HANDELSBLATT, 24.1.2000

Hoffnung auf eine "neue Ära des Friedens" in der Ägäis

Zwischen Griechenland und der Türkei schmilzt das Eis

Der historische Besuch des griechischen Außenministers in Ankara nährt die Hoffnungen auf eine ernsthafte Aussöhnung in der Region. Die Annäherung der "feindlichen Brüder" Türkei und Griechenland dürfte sich auch positiv auf die Lösung des Zypern-Problems auswirken.

bce NICOSIA. "Die Falken haben verloren, die Tauben gewinnen. Seht zu, dass dies so bleibt", proklamiert die liberale "Turkish Daily News" in einem Kommentar zu einem wahrhaft "historischen" Ereignis: In Ankara hatten die Außenminister Griechenlands und der Türkei am Donnerstag vier Abkommen über Doppelbesteuerung, Tourismus, Rückführung illegaler Immigranten (insbesondere kurdischer Flüchtlinge in die Türkei) und "Bekämpfung von Banden" (gemeint ist vor allem die kurdische Guerillaorganisation PKK) unterzeichnet.

Zum ersten Mal seit fast vier Jahrzehnten hat ein griechischer Außenminister dem türkischen Erzfeind einen offiziellen Besuch abgestattet. George Papandreous neu gewonnener Freund und Amtskollege in Ankara, Ismail Cem, bot dafür unerwartet die Aufnahme von direkten Verhandlungen zum Abbau der militärischen Spannungen zwischen beiden Ländern in der Ägäis an. Die Griechen ihrerseits wollen Ankara auf seinem schwierigen Weg in die Europäische Union unterstützen. Cem schwelgt von einer "neuen Seite, ja sogar einer neuen Ära in den Beziehungen unserer beiden Länder". Papandreou spricht von der "Hoffnung auf mehr Verständigung und dem festen Wunsch, so rasch wie möglich alle Probleme zu lösen, die uns trennen".

Doch Beobachter mahnen zur Vorsicht. All zu tief sitzen Feindschaft und Hass, genährt durch lange erlittenes Leid und durch tiefe, bis heute anhaltende Ängste. Erst vor vier Jahren hätten die beiden Nato-Staaten beinahe einen Krieg um eine unbewohnte Felseninsel in der Ägäis begonnen. Nur massiver Druck der USA verhinderte im letzten Moment das Schlimmste.

Auch Papandreou zieht zunächst eine eher nüchterne Betrachtungsweise vor, damit die nun gewonnene Atmosphäre der Freundschaft nicht wieder schwindet. Einen entscheidenden Beitrag zur Harmonisierung der Beziehung leisten die Medien beider Länder, die in der Vergangenheit mit engstirnigem, aggressivem Nationalismus ihre Auflagen in die Höhe trieben.

Erst die Naturkatastrophen im August des Vorjahres leiteten eine Wende ein. Die Türkei und Griechenland wurden von einem Erdbeben erschüttert. Die spontane Hilfe und das Mitgefühl für den jeweils anderen änderte mit einem Schlag die Stimmung in der Öffentlichkeit beider Länder. Seither kann man in Griechenland und in der Türkei mit Worten von Frieden und Versöhnung Leser und Zuschauer gewinnen. Hasstiraden sind - vorerst - nicht gefragt.

Cem und Papandreou versuchen, diese Atmosphäre für ihre Verhandlungen zu nutzen. Doch der Weg ist weit. Es gilt, die Kernprobleme überhaupt erst einmal anzupacken: das seit 1974 durch die türkische Invasion geteilte Zypern und Fragen der Souveränitätsrechte in der Ägäis. Immerhin haben die Türken nun erstmals Athens Wunsch zugestimmt, bilaterale Streitfragen dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag vorzulegen, sollten sie bis 2004 nicht gelöst sein. Politische Beobachter erwarten nun ein Entgegenkommen Ankaras auch in der festgefahrenen Zypernfrage.

Freilich: Der Handlungsspielraum ist eng begrenzt, für Papandreou ebenso wie für Cem. Griechenland muss sich auf wichtige Wahlen im nächsten Jahr einstellen. Nur wenn die Annäherung rasch Früchte trägt, werden die im Lande starken Nationalisten Zugeständnisse an Ankara nicht als naiven Ausverkauf griechischer Interessen für ihre Propaganda nützen können. In Ankara gehört Cem einer Koalition an, in der extreme Nationalisten die zweitstärkste Partei stellen. Und Ecevit hatte als Regierungschef 1974 die Invasion Zyperns in die Wege geleitet. Er sieht bis heute das Problem als "gelöst" an.