Stuttgarter Zeitung, 1.2.2000

Der Kurde wird abgeschoben, die Kurdin darf hoffen

Wie kleine und große Richter über die Form den Inhalt bestimmen wollen und dabei zu gegensätzlichen Ergebnissen kommen

Ob ein straffällig gewordener Kurde in die Türkei abgeschoben wird, hängt ganz entscheidend von den Richtern ab, die gerade über ihn zu urteilen haben. Pech für all die, bei denen das Verwaltungsgericht Regensburg zuständig ist.

Von Stefan Geiger

Auch Krähen hacken manchmal einander die Augen aus. Die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Regensburg bescheinigt einer Einzelrichterin des Verwaltungsgerichts Stuttgart beispielsweise ¸¸ohne jegliche Grundlage in der Rechtsordnung'' und ¸¸ohne eine auch nur ansatzweise erkennbare Zuständigkeit'' die Abschiebung eines Kurden in die Türkei untersagt zu haben. Das ist ein Ton, der unter Justitias Kollegen nicht gerade alltäglich ist.

Und dies ist der Hintergrund: Der junge Kurde, der in die Türkei abgeschoben werden soll, war vom Landgericht München nach einer mehrtägigen, öffentlichen Verhandlung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden. Er hatte, so das Urteil, in einem Asylbewerberheim Spenden für die kurdische Terrororganisation PKK erpresst. Der Asylantrag, den er gestellt hatte, ist längst rechtskräftig abgelehnt. Um seiner Abschiebung zu entgehen, war der Mann untergetaucht und wurde in der Nähe von Stuttgart aufgegriffen. Deshalb sollte er auch von Baden-Württemberg aus abgeschoben werden.

Am Tag der geplanten Abschiebung aber, dem 15. Dezember vergangenen Jahres, erließ das Verwaltungsgericht Stuttgart eine einstweilige Anordnung: Nach neuesten Erkenntnisse würden Türken, die im Ausland an politischen Aktivitäten beteiligt waren, bei ihrer Rückkehr in die Heimat einer intensiven Überprüfung unterzogen. Ihnen drohe eine Überstellung in die Antiterrorabteilung, eine mehrtägige Polizeihaft unter Ausschluss jedes Rechtsbeistands mit der Gefahr von Folter und Misshandlungen. Nach Einschätzung der Richterin habe der türkische Geheimdienst in Deutschland die Verurteilung des Kurden längst den zuständigen Behörden gemeldet. Der Kurde müsse ¸¸unmittelbar nach seiner Übergabe durch die Bundesgrenzschutzbeamten an die türkischen Sicherheitskräfte'' mit seiner Festnahme rechnen. Weil ihm dann die Folter drohe, dürfe er gegenwärtig nicht in die Türkei abgeschoben werden. So habe auch das Bundesverfassungsgericht bereits 1992 entschieden.

Die Polizei brachte den Kurden daraufhin nach Bayern, wo er wieder in den Dunstkreis der Justiz des Freistaats geriet. Und das Verwaltungsgericht Regensburg war in dieser Sache nicht faul. Bereits am 19. Januar entschied es, dass der Kurde sehr wohl abgeschoben werden könne. Stuttgart sei gar nicht zuständig gewesen und habe außerdem falsch entschieden. Mit den inhaltlichen Argumenten aus Stuttgart setzten sich die Regensburger erst gar nicht auseinander. Sie beließen es bei den Formalien: Ob dem Kurden Folter drohe, dürfe die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde - und damit auch die deren Entscheidung überprüfende Verwaltungsgerichtsbarkeit - gar nicht mehr kontrollieren: ¸¸Ob dem Antragsteller im Falle der Abschiebung in die Türkei dort menschenunwürdige Behandlung und Folter drohen, ist ausschließlich im Rahmen eines Asylverfahrens zu klären.'' Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg geht übrigens davon aus, dass (lediglich) ¸¸exponierten Personen'', die sich im Ausland politisch betätigen, bei ihrer Rückkehr in die Türkei politische Verfolgung drohe. Bleibt die Frage, wie exponiert ein Kurde ist, der hier zu einer längeren Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Mit der endgültigen Abschiebung des Kurden ist in diesen Tagen zu rechnen.

Ihm wird wohl auch nicht mehr der jüngste Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Januar helfen, der sich, wenn auch nicht mit einem identischen, so doch einem ähnlichen Fall beschäftigt (Aktenzeichen 2 BvR 2125/97). Auch hier hat das höchste deutsche Gericht ausschließlich über Formalien entschieden - diesmal freilich zu Gunsten einer Kurdin. Die Frau, deren Asylantrag bereits abgelehnt war, bekommt jetzt eine neue Chance. Sie hatte erklärt, die PKK in ihrer Heimat durch Unterkunft und Verpflegung unterstützt zu haben, deshalb festgenommen, auf der Polizeiwache entkleidet und geschlagen worden zu sein. Durch Bestechung habe sie einen Pass erhalten und sei später nach Deutschland geflohen.

Das Verwaltungsgericht entschied damals, bei der Haft handele es sich um ¸¸keinen Eingriff, der ausgrenzende Wirkung habe'', für die Frau habe es die ¸¸inländische Fluchtalternative'' in die westliche Türkei gegeben. Und das Oberverwaltungsgericht in Sachsen-Anhalt ließ eine Berufung der Frau nicht zu, obwohl es in einem anderen Fall zwischenzeitlich selbst zu dem Schluss gekommen war, dass einem Kurden, der den örtlichen Behörden auch nur wegen einer marginalen Unterstützung der PKK aufgefallen war, türkeiweit die politische Verfolgung drohe.

Das Verfassungsgericht bemängelt jetzt lediglich einen Formfehler: Das Oberverwaltungsgericht habe, nachdem es seine Rechtsprechung geändert hatte, die Berufung der Frau nicht abweisen dürfen. Zum Inhaltlichen findet sich in dem Beschluss kein Wort. Und dennoch weiß jeder, der ihn liest, was das Karlsruher Gericht erwartet. Und das unterscheidet sich doch ziemlich von dem, was die Regensburger für richtig halten.

Die Form ist, vor allem für Juristen, wichtig. Verfassungsrichter Winfried Hassemer hat gerade - unter Verweis auf die Parteispendenaffäre - in einem Aufsatz die Bedeutung formaler Rechtsregeln betont: ¸¸Formen bergen Inhalte und schützen sie. Wer die Form zerbricht, verletzt auch den Inhalt.'' Das mag wohl sein. Die so unterschiedliche Nutzung der Form durch die kleinen und die großen Richter in beiden Beispielen belegt aber auch: Es kommt sehr darauf an, wie und mit welchem Ziel man sich der Form bedient.