Erlanger Nachrichten, 20.1.2000

Stadt will still halten

Dennoch ist die restliche Familie D. von Abschiebung bedroht

Behörde lehnt Aufenthaltsbefugnis ab - Einkommen nachgewiesen

Für die Ehefrau und die vier Kinder des in die Türkei abgeschobenen Kurden Mustapha D. gibt es etwas Hoffnung: Die Stadt will von einer Abschiebung abgesehen solange ein Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

"Wir möchten den Betroffenen nicht die Möglichkeit nehmen, Rechtsmittel zu nutzen", sagte OB Siegfried Balleis gestern auf Anfrage der EN. Dies gelte zunächst für das Widerspruchsverfahren. Ob das Stillhalten der Kommune sich auch auf ein mögliches Verwaltungsgerichtsverfahren erstrecke, wollte Balleis offen lassen.

Allerdings hat die Ausländerbehörde einen förmlichen Antrag der Ehefrau von Mustapha D. auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis abgelehnt und sie aufgefordert, innerhalb eines Monats freiwillig auszureisen. Sonst droht auch ihr die Abschiebung.

Der Unterstützerkreis der Familie D. hat gestern dem OB rund 500 Unterschriften von Persönlichkeiten übergebe, die sich für ein Bleiberecht einsetzen, darunter nach Angaben der Initiatoren 23 Stadträte, Mitglieder der Vertreterversammlung der IG Metall, Angehörige des Ausländerbeirates, Professoren und Assistenten der Uni sowie Eltern und Erzieherinnen des Kinderhortes St. Marien. Zu der Unterschriftenaktion war es aufgrund einer Anzeige des Unterstützterkreises in den EN gekommen.

Der Freundeskreis setzt sich für das Bleiberecht der 39 Jahre alten Ehefrau sowie der 20, 19 und sechs Jahre alten Töchter und des elfjährigen Sohnes ein. Die Familie lebe seit 1987 in Erlangen und sei integriert. "Zwei der Kinder sind hier geboren und waren nie in der Türkei, für sie wäre eine Ausreise ein Kulturschock, die Lebensplanung wäre dahin", sagte der Erlanger Rechtsanwalt der Familie, Rainer Frisch, im EN-Gespräch. Der 46-jährige Mustapha D. war nach seiner Verhaftung im Erlanger Rathaus Ende Oktober in die Türkei abgeschoben worden, obwohl wegen einer schweren Lungenerkrankung ein ärztliches Attest über die Reise- und Fluguntauglichkeit des abgelehnten Asylbewerbers vorlag. Die Duldung der zurückgebliebenen Familie war ursprünglich nur bis zum 19. Januar befristet.

Die Ehefrau und ihr Anwalt beriefen sich in dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis auf die sogenannte Altfall-Regelung der Innenminister der Bundesländer. Darin wird "Asylbewerberfamilien" mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern nach einem Kriterienkatalog ausnahmsweise eine Aufenthaltsgenehmigung von längstens zwei Jahren in Aussicht gestellt.

Die Ausländerbehörde hat nun die Anwendung der Altfall-Regelung abgelehnt. So seien zwar mehrere Kriterien - ausreichender Wohnraum, Erfüllung der Schulpflicht und Einreisestichtag - erfüllt, doch die Familie gilt für die Behörde als "eindeutig nicht integriert". So nähmen die Ehefrau und die Kinder seit Ende September 1999 zwar keine Sozialhilfe in Anspruch. Dies sei aber bis dahin während des gesamten Aufenthalts der Fall gewesen. Die Ausländerbehörde nennt in dem Bescheid den gesamten Betrag, der bisher vom Sozialamt an die Familie D. gezahlt worden sei. Rechtsanwalt Frisch hat am Freitag vergangener Woche OB Siegfried Balleis einen Einkommensnachweis für Dezember über 4225 Mark vorgelegt.

Negativ schlägt nach Ansicht der Stadt für die Familie D. zu Buche, dass sie angesichts nicht erkennbarer Abschiebungshindernisse keine Bemühungen unternommen habe, der Ausreiseverpflichtung nachzukommen. "Die Stadt Erlangen sieht auch keinen Grund, von ihrer bisherigen Haltung, die Familie als Einheit zu betrachten, abzurücken. Die Familienmitglieder leben und wirtschaften in einem gemeinsamen Haushalt," heißt es wörtlich in dem Bescheid.

Dass der - inzwischen abgeschobene - Familienvater 1991 zeitweilig untergetaucht war und durch "mehrere erfolglose Asylverfahren seine Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich verzögert" habe, müsse "sich nun auch die übrige Familie anrechnen lassen", begründet die Ausländerbehörde ihre Ablehnung. Sodann listet die Behörde drei Strafbefehle und ein Urteil des Amtsgerichts Erlangen mit 10, 15, 20 und 90 Tagessätzen aus den Jahren 1988 bis 1992 auf. OB Balleis konnte gestern die Frage nicht beantworten, ob es sich dabei um Verstöße gegen ausländerrechtliche Bestimmungen gehandelt habe.

In der Altfall-Regelung ist eine Geldstrafen-Grenze von 50 Tagessätzen bei vorsätzlichen Straftaten genannt. "Bei Straffälligkeit auch nur eines Familienmitgliedes ist die Anwendung der Altfallregelung und damit die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis für die gesamte Familie zwingend ausgeschlossen", argumentiert die Behörde. Ein den EN vorliegender Text des Ministerbeschlusses enthält eine solche zwingende Regel nicht.