Süddeutsche Zeitung, 5.2.2000

1757 Tage im Kirchenasyl

Eltern fliegen in ein sicheres Drittland, die Kinder bleiben

Das Ehepaar Akgüc hat die Augsburger Pfarrei "Zum guten Hirten" verlassen

Von Peter Richter

Augsburg - Der ungewöhnliche Anruf erreichte die Redaktion am Donnerstag gegen 16 Uhr. Ulli Müllegger, der Pressesprecher der Stadt Augsburg, kündigte für den Abend einen Anruf des Oberbürgermeisters an. Es handele sich um eine "wichtige Mitteilung". Drei Stunden später war das Geheimnis gelüftet: Nach genau 1757 Tagen endete in Augsburg, völlig unspektakulär, das bisher längste Kirchenasyl in Bayern.

Das Ehepaar Akgüc, christliche Assyrer türkischer Nationalität, hat Deutschland verlassen. Unbemerkt flogen die Eheleute, beide 61 Jahre alt, von Augsburg in ein "sicheres Drittland". Wohin genau, wollen weder die Stadt noch Pfarrer Siegfried Fleiner von der Pfarrei "Zum Guten Hirten" preisgeben. Auch Oberbürgermeister Peter Menacher (CSU) bat "im Interesse der Familie, keine weiteren Nachforschungen anzustellen."

Der Grund für die Geheimniskrämerei ist offensichtlich: Man möchte jedes Aufsehen vermeiden, um den Akgücs nicht die Chance zu verbauen, zumindest besuchsweise nach Deutschland zurückkommen zu dürfen. Denn - so paradox kann es im Rechtsstaat zugehen - hier leben sechs ihrer Kinder sowie etliche Geschwister, und das völlig legal. Entweder, weil sie durch Heirat oder weil sie vor 1989, dem Stichtag für Altfallregelungen, in die Bundesrepublik eingereist waren, haben sie auf Dauer ein Bleiberecht. So auch Daniyel Akgüc.

Ironie des Schicksal: Weil er schon lange in Augsburg lebt und gut deutsch spricht, dolmetscht er seit Jahren für die Ausländerbehörden in Asylverfahren. Jetzt hat er sich für einige Tage frei genommen, um seinen Bruder auf der Reise zu begleiten und ihm das Eingewöhnen in der neuen Heimat zu erleichtern.

Das Kirchenasyl der Akgücs hatte am Gründonnerstag, dem 13. April 1995 begonnen. Begleitet von ihren drei Töchtern, der 19-jährigen Suat, der ein Jahr jüngeren Istir und der 15-jährigen Semente, hatten die Eltern in der Kirche Zuflucht gesucht. Drei Jahre zuvor waren sie aus Enhil, einem Bergdorf im Tur Abdin, nach Deutschland geflohen. In seiner Heimat war der Vater in Polizeihaft gefoltert worden, weil er kurdische Terroristen unterstützt haben soll. Nach seiner Entlassung wurden ihre Nachbarn ermordet, Moslems drohten damit, ihre Töchter zu entführen. Deshalb entschlossen sich die Akgücs zur Flucht - wie viele andere Christen.

Doch in Augsburg, wo sie bei Verwandten Unterschlupf fanden, wurde ihr Asylantrag abgelehnt. Ihre Klage dagegen scheiterte vor dem Verwaltungsgericht Ansbach. Kurz vor der Abschiebung gewährte ihnen die Pfarrei "Zum guten Hirten" Kirchenasyl.