorbeigegangen ist. Unsere Partei hat sich die demokratischen Werte Europas von Anfang an zu eigen gemacht. Daher erwarten wir, dass die europäischen Parteien auch uns als Gesprächspartner anerkennen und versuchen, gemeinsam mit uns zu handeln. Im übrigen haben wir bei den Immigrantengruppen aus der Türkei eine große Anhängerschaft, auch das sollten die europäischen Parteien nicht übersehen.
· Was muss sich Ihrer Meinung nach in Naher Zukunft in den kurdischen Gebieten der Türkei verändern?
Der Ausnahmezustand muss aufgehoben werden, das Dorfschützersytem muss aufgelöst werden, damit die 3,5 bis 4 Millionen Vertriebenen in ihre Heimatdörfer zurückkehren können. Das heißt konkret, Gelder müssen zur Verfügung gestellt werden und die Rückkehr muss ermöglicht werden. Vor allem aber muss sich die Demokratisierung in der kurdischen Gesellschaft wie auch in der gesamten Türkei entfalten können.


Fragen: Karin Leukefeld