junge Welt, 7.2.2000

Bundeswehr gegen Demonstranten

36. Sicherheitskonferenz: Schäuble ruft nach Militär- Polizeistaat.

Von Bernd Verter

Am Wochenende hatte Wolfgang Schäuble endlich mal wieder ein Heimspiel. Bei der 36. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik kehrte der CDU-Vorsitzende allerdings vor allem den wenig bekannten Wehrpolitiker in seiner Brust hervor. Schäuble nutzte die Chance, um vor 20 Außen- und Verteidigungsministern, Militärs und Politikern aus aller Welt seine alte Idee vom Militär-Polizeistaat zu kultivieren.

Ausweiten will er künftig vor allem die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inneren. Wenn die Bundesregierung schon mal dabei sei, das Grundgesetz für den Einsatz von Frauen in der Truppe zu verändern, dann sollten in diesem Zuge gleich neue Grundlagen für die Zusammenarbeit von Bundeswehr und Polizei geschaffen werden. Bei der derzeit laufenden Bundeswehrreform müsse eine »Erweiterung der Kompetenzen, der Austausch von Polizei und Streitkräften, die Nutzung der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei in definierten Aufgabenfeldern« auf der Tagesordnung stehen. Nutzen will Schäuble diese Verquickung bewaffneter Kräfte offiziell zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Terrorismus. Die deutsche Geschichte kennt fast nur Beispiele, bei denen Militär gegen Demonstranten oder revolutionäre Arbeiter marschierte. Ein Griff in diese Kiste schien Verteidigungsminister Rudolf Scharping noch suspekt. Er gönnte dem angeschlagenen politischen Gegner den Entlastungsschlag nicht und konterte trocken, daß eine Verfassungsänderung zur Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten nicht zur Debatte stünde. Punkt.

Im Mittelpunkt des Treffens politischer Eliten stand allerdings der offen ausgetragene Konflikt zwischen den mit Verteidigungsminister William Cohen angereisten US- Amerikanern und dem Rest der Welt. Cohen verlangte in München nicht zum ersten Mal, daß die europäischen NATO- Staaten ihre Militärausgaben endlich steigern müßten: »Man kann nicht immer nur den Haushalt zusammenstreichen und auf die Vereinigten Staaten hoffen.« Eine eigenständige Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit der in Helsinki beschlossenen Aufstellung einer 60 000-Mann-Armee könnten die USA nur unter drei Bedingungen stützen. Die Europäer müßten ihre militärischen Fähigkeiten verbessern. Die Türkei und andere Nicht-EU-Staaten dürften nicht ausgegrenzt werden. Und schließlich müßte die transatlantische Partnerschaft unteilbar sein. Den Partnern rechnete er ihr Unvermögen etwa bei der Betankung von Kampfflugzeugen während des Jugoslawien-Krieges vor.

Ebenso massiv war allerdings die Kritik mancher Generäle und Politiker an den USA. So wunderte sich der russische General Leonid Iwaschow über die »Lobgesänge« auf den Krieg der NATO-Streitkräfte gegen Jugoslawien. Der General dagegen unterstützte Äußerungen anwesender ukrainischer und schwedischer Politiker, die die Suche nach friedlichen Mitteln zur Konfliktlösung in Europa verstärken wollen. Eine Bedrohung durch die »Schurken-Staaten« Irak, Nordkorea und Libyen als Begründung für den zuvor von William Cohen angekündigten Aufbau einer US-Raketenabwehr hielt Iwaschow für vorgeschoben. Dagegen sprächen CIA- Dokumente, die eine Gefahr von dort erst in zehn bis 15 Jahren ausmachen wollten. Zudem seien die Sicherheitsinteressen dieser Länder nur auf ihre Region bezogen. Der General hielt Cohens Begründung für das Raketenprogramm für ein Märchen. In Wahrheit wäre der Schild zur Abwehr russischer und chinesischer Raketen gedacht. Das wäre ein Bruch der ABM-Verträge zur Begrenzung der strategischen Raketenrüstung. Der stellvertretende chinesische Außenminister Wang Guangya befürchtete bei Umsetzung der US-Pläne ein neues Wettrüsten.