taz, 2.2.2000

Spaniens Rechte gibt Ausländern entscheidende Rechte

Keine Abschiebung illegaler Einwanderer ohne Richter, Legalisierung nach zwei Jahren: Konservative Regierung Aznar beschließt eines der liberalsten Ausländergesetze Europas

Madrid (taz) - Die 43 Afrikaner, die in der Nacht zu gestern an der südspanischen Küste aufgegriffen wurden, hatten Pech. Die Uhr zeigte noch vor Mitternacht, die Polizei nahm sie in Haft, um sie binnen 48 Stunden zurück auf die andere Seite der Meerenge von Gibraltar zu schicken. Nur wenig später wäre dies nicht mehr möglich gewesen. Denn gestern trat das neue spanische Ausländergesetz in Kraft. Und dieses macht Schluss mit der polizeilichen Abschiebung, der im letzten Jahr 17.000 illegal Eingereiste zum Opfer fielen.

Künftig steht jedem Immigranten an der Grenze ein Pflichtverteidiger zu. Ein Richter muss, so sieht es das neue Gesetz vor, die Abschiebung beschließen, damit sie rechtskräftig wird. Die betroffenen Immigranten bleiben während des gesamten Verfahrens, das dank der Überlastung der spanischen Justiz bis zu drei Jahre dauern kann, auf freiem Fuß. Beantragen sie in dieser Zeit erfolgreich einen der jährlich ausgeschriebenen Arbeitsplätze in der Bauindustrie, der Landwirtschaft oder als Haushaltshilfe, dürfen sie bleiben.

Auch für die bereits im Land lebenden Immigranten ohne Aufenthaltsgenehmigung sieht das neue Gesetz eine großzügige Lösung vor. Die auf bis zu 100.000 geschätzten "sin papeles" können in den Besitz der begehrten Dokumente kommen, wenn sie bereits vor dem 1. Juni 1999 in Spanien lebten und vor Montag mindestens einmal - wenn auch erfolglos - eine Arbeits- oder Aufenthaltsberechtigung beantragt haben. Lange Schlangen vor den Wachen der Ausländerpolizei waren in den letzten Wochen die Folge. Ab dem 22. Februar haben die Betroffenen zwei Monate lang die Möglichkeit, bei der Ausländerbehörde vorzusprechen und sich legalisieren zu lassen.

Wer schon legal im Lande verweilt, dem gesteht das neue Ausländergesetz die vollen Bürgerrechte zu, mit Ausnahme des Wahlrechtes. Das Gesetz sieht eine erleichterte Familienzusammenführung vor. Immigranten und ihre Kinder haben selbst dann freien Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem, wenn sie kein Einkommen haben. Eine Meldebescheinigung genügt.

Das Gesetz, das allerseits als eines der fortschrittlichsten Europas gelobt wird, wurde von einer Parlamentssonderkommission in 18-monatiger Verhandlungszeit entworfen. Obwohl der Text dort von allen Parteien für gut befunden wurde, gab es im Parlament Streit. Innenminister Jaime Mayor Oreja wollte vor allem gestrichen sehen, dass künftig Einwanderern, die unerkannt einreisen und zwei Jahre ohne Dokumente ausharren, automatisch eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zusteht. Als Beweis für die Verweildauer dienen selbst Telefonrechnungen oder Mietbescheinigungen. Diese Regelung habe einen "Rufeffekt" an die Mafia, die für bis zu 3.000 Mark pro Person Menschen in kleinen Fischerbooten von Marokko einschleuse, meinte Oreja.

Die konservative Regierungspartei Partido Popular (PP) wurde allerdings überstimmt, nachdem sie von ihrem nationalistischen Partner aus Katalonien im Stich gelassen wurde. Jetzt will Regierungspräsident José María Aznar das Werk im Falle eines erneuten Wahlsieges am 12. März in der nächsten Legislaturperiode überarbeiten lassen.

Reiner Wandler