Neue Züricher Zeitung, 31.1.2000

Wenig Spielraum für Teherans Aussenpolitik

Gespräch mit dem iranischen Aussenminister Kamal Kharrazi

Obwohl die Islamische Republik Iran dank den gegenwärtig hohen Preisen für Erdöl und Erdgas von den drängendsten Finanzsorgen befreit ist, bleibt der Spielraum für die iranische Aussenpolitik eng begrenzt. Aus innenpolitischen Gründen ist die Annäherung an die USA derzeit blockiert. Und Irans Bemühungen, dem Blutvergiessen im islamisch bevölkerten Nordkaukasus ein Ende zu bereiten, haben bisher zu keinem sichtbaren Resultat geführt.

Wok. Davos, 29. Januar

Der iranische Aussenminister Kamal Kharrazi gibt sich gelassen und verströmt Selbstsicherheit. Bereits zum drittenmal reiste er an das Davoser Weltwirtschaftsforum, und im Gegensatz zu seinen vorgängigen Besuchen in den Bündner Alpen standen diesmal Gespräche über Schuldentilgung nicht zuoberst auf seiner Agenda. Iran habe seine finanziellen Verpflichtungen termingemäss erfüllt, sagt Kharrazi im Gespräch. Dank den in diesem Ausmass unvorhergesehen hohen Einkünften aus dem Verkauf von Erdöl und Erdgas habe die Regierung die Äufnung eines Fonds geplant, um dringend benötigte Entwicklungsprojekte finanzieren zu können. Sein Besuch in Davos gelte nicht primär wirtschaftlichen Projekten, sagt der Aussenminister. Teheran als Sitz der Islamischen Konferenzorganisation (ICO) bemühe sich um Frieden und Sicherheit in der Region. Daher bestehe ein grosses Interesse der in Davos anwesenden Persönlichkeiten an seinem Land.

Ein zufälliges Treffen mit Albright?

Wenn er nun, ganz zufällig und im Sinne des vielbeschworenen Geists von Davos, der amerikanischen Aussenministerin Albright begegnen würde, wäre Kharrazi zu einem Gespräch bereit? Dem Aussenminister scheint die Frage nur halb zu behagen. Natürlich ist ihm nicht entgangen, dass in letzter Zeit von Washington aus versöhnliche Signale in Richtung Teheran gesendet worden sind. Doch gleichzeitig ist er sich bewusst, dass zu Hause die Garde der Konservativen im derzeit gnadenlos hart geführten Wahlkampf nur darauf wartet, ihn als Liberalen und Vertrauensmann Khatamis zu verunglimpfen und ihm wegen Kontakten mit den USA Verrat an der Revolution vorzuwerfen. Entsprechend diplomatisch ist denn auch die Antwort. Zufällige Begegnungen kämen auf internationalem Parkett immer wieder vor, sagt er, doch dies bedeute keineswegs, dass Iran bereit sei, den Dialog mit den USA zu führen. Um ein Gespräch zu beginnen, müsse Washington erst den Beweis erbringen, dass es seine gegenwärtige Politik gegenüber Iran wirklich ändern wolle. Sein Land habe eine ganze Liste von Beschwerden, sagt der Gesprächspartner, und nennt an erster Stelle die seit dem Sturz des Schahs in den USA blockierten iranischen Guthaben.

Trotz mehrmaligem Nachfragen lässt sich der Minister aber nicht entlocken, welche Summe Iran in künftigen Verhandlungen als Ausgangsbasis nennen würde. Erst müsse Washington seine grundsätzliche Bereitschaft deutlich machen, die blockierten Gelder freizugeben. Als weitere Hürden zur Aufnahme eines Dialogs bezeichnet Kharrazi die immer noch geltenden, gegen sein Land verhängten amerikanischen Wirtschaftssanktionen, die Irans wirtschaftlichen Kontakt zu den Nachbarländern erschwerten. Weiter nennt er Washingtons Unterstützung terroristischer Organisationen, wie der iranischen Volksmujahedin. Diese Gruppe werde zwar neuerdings von Washington als Terrororganisation eingestuft, doch ihre Mitglieder hätten in den USA weiterhin Bewegungsfreiheit und unterhielten Kontakte zum Kongress. Obwohl der Minister noch vor kurzem gegenüber der Agentur Irna in unversöhnlichem Ton die amerikanische Militärpräsenz im Golf als wichtigstes Hindernis zur Aufnahme eines ausgeglichenen Dialogs bezeichnet hatte, räumt er ein, dass sich der Ton zwischen Teheran und Washington verbessert habe.

Keine Vermittlung im Nordkaukasus

Verbergen sich dahinter die ermutigenden Zeichen, welche die Schweizer Diplomatie als Vertreterin der amerikanischen Interessen in Iran unlängst zu wähnen glaubte? Als ein gleichzeitig mit Iran und den USA befreundetes Land könne die Schweiz Washington davon überzeugen, seine Politik gegenüber Teheran zu ändern, beteuert Kharrazi, ohne mit der Wimper zu zucken. Spricht aus diesen schmeichelhaften Worten nicht allzuviel Höflichkeit, werden da nicht die Möglichkeiten schweizerischer Aussenpolitik krass überschätzt? Der Aussenminister quittiert die Frage mit einem herzhaften Lachen und bleibt als hochanständiger Gast eine Antwort schuldig.

In Davos ergab sich für Kharrazi die Möglichkeit, seinen ägyptischen Amtskollegen Amr Musa über die iranischen Bemühungen um eine Verbesserung der Lage in Tschetschenien zu informieren. Vor zwei Monaten hatte der Minister an der Spitze einer Delegation im Namen der ICO die Krisenregion und Moskau besucht. Er habe den heutigen Kremlchef Putin davon überzeugen können, Hilfslieferungen aus der islamischen Welt zugunsten der Flüchtlinge aus Tschetschenien in grossem Umfang zu bewilligen, berichtet er. Und weiter sei Moskau dazu ermutigt worden, im Nordkaukasus nicht eine militärische, sondern eine politische Lösung anzustreben. Ist dieses Resultat angesichts der dramatischen Entwicklung des Kriegs und der immer grösseren Leiden der Zivilisten nicht ein wenig mager? Wäre es nicht an der Zeit, dass die islamischen Länder gemeinsam mit dem Westen Druck auf Moskau ausübten, um das Blutvergiessen zu beenden? Für einen kurzen Moment zögert der Minister. Nein, sagt er dann, es gehe nicht darum, Druck aufzubauen. Es sei ja auch vorstellbar, so fügt er maliziös bei, dass den Bemühungen des Westens und der islamischen Welt verschiedene Motive zugrunde lägen.

Wie ist das zu verstehen? Als traditionell enger Partner Russlands wäre Iran dazu prädestiniert, eine Vermittlerrolle einzunehmen. Die guten Beziehungen bestätigt Kharrazi, doch als Vermittler sehe er sein Land nicht. Denn vielleicht, so sagt er, wolle Moskau ja gar keine Vermittlung. Bis jetzt stehe Iran auch nicht in direktem Kontakt mit den tschetschenischen Rebellen. Und ganz beiläufig fügt er an, sowohl Moskau wie auch Teheran betrachteten den Konflikt als eine interne Angelegenheit Russlands. Es ist demnach zu erwarten, dass unter dieser Voraussetzung der Druck aus der islamischen Welt, wo Sezessionsbestrebungen normalerweise blutig unterdrückt werden, sich auch künftig in Grenzen halten wird. Lavieren im Nahostkonflikt

Wie aber steht es andernorts mit der islamischen Solidarität? Falls die syrisch-israelischen Gespräche zu einem positiven Ergebnis führen, wird Iran mit seiner unnachgiebigen Ablehnung Israels sich in der Region in die Isolation manövrieren. Überhaupt nicht, erwidert der Minister. Von Bedeutung sei die Herstellung der vollen Rechte der Syrer, der Libanesen und der Palästinenser. Iran glaube nicht, dass der Friedensprozess in diese Richtung führen werde, und lasse sich nicht von unbegründetem Optimismus leiten. Im Falle Syriens könne von einem Erfolg überhaupt nur gesprochen werden, wenn Israel seine Truppen im Golan bis zur Waffenstillstandslinie vom Juli 1967 zurückziehe. In diesem Falle bestünde für Teheran dann allerdings kein Anlass, seine traditionell guten Beziehungen zu Damaskus in Frage zu stellen. Damit aber wären, so halten wir entgegen, die Palästinenser endgültig auf sich alleine gestellt, und die so oft bemühte islamische Solidarität mit ihrem Kampf wäre definitiv nur noch leere Rhetorik. Der Einwand behagt dem Minister nicht. Wenigstens ein Teil der Besetzung wäre vorüber, sagt er. Das wäre immerhin ein Schritt. Es drängt nun die Zeit, denn andere Termine stehen an.