Volksblatt Würzburg, 27.1.2000

500 000 Menschen leben illegal in Deutschland

"Angst, Schutzlosigkeit und Willkür" prägen den Alltag der Passlosen

BERLIN (DPA) · Joe lebt seit neun Jahren in Deutschland. Doch er existiert eigentlich gar nicht.

VON KATJA BAUER

Der Liberianer ist ein "Illegaler", einer von schätzungsweise 500 000 Menschen, die heimlich, ohne gültige Papiere irgendwo in der Republik Unterschlupf gefunden haben. Neun Monate lang war Joe zuletzt aktenkundig - so lange saß der abgelehnte Asylbewerber in Abschiebehaft, bis er wieder entlassen wurde, weil in sein vom Bürgerkrieg geschütteltes Land kein Rückflug ging.

Jetzt arbeitet er schwarz in einem der unzähligen Lokale der Hauptstadt und schlägt sich durch. Lieber, so sagt er, würde er Steuern zahlen und Teil der Gesellschaft sein. "Ich bin ein Niemand", sagt Joe.

Allein in Berlin leben schätzungsweise 100 000 Menschen ohne gültige Papiere. Damit ist die nicht weit von den Ostgrenzen der Republik liegende Metropole gleichzeitig Hauptstadt der "Illegalen". Die Mehrheit von ihnen sind abgelehnte Asylbewerber und Flüchtlinge aus Osteuropa und Südamerika.

Bettina Hartmann, Autorin einer Studie der katholischen Kirche über Illegale hat für das Dasein dieser Menschen eine andere Bezeichnung gefunden: "Postmoderne Vogelfreie". In ihrer Studie hat sie Menschen wie Joe zu ihrem Leben in der verbotenen Welt befragt, aber auch Richter, Polizisten, Ärzte und Anwälte.

"Angst, Schutzlosigkeit und Willkür", prägten den Alltag der Passlosen, sagt Schwester Cornelia Bührle, die kämpferische Beauftragte des Bischofs für Migrationsfragen. Menschen wie Joe das Recht auf Gesundheitsfürsorge zu verwehren - er ging mit der Chipkarte eines Bekannten ins Krankenhaus, als ein Blinddarmdurchbruch drohte - ist für sie ein Verstoß gegen Menschenrechte.

Auch, dass Kinder von seit Jahren hier lebenden Illegalen in Deutschland nicht zur Schule gehen dürfen, hält sie für fatal. "Das hängt im Moment allein von der Diskretion des Schulleiters ab."

Einfache Lösungen für das Problem der illegalen Einwanderung seien nicht in Sicht, sagt Bührle. Nicht zuletzt deshalb mieden die Politiker das Thema. Sie fordert einen Dialog zwischen Politik, betroffenen Behörden und Fachleuten. "Es müssen Lösungen gefunden werden."

Die Studie zeigt auch, wie "Illegale" in einigen Bereichen des Arbeitsmarktes schon eine Art Teil des Systems geworden sind. Pater Augustyn Lewandowski, eigentlich Seelsorger für Aussiedler in Berlin, hat einige Wochen als Illegaler auf einer Baustelle gearbeitet. Ein Drittel oder Viertel des versprochenen Lohns bekämen die Arbeiter ausgezahlt, sagt er. Und erzählt von russischen Arbeitern, die einen Teil ihres Lohns an die Mafia geben, damit die dafür sorgt, dass der Lohn voll ausbezahlt wird." Viele der Arbeiter seien da, um zu Hause für ihre Familien zu sorgen.

"Im Grunde genommen ist es der Arbeitgeber, der das große Geld macht", sagt Stephan Felisiak von der Sonderprüfgruppe Bau beim Arbeitsamt Berlin-Mitte. Ins Netz gehen stattdessen die Arbeitnehmer.

Und die gibt es nicht nur auf dem Bau - sondern in Gaststätten, Hotels, als Putzhilfen oder Babysitter, wie Schwester Bührle sagt. "Fragen Sie sich doch mal, wieso die Pizza nur sechs Mark kostet. Und schauen sie dann hinter die Kulissen, wer da die Teller wäscht."