junge Welt, 29.1.2000

Zwangsernährung verordnet

Türkischer Gefangener in Berlin in Krankenhaus verlegt. Zustand als »kritisch« bezeichnet

Ein türkischer Gefangener, der sich seit 60 Tagen im Hungerstreik gegen die deutschen Haftbedingungen befindet, ist am Freitag in das Berliner Krankenhaus Moabit eingeliefert worden.

Wie die in Hamburg organisierten »Prozeßgruppen zu den DHKP-C-Prozessen« berichten, wurde der in der Justizvollzugsanstalt Tegel inhaftierte Ihsan Ersoy am Freitag morgen um 8 Uhr in das Krankenhaus verlegt. Sein Gesundheitszustand wird von den Beobachtern als »kritisch« bezeichnet. Wahrscheinlich habe die Zwangsernährung des Hungerstreikenden bereits eingesetzt. Krankenhaus und Polizei machten zunächst keine weiteren Angaben. Beide Seiten erklärten, es handle sich lediglich um »Kontrollmaßnahmen«. Unterstützer, die sich im Krankenhaus nach dem Zustand Ersoys erkundigen wollten, berichteten, daß das Gebäude von Polizeieinheiten bewacht werde.

Der in Hamburg inhaftierte Ilhan Yelkuvan ließ indes über seinen Anwalt Hans-Eberhard Schulz erklären, von Freitag an weder Zuckerwasser noch Salz zu sich zu nehmen. Auch Yelkuvan befindet sich seit 60 Tagen im Hungerstreik. Sein Anwalt erklärte zudem, einen weiteren Antrag auf Haftänderung gestellt zu haben. »Ich erwarte die Antwort des 3. Strafsenats des Oberlandesgerichtes noch heute«, sagte er am Freitag. Eine Reaktion der Justizbehörden sei aber nicht sicher.

Die türkischen Gefangenen protestieren mit ihrer Aktion gegen die verschärften Haftbedingungen. Besonders Yelkuvan sieht sich mit restriktiven Mitteln bis hin zu Isolationshaft konfrontiert. Zudem werden die Solidaritätsaktionen außerhalb der Haftanstalten ausgeweitet. Bereits am Mittwoch hatte eine Gruppe, mit dem Namen »Solidaritätskomitee Ilhan Yelkuvan« die Berliner Bundeszentrale der SPD für einige Stunden besetzt gehalten.

(jW)