Frankfurter Rundschau, 4.2.2000

Kraftakt mit den Mullahs

Entweder wagt Staatschef Khatami den Konflikt mit den Hardlinern oder er kommt für die Geschichte des künftigen Iran zu spät

Von Detlef Franke

Man sieht sie wieder, in Restaurants, bei Geschäftstreffen und sogar auf Konferenzen: die Krawatte. Von den Mullahs nach der Revolution in Iran verboten, wird das als unislamisch verschriene Kleidungsstück wieder gesellschaftsfähig. Noch ist die Ware halblegal, doch die Wiederauferstehung des Stückchen edlen Tuchs gilt im Lande der Ayatollahs vielen als Symbol für die von Präsident Mohammad Khatami in Gang gesetzte Liberalisierung des schiitischen Gottesstaats. Diese Liberalisierung stellt auch den zentralen Streitpunkt der iranischen Politik vor den Wahlen zur Madschlis dar, dem iranischen Parlament, die am 18. Februar stattfinden. Zwar ist der eigentliche Wahlkampf auf die Woche vor dem Wahltermin begrenzt, doch stehen die politischen Ereignisse seit der Studentenrevolte vom Juli 1999 ganz im Zeichen der Parlamentswahlen. Der auch im Westen mit großem Interesse registrierte Machtkampf zwischen den konservativen Kräften um Staatsoberhaupt Ali Khamenei und den Reformern um den am 23. Mai (dem 2. Khordad) 1997 mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählten Mohammad Khatami bestimmte die politische Auseinandersetzung in Iran.

Bereits im Vorfeld der Wahlen versuchte der konservative Klerus mit Hilfe des Wächterrats und der Gerichte, prominente Kandidaten und Unterstützer Khatamis zu diskreditieren und auszuschalten. Ein Musterbeispiel war der Prozess gegen den Herausgeber der Zeitung Khordad und prominentesten Anwärter auf das Amt des Parlamentspräsidenten, Abdullah Nuri. Das Verfahren vor dem Sondergerichtshof für Geistliche wurde von Nuri zwar offensiv zur Darlegung seiner politischen Überzeugungen genutzt, endete aber im Sinne der Hardliner mit einer fünfjährigen Haftstrafe und dem Verbot politischer Aktivitäten für fünf Jahre. Damit hatte die Khamenei-Clique ihr Ziel erreicht, Nuri von der Wahl auszuschließen.

Im engeren Vorfeld der Wahl versuchte der dem geistlichen Oberhaupt Ali Khamenei nahe stehende Wächterrat wieder, bei der Auswahl der Kandidaten den Weizen von der Spreu zu trennen. Von den 6800 Anwärtern auf die 270 Sitze der Madschlis wurden 600 für unwürdig befunden, darunter viele Parteigänger Khatamis, doch kein prominenter Konservativer. Durch Manipulationen beim Wahlalter, der Wahlprozedur und den Kriterien für die Erringung eines Mandats versuchen die Konservativen weiter verzweifelt, das unausweichlich scheinende Ergebnis zu verhindern: den überwältigenden Sieg der Reformer.

Wie bei der Präsidentschaftswahl 1997 und den Kommunalwahlen von 1999 werden dabei - überraschend für einen islamischen Staat - die Frauen ein äußerst wichtiger Faktor sein. Weitgehend durch den schwarzen Schador verborgen, hat in den vergangenen Jahren in Iran ein geradezu revolutionär anmutender Wandel stattgefunden. Die Frauen drängen in öffentliche Ämter. Waren es bei den Parlamentswahlen von 1996 noch 200 weibliche Kandidaten, so bewarben sich bei den Kommunalwahlen 1999 bereits 5000 Frauen um ein Amt und 300 hatten dabei Erfolg. Heute sind über 40 Prozent der Studierenden und ein Drittel der Lehrkräfte an den Universitäten Frauen. Tausende junger Frauen, deren Eltern während des Schah-Regimes ihre Töchter nie auf eine höhere Schule oder zur Universität geschickt hätten, sind unter dem Regime der Mullahs Ingenieurinnen, Ärztinnen, Wissenschaftlerinnen, Rechtsanwältinnen, ja sogar Geistliche geworden. Diese Akademikerinnen und ihre auf die Befreiung vom Joch der Mullahs hoffenden Geschlechtsgenossinnen könnten - wie schon bei der Wahl Khatamis - den Ausschlag dafür geben, dass die Reformkräfte das bislang von den Konservativen dominierte Parlament erobern werden.

Darüber hinaus dürfte die in der iranischen Bevölkerung weit verbreitete Unzufriedenheit über die wirtschaftliche und soziale Lage des Landes das Wahlverhalten der breiten Massen maßgeblich beeinflussen. Vor allem in den Provinzen ist die Arbeitslosigkeit hoch. Doch auch die Reformer besitzen kein überzeugendes wirtschaftliches Konzept. Alle Versuche, Iran wirtschaftlich noch stärker für den Westen zu öffnen, wurden bisher von den Konservativen blockiert oder scheiterten an der Zurückhaltung Europas und der USA.

Sollte es den Reformgegnern nicht doch noch gelingen, das Wahlergebnis zu verfälschen, dürfte der zögerliche Präsident Khatami nach dem 18. Februar vor dem größten Problem seiner Amtszeit stehen. Wie kann er Iran weiter und rascher von innen reformieren, ohne gleichzeitig das gesamte System des Mullah-Regimes in Frage zu stellen, von dem er selbst ein Teil ist. Seine Anhänger und Wähler unter der studentischen Jugend, den Frauen und der aufgeklärten städtischen Bevölkerung werden, eher früher als später, die Früchte des Wahlerfolgs einfordern. So betulich, gleichsam im Schneckentempo wie bisher, kann Khatami dann nicht weiterregieren. Entweder er entschließt sich zu einem Kraftakt mit den Mullahs und springt über seinen eigenen Schatten oder er kommt, wie weiland Michail Gorbatschow in der Sowjetunion, für die Geschichte des künftigen Iran zu spät.