Süddeutsche Zeitung, 25.1.2000

Meinungsseite

Ankara und die Mörderbande

Die Türkei macht der Hizbullah den Garaus, dabei waren die Gotteskrieger dem Staat einst nützlich

Von Wolfgang Koydl

Die Fälle sind so grausig, dass sie direkt dem Drehbuch eines Horrorfilmes entsprungen zu sein scheinen. Seit einer Woche gräbt die türkische Polizei Leichen aus, und man findet sie in allen Teilen des Landes: in Istanbul und in Ankara, am Mittelmeer und in Zentralanatolien. Mehr als dreißig Opfer sind es bereits, und sie alle tragen die Zeichen schwerster Folterungen. Einige wurden lebendig begraben, andere auf eine so perverse Art gefesselt, dass sie sich selbst qualvoll langsam erdrosselten.

Die Toten sind nach Angaben der Behörden Opfer der türkischen Hizbullah. Diese Gruppe hat nichts mit der gleichnamigen libanesischen Organisation zu tun, strebt aber ebenfalls die Errichtung eines auf dem islamischen Scharia-Recht basierenden Gottesstaates an. Angeblich wird die türkische Hizbullah vom Iran unterstützt, und da trifft es sich für Propagandazwecke ganz gut, dass die tödliche Fesselungsmethode eine alte Erfindung professioneller persischer Menschenquäler sein soll.

An merkwürdigen Zufällen besteht auch sonst kein Mangel. Jahrelang hatten die Behörden keinen Finger gerührt, um gegen die Gotteskrieger vorzugehen. Nun begannen sie ihren Feldzug gegen die pro-iranischen Regimegegner ausgerechnet an jenem Tag, an dem sich der iranische Außenminister Kamal Charasi zu einem lange erwarteten Besuch in Ankara aufhielt. Seitdem wurden nicht nur die Leichen entdeckt, sondern auch - Zufall Nummer zwei - binnen Wochenfrist rund 150 mutmaßliche Hizbullahis verhaftet, die sich jahrelang dem Zugriff der Polizei entzogen hatten.

An derartige Zufälle mag noch nicht einmal die staatstreue Presse in Istanbul glauben. Immer mehr Kommentatoren erinnern daran, dass die Hizbullah seit Ende der achtziger Jahre von Ankara zumindest geduldet, wenn nicht sogar aktiv gefördert worden war. Die Steinzeit-Muslime sollten Schützenhilfe im Krieg gegen die nominell marxistische "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) leisten - getreu einem bewährten türkischen Motto: "Einen räudigen Köter lässt man am besten von anderen Hunden zerfetzen".

In der Tat: In der ersten Hälfte der neunziger Jahre verschwanden hunderte von Menschen im Südosten der Türkei. Es waren Journalisten, Politiker und Geschäftsleute, die meist der PKK nahe standen. Schätzungsweise 700 Menschen kamen damals unter mysteriösen Umständen ums Leben. Das prominenteste Opfer war der auch unter Türken sehr angesehene kurdische Intellektuelle Musa Anter. Die wenigsten Verschwundenen wurden bisher gefunden, und deshalb ist die Einschätzung des türkischen Premiers Ecevit wohl richtig, der weitere grausige Entdeckungen vorhersagte.

Schätzungsweise die Hälfte der Morde wurde der Hizbullah angelastet, die anderen Verbrechen in diesem schmutzigen Krieg sollen von schattenhaften staatlichen Organisationen begangen worden sein, deren Existenz von Ankara immer wieder bestritten wurde. Doch nun, da die PKK militärisch am Ende und ihr Vorsitzender Öcalan sicher im Gefängnis ist, versucht der Staat, sich des lästigen Komplizen von einst zu entledigen.

Dies jedenfalls ist die Überzeugung von Mahir Kaynak, einem ehemaligen Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT. Nach seinen Worten soll versucht werden, alle Morde der Hizbullah in die Schuhe zu schieben. "Auf diese Weise soll die schmutzige Vergangenheit des Staates rein gewaschen werden", schrieb Kaynak dieser Tage in der pro-kurdischen Zeitung Özgür Bakis. Zwei festgenommene Hizbullahis wurden soeben in die südost-anatolische Stadt Batman geflogen, wo sie der Polizei die Gräber weiterer Mordopfer zeigen sollen.

Auch andere politische Beobachter sind überzeugt davon, dass der türkische Staat mit einer blutigen und unsauberen Vergangenheit brechen will, die nicht zu dem neuen Status eines nach Westen strebenden EU-Kandidaten passt. Nebenbei bietet sich zudem die praktische Möglichkeit, nun vielleicht doch ein für allemal dem politischen Islam den Garaus zu machen. Denn immer häufiger ist neuerdings von Querverbindungen zwischen der Hizbullah und der islamistischen Fazilet-Partei die Rede.