Nürnberger Zeitung, 20.1.2000

Verwaltungsgericht entscheidet über Kirchenasyl

Ein schicksalhafter Tag für die Familie Yildiz

ANSBACH/WEISSENBURG (NZ). - Am Dienstag um 9 Uhr wird Aligül Yildiz vielleicht zum Telefon greifen. Er wird seinen Vater Maksut anrufen und sagen: "Hey, der Richter hat für uns entschieden." Dann wird Maksut Yildiz seine Frau Hatun und seine Kinder Gülbahar, Hüsein und Deniz an der Hand nehmen, mit ihnen zum ersten Mal seit viereinhalb Jahren durch die Weißenburger Altstadt schlendern, in einem Café ein Schlückchen trinken, sich die Schaufenster anschauen, mit Leuten sprechen. Vielleicht. . .

Alles hängt ab vom Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach. Es kann am Dienstag das zweitlängste Kirchenasyl in Bayern beenden; positiv beenden. Ab 8.30 Uhr wird über das Schicksal der Kurdenfamilie Yildiz entschieden, die seit September 1995 von der Weißenburger St. Andreas-Gemeinde beschützt, behütet und versorgt wird.

"Asylfolgeantrag" heißt in der Amtssprache das, was Richter Thomas Kranig und sein Team zu verhandeln haben. Die zentrale Frage: Hat die intensive Medienberichterstattung über den laut Anwalt Manfred Hörner "wohl bekanntesten Asylfall in Deutschland" zur Folge, dass die Familie Yildiz in größte Gefahr gerät, wenn sie türkischen Boden betritt? Ist der türkische Geheimdienst so aufmerksam und so wütend auf die kurdische Familie geworden - vielleicht wegen ihrer Aussagen in verschiedenen Interviews -, dass er sie bestrafen wird, wenn er sie denn erst bestrafen kann?

Vielleicht sagt das Gericht: "Ja, diese Gefahr besteht." Dann kann es dem Asylfolgeantrag stattgeben, die fünf im Kirchenasyl verzweifelt ausharrenden Yildiz' könnten sofort als freie Menschen durch Weißenburg laufen. So wie Aligül und Neriman, die beiden volljährigen Kinder von Maksut, die Deutsche geheiratet haben. Deshalb wird Aligül vor Gericht erscheinen, aussagen zu Gunsten seiner Familie. Und er hofft, der Glücksbote zu sein.

Vielleicht aber lehnt das Gericht den Antrag auch ab. Vielleicht sagt es: "Nein, die Familie ist in der Türkei nicht mehr gefährdet als vorher." Dann droht den Yildiz weiter die Abschiebung, sie müssten im Kirchenasyl bleiben. "Darüber möchte ich gar nicht nachdenken", sagt Anwalt Hörner. Weitere Rechtsmittel werde er dann selbstverständlich prüfen. Doch auch er weiß: Es gibt nicht mehr viele. Und er weiß: Die Familie ist körperlich und seelisch am Ende. "Ihr Zustand verschlechtert sich täglich", sagt der Weissenburger Pfarrer Thomas Miederer. "Sie wollen eine Entscheidung."

Längst beschäftigt der Fall den Petitionsausschuss des Bundestages. Der warf dem Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge grobe Verfahrensfehler vor. Auch gestern diskutierte er wieder darüber. Die Verhandlung in Ansbach allerdings, so Anwalt Hörner, werde davon nicht beeinflusst. "Das Gericht entscheidet völlig unabhängig." Gudrun Bayer