Stuttgarter Zeitung, 21.1.2000

Nun nimmt Ankara den Kampf gegen die Hisbollah auf

Der Polizei in Istanbul gelingt ein entscheidender Schlag gegen den türkischen Arm der fundamentalistischen Terrorgruppe

Zuerst hat die türkische Hisbollah die Polizei im Kampf gegen die PKK tatkräftig unterstützt. Doch diese Zeiten sind vorbei. Nun ist ihr Anführer Hüseyin Velioglu bei einem Feuergefecht mit Sicherheitsbeamten in Istanbul getötet worden.

Von Jan Keetman, Istanbul

Die Schießerei in Istanbul dauerte fast vier Stunden. Doch dann konnte die Polizei einen Erfolg verkünden. Denn die Beamten hatten bei der Auseinandersetzung den Anführer der türkischen Hisbollah, Hüseyin Velioglu, getötet. Im Westen wird die Hisbollah in der Regel nur mit der vom Libanon aus gegen Israel operierenden proiranischen Hisbollah in Verbindung gebracht.

Doch die ¸¸Partei Gottes'', so heißt die militante islamistische Organisation übersetzt, agiert an vielen Orten: im Libanon, im kurdischen Nordirak und unter den Kurden im Osten der Türkei. Das ursprüngliche Ziel der Hisbollah in der Türkei, die sich nach der islamischen Revolution Anfang der achtziger Jahre formierte, war die Gründung eines islamischen Staates unter den Kurden der Türkei. Türkische Sicherheitskreise haben immer wieder behauptet, die Hisbollah sei direkt vom Iran gegründet worden. Das wurde von der Organisation mit dem Hinweis bestritten, dass sie als sunnitische Muslime mit den Schiiten Irans nichts zu tun hätten.

Anfang der neunziger Jahre machte die Hisbollah als fundamentalistische islamische Organisation eine neue Gefahr aus: Sie fürchtete den wachsenden Einfluss der PKK. Schließlich begann ein gnadenloser Kampf zwischen den beiden illegalen kurdischen Organisationen. Die Hisbollah spionierte von ihr als PKK-Sympathisanten eingestufte Kurden aus und ermordete sie. Fast 2000 Anwälte, Geschäftsleute, Kommunalpolitiker, Gewerkschafter und Journalisten sollen getötet worden sein. Die PKK revanchierte sich mit Bombenanschlägen auf Teehäuser, die als Treffpunkte der Hisbollah galten.

In derselben Zeit aber machte die PKK einen bemerkenswerten ideologischen Wandel durch. Ihr Führer Abdullah Öcalan sprach plötzlich außer über ¸¸wissenschaftlichen Sozialismus'' immer häufiger auch über Religion. Ganz im Sinne der Fundamentalisten verbot die PKK allen Kurden das Trinken von Alkohol und setzte das Verbot mit Anschlägen auf die Verkaufsstellen durch. So kam es schon bald zu einem Waffenstillstand zwischen der PKK und einem Teil der Hisbollah. Ein anderer Flügel, der nach einem religiösen Buchladen in der Stadt Diyarbakir ¸¸Ilim-Flügel'' genannt wurde, setzte den Kampf gegen die PKK jedoch fort. An der Spitze befand sich ausgerechnet ein ehemaliger Mitstudent Abdullah Öcalans an der politischen Fakultät der Universität Ankara, Hüseyin Velioglu.

Der 1952 in der Nähe des Erdölzentrums Batman geborene Kurde Velioglu konnte sich beim Kampf mit der PKK auf die Unterstützung der türkischen Sicherheitskräfte verlassen, für die er einen Teil der Dreckarbeit im Kampf gegen die PKK erledigte. Es gelang Velioglus Leuten, den Einfluss Öcalans in den Städten zurückzudrängen. Doch hatten sie nicht viel Freude an ihrem Sieg, denn nach und nach begannen die türkischen Sicherheitskräfte die nach der Gefangennahme Öcalans überflüssig gewordene Organisation selbst auszuheben.

Damit nicht genug, gab es in jüngster Zeit offenbar auch neue Spannungen unter islamistischen Kurden. So dürfte das Verschwinden von elf islamistischen Kurden in Istanbul das Werk der Hisbollah gewesen sein. Unter ihnen befindet sich auch Izzettin Yildirim, der Vorsitzende der Med Zehra Ausbildungs- und Kulturstiftung, die sich um die Verbreitung kurdischer Kultur bemüht. Nach langer Suche durch die Polizei wurden im asiatischen Teil von Istanbul sowie in Ankara in den vergangenen beiden Tagen insgesamt dreizehn Leichen entdeckt - wahrscheinlich sind die Vermissten darunter. Der Gebrauch ihrer Kreditkarten soll die Polizei auf Velioglus Spur geführt haben. Ihn stellten die Beamten wenige Tage zuvor zusammen mit zwei von seinen Leuten in einer Villa in einem Vorort Istanbuls. In dem langen Feuergefecht, das darauf folgte, starb Velioglu. Seine beiden Mitstreiter ergaben sich.