Kölner Stadtanzeiger, 26.1.2000

Griechenland - Türkei

Annäherung an den "Feind" von gestern

Athens Botschafter Gast in der Redaktion

Von Klaus Bohnhof

Irgendwie wirkt es paradox: Da mussten erst zwei schwere, todbringende Erdbeben über die Türkei und über Griechenland hereinbrechen, ehe die öffentliche Meinung umschlug und sich für die Nöte des jeweils anderen Landes öffnete. Der neue griechische Botschafter Dimitrios Nezeritis sprach gestern im Neven DuMont Haus beziehungsvoll von den Beben als einem "Deus ex Machina".

Beide Staaten liegen eben, das wurde da schmerzlich bewusst, auf derselben geografischen Bruchzone. Nicht nur, aber auch die gegenseitige Hilfe hat, wie Nezeritis in einem Redaktionsgespräch des "Kölner Stadt-Anzeiger" hervorhob, in der Bevölkerung hier wie dort ein Gefühl der Gemeinsamkeit erzeugt - eine Rarität im Verhältnis zwischen Griechen und Türken. Und natürlich konnten die Grundprobleme (Territorialstreit in der Ägäis, Zypern-Frage) nicht so zügig beiseite geräumt werden wie manche Gebäudetrümmer.

Ein Aufbrechen jener Dämme, mit denen sich Athen und Ankara gegeneinander abgeschottet hatten, ist nach Nezeritis' Einschätzung allerdings seit langem fällig. Vier Jahre lang hatte es keinen einzigen bilateralen Besuchskontakt zwischen den Staaten gegeben. In diesem Monat reiste mit Georgios Papandreou zum ersten Mal seit 1962 ein griechischer Außenminister nach Ankara. Sein türkischer Amtskollege Ismail Cem wird im Gegenzug im Februar nach Athen kommen.

Von beiden werden Abkommen abgeschlossen, die als relativ unproblematisch gelten, etwa gegen Doppelbesteuerung, über eine Belebung des Tourismus oder über eine verstärkte Bekämpfung des Terrorismus. Immerhin wird damit aber jener Anfang gemacht, der so sprichwörtlich schwer ist.

Ein zweiter, ganz entscheidender Schritt wurde auf dem EU-Gipfeltreffen im vergangenen Dezember in Helsinki vollzogen. Vorbehalte einiger EU-Staaten gegen eine Aufnahme eines geteilten Zypern wurden zu den Akten gelegt. Außerdem erklärte sich Ankara bereit, nach einer Schamfrist seine Gebietsstreitigkeiten mit Athen in der Ägäis durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag beilegen zu lassen - ein Zugeständnis, gegen das es sich lange mit allen Kräften gesträubt hatte.

Umgekehrt akzeptierte die griechische Regierung, dass die EU Ankara den von diesem heiß begehrten Kandidatenstatus zuerkannte. Damit wurde zunächst nur eine Entwicklung eingeleitet, die jedoch dahin führen soll, dass sich die Türkei zu einem "europäischen" Land wie andere EU-Staaten mausert. Nezeritis bezeichnete dies als einen "langen und schwierigen Prozess".

Nicht wenige Griechen haben mit diesem Kandidatenstatus ihre Schwierigkeiten, zumal ihre Regierung betont hat, sie wolle die Türkei auf dem Weg zu einem EU-Beitritt auch noch hilfreich, nicht zuletzt in Richtung Demokratie, begleiten. Der "Feind" von gestern als Partner von morgen - oder wenigstens von übermorgen?

Da müssen viele Menschen umdenken. Ihnen wird es zum Beispiel schwer fallen, sich mit den für die nächsten Monate geplanten gemeinsamen Manövern mit türkischen Streitkräften anzufreunden. Was etwa, wenn in diesem Zusammenhang Landungen geübt werden, Landungen türkischer Soldaten auf griechischen Inseln? Ein Horrorszenario, das man in Griechenland jahrzehntelang immer wieder an die Wand gemalt hatte und das man nun wohlwollend als Beitrag zum beiderseitigen Nutzen verbuchen soll.

Auch die Überlegung des Botschafters, der Türkei komme ein EU-Beitritt Gesamtzyperns auf ganz spezielle Weise zugute, wird seinen Landsleuten nicht unbedingt sofort einleuchten. Nezeritis argumentiert, in einer Art Föderation Nord- und Südzyperns werde die Außenpolitik in jedem Fall eine gemeinsame Aufgabe beider Volksgemeinschaften sein; die türkischen Zyprioten würden daran ebenso mitwirken wie die griechischen Inselbewohner, könnten also türkische Interessen ins Spiel bringen. Eine Hintertür für Ankara, mag da mancher befürchten.

Die Annäherung der Nachbarn ist eben wie ein Hindernislauf. Griechenland aber braucht, da ist sich Nezeritis sicher, einen ausgeglichenen, einen zufriedenen Nachbarn Türkei, mit dem sich reden lässt. Mit einem, der sich in die Ecke gedrängt fühlt, werde es keine Partnerschaft aufbauen können.