Frankfurter Rundschau, 25.1.2000

Menschenrechte: Europäischer Gerichtshof wird mit Klagen überhäuft

sa STRASSBURG, 24. Januar. Die Zahl der Bürger, die beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage einreichen, steigt weiter dramatisch an. Luzius Wildhaber, Präsident der obersten juristischen Instanz, sagte am Montag in Straßburg bei der Vorstellung der Jahresbilanz 1999, die vom Gericht zugelassenen 8400 Eingaben stellten einen neuen Rekord dar. Damit setzte sich der Trend eines seit 1993 zu beobachtenden Anstiegs fort. 1998 waren 6000 Klagen registriert worden. Wie der Schweizer Wildhaber erläuterte, lag 1999 erstmals Russland mit 972 zugelassenen Beschwerden an der Spitze. Viele Klagen machten Angriffe auf die Meinungs- oder Religionsfreiheit geltend. Nach Russland folgt laut Statistik des Europarats Italien mit 881 registrierten Eingaben. Italien lag vor allem wegen unzulässig langer Prozesse traditionell unter den beklagten Staaten vorn. Dahinter rangieren Frankreich (868 zugelassene Beschwerden), Polen (691), die Türkei (655) und Deutschland (534).

Der Gerichtshof stellte 1999 bei 120 letztinstanzlichen Urteilen eine Menschenrechtsverletzung in einem der Europarats-Staaten fest. 44 Mal wurde Italien verurteilt, es folgen die Türkei mit 18 Sanktionen, Frankreich (16), Großbritannien (zwölf) und Portugal (acht); gegen Deutschland erging vergangenes Jahr keine Verurteilung.