Sindelfinger, Böblinger Zeitung, 2.2.2000

"Wir fühlen uns hier zu Hause"

Ehningen: Die kurdische Familie Baydar hofft immer noch darauf, dass ihr Asylantrag bewilligt wird

Von unserer Mitarbeiterin Sybille Schurr

Fast sechs Wochen lang gehörte die vierköpfige kurdische Familie Baydar zu den "illegalen Asylanten" im Kreis. Fast sechs Wochen lang war die Familie auf der Flucht aus Angst vor einer Abschiebung in die Türkei. Auf der Flucht mitten in Deutschland. Zum wiederholten Mal war ihr Asylantrag abgelehnt worden (wir berichteten). Jetzt hat sich ihr Leben wieder normalisiert.

Mittlerweile wurde die Duldung für die Familie, die seit sieben Jahren in Ehningen lebt, um drei Monate verlängert. Drei Monate Galgenfrist. Die 14-jährige Emine und ihr 16-jähriger Bruder Ahmet gehen wieder in die Schule. Die Eltern sind wieder einmal auf Arbeitssuche.

"Ich habe schreckliche Angst um meinen Vater", sagt Emine. Abschiebung in die Türkei bedeutet für ihn unweigerlich Gefängnis. "Mindestens sieben Jahre." Er hat sich in aller Öffentlichkeit dazu bekannt, in Deutschland einen Asylantrag gestellt zu haben, weil er Kurde ist, weil er als Alevite Mitglied ist in Organisationen, die der PKK nahestehen. Es gibt keine Möglichkeit mehr, unerkannt in die Türkei einzureisen.

Die Realschülerin Emine weiß aber auch, dass es für sie und ihren Bruder keine Zukunft gibt in der Türkei, ein Land, das die Geschwister nicht einmal von Urlaubsreisen her kennen. "Ich kann mir einfach gar nicht vorstellen, dass wir Deutschland verlassen sollen. Ich fühle mich in Ehningen zu Hause. Hier sind alle meine Freunde."

Und wieviele es davon gibt, das hat sich in den letzten Wochen immer wieder gezeigt bei den unterschiedlichsten Aktionen. Lautstark gingen Schüler aus dem ganzen Kreis bei einer Demonstration in Böblingen auf die Straße: "Wir wollen, dass die Familie Baydar in Deutschland bleibt." Für Emine wurde Kuchen verkauft, für die Familie Baydar gespendet.

Ein anonymes Familienschicksal wurde öffentlich. Fremde, die in sieben Jahren längst schon Mitbürger geworden sind, werden unterstützt von Nachbarn, von Freunden, von Menschen, die nicht vergessen haben, dass es in Deutschland Zeiten gab, in denen die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe lebensgefährlich war, dass es Zeiten gab, in denen Deutsche auf der Flucht und im Exil auf die Mitmenschlichkeit anderer angewiesen waren.

Der Anwalt hat noch Hoffnung

Noch immer hat der Rechtsanwalt die Hoffnung nicht aufgegeben, der Familie Baydar zu einem gesicherten Aufenthaltsstatus zu verhelfen. Die Asylanträge von drei Geschwistern von Haydar Baydar sind längst schon positiv beschieden. Der Anwalt führt Klage gegen die Ablehnung des Asylverfahrens und er versucht, der Familie das Recht zu verschaffen, das die sogenannte "Altfallregelung" eröffnet.

Asylbewerber, die vor dem 1. Juli 1993 nach Deutschland kamen, können anerkannt werden. Allerdings nur unter Voraussetzungen, die nicht nur für Haydar Baydar und seine Familie eine hohe Hürde darstellen: Ein fester Arbeitsplatz und eine eigene Wohnung gehören dazu.

Aber: Asylbewerber, die beim Arbeitsamt als arbeitssuchend gemeldet sind, stehen bei den Vermittlungen an der untersten Skala. Wer einen Asylbewerber einstellt, muss nachweisen, dass der Arbeitsplatz von keinem Deutschen und von keinem EU-Bürger besetzt werden kann. "Glauben die Leute denn, ich bin spazieren gegangen in den letzten Jahren?" fragt Haydar Baydar verzweifelt. "Oft und oft habe ich um Arbeit nachgefragt", und wenn ihm Hoffnung gemacht wurde, dann scheiterte die Chance an der fehlenden Arbeitserlaubnis.

Ein Kreis engagierter Bürger

Jetzt wird die Familie von einem Kreis engagierter Bürger unterstützt, beim Gang aufs Arbeitsamt, bei der Suche nach Arbeit und nach einer Wohnung. Die Zeit drängt. Drei Monate Galgenfrist verstreichen schnell.

"Der Fall der Familie hat uns gezeigt, dass wir viel zu wenig wissen über Menschen, die im Asyl mitten unter uns leben. Wir wissen auch nichts über Kurden und ihre Probleme in der Türkei ," diese Wissenslücke wollen die Schüler in Ehningen nicht hinnehmen, gemeinsam mit dem Unterstützerkreis und dem Ehninger Jugendhaus planen sie eine Informationsveranstaltung zu diesem Themenkreis. "Wir wollen nicht zuschauen, wie Menschen einem unbekannten Schicksal ausgesetzt werden", ist der Motor für ihre Aktivitäten.