junge Welt, 24.1.2000

Hisbollah beim Minister

Türkei geht gegen Konterguerillagruppe vor

Die islamische Extremistengruppe Hisbollah hat nach den Worten des türkischen Regierungschefs Bülent Ecevit möglicherweise Mitglieder in staatliche Institutionen »eingeschleust«. Ecevit reagierte damit am Samstag auf die Festnahme eines mutmaßlichen Hisbollah-Mitglieds in seinem Büro am Vortag. Die Feststellung mag von der Tatsache ablenken, daß die Gruppe als Konterguerilla Ende der 80er Jahre im Rahmen der »Gladio«-Strukturen der NATO gezielt als Gegengewicht zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) aufgebaut wurde. Die türkischen Behörden »scheinen ein Ungeheuer geschaffen zu haben, das gefährlicher ist als die PKK«, schrieb der Chefredakteur der englischsprachigen Zeitung Turkish Daily News, Ilnur Cevik, am Freitag. Unterdessen entdeckte die Polizei nach einem Bericht des türkischen Fernsehsenders NTV acht weitere Opfer der Extremistengruppe. Sechs Leichen wurden in der Stadt Tarsus gefunden. Damit stieg die Zahl der bei einer Polizeiaktion gegen die Gruppe in der zurückliegenden Woche gefundenen Leichen auf 31. Bei einer der entdeckten Leichen handelt es sich um die seit einem Jahr verschwundene Schriftstellerin Konca Kuris.

Am vergangenen Montag hatte sich die Polizei in Istanbul ein vierstündiges Feuergefecht mit führenden Hisbollah- Kämpfern geliefert. Bei der Schießerei waren der Chef der Bewegung getötet und zwei weitere Führungsmitglieder festgenommen worden. Die türkische Hisbollah hat nichts mit der proiranischen Organisation gleichen Namens in Libanon zu tun. (AP/jW)