junge Welt, 20.1.2000

Haymatloz

Eine Berliner Ausstellung über deutsche Flüchtlinge in der Türkei 1933 - 1945

»Vor Meer und Himmel standen die alternden Dome und Kirchen«, schrieb George Tabori über seine Ankunft in Istanbul, »und als wir uns der Landungsbrücke näherten, konnte ich die Geschichte riechen wie nie zuvor.« Wie viele andere Emigranten war der Schriftsteller Tabori hingerissen von der Schönheit Istanbuls. In der Ausstellung »Haymatloz - Exil in der Türkei 1933 - 1945«, die in der Berliner Akademie der Künste zu sehen ist, erinnert der Verein Aktives Museum an die zahlreichen Flüchtlinge vor allem aus Deutschland, die in den Jahren des Faschismus in der Türkei Aufnahme fanden.

»Haymatloz« stempelten die türkischen Behörden denjenigen deutschsprachigen Flüchtlingen in ihre türkischen Fremdenpässen, die von den Nazis ausgebürgert wurden. So ging das Wort in die türkische Sprache ein. Aber die Immigranten haben auch andere Spuren hinterlassen. Vor allem Wissenschaftler, Politiker und Künstler kamen seit 1933 auf Einladung der türkischen Regierung in das Land, um während der Reform-Epoche unter Atatürk und seinem Nachfolger Inönü bei der Modernisierung von Kultur und Gesellschaft der türkischen Republik mitzuwirken. Insgesamt waren dort nach 1933 etwa 800 deutsche Experten und ihre Angehörigen tätig. Carl Ebert etwa, der bis zu Hitlers Machtantritt Intendant der Städtischen Oper Berlin war, übernahm nach der Eröffnung der Staatlichen Opernschule am Konservatorium in Ankara deren Leitung. Ebert war begeistert von der Offenheit seiner Schüler und vom Reformwillen der türkischen Regierung. »Statt der erhofften verschleierten Haremsdamen und geschwungenen Krummsäbel«, schrieb er 1971, »fand ich einen unerhört starken und ehrlichen Willen für eine komplette Reformation der Wissenschaft und Kunst vor«. Schon 1932 hatte die türkische Regierung den Genfer Pädagogikprofessor Albert Malche mit der Reform des türkischen Hochschulwesens beauftragt, und als im August 1933 die Universität Istanbul eröffnet wurde, wurden 38 Ordinarien mit Ausländern besetzt, nur 27 Professoren waren Türken. Auch der SPD-Politiker und spätere Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter, der nach einem KZ-Aufenthalt über London in die Türkei geflohen war, erhielt eine Professur: 1938 wurde er auf den Lehrstuhl für Kommunalpolitik und Städtebau an der Hochschule für Politik in Ankara berufen; ab 1940 leitete er dort das Institut für Kommunalwissenschaften.

Es sind sehr unterschiedliche Lebensläufe, die in der Ausstellung präsentiert werden. Die Autoren haben vor allem die Biographien von Prominenten nachgezeichnet, etwa die des Architekten Bruno Taut, der seit 1936 an der Kunstakademie in Istanbul tätig war. Oder den Lebenslauf von Alfred Braun, dem Rundfunkpionier und späteren SFB- Intendanten, der aus politischen Gründen aus Deutschland fliehen mußte und von 1937 bis 1939 als Schauspiellehrer und Sprecherzieher in der Türkei lebte, dann aber über die Schweiz und Österreich wieder nach Berlin zurückkehrte, um dort als Reporter für den Großdeutschen Rundfunk zu arbeiten. Auch Ernst Engelberg, später einer der einflußreichsten Historiker der DDR, emigrierte in die Türkei und arbeitete von 1941 bis 1947 als Lektor an der Universität Istanbul.

Daneben wird auch das Exil von Menschen geschildert, die bisher weitgehend unbekannt waren. Besonders interessant ist das Leben, das die Kinderärztin Erna Eckstein in der Türkei geführt hat. Sie floh zusammen mit ihrem Mann Albert nach Ankara, nachdem dieser 1935 wegen seiner jüdischen Herkunft seinen Posten als Direktor eines Kinderkrankenhauses in Düsseldorf verloren hatte. Erna Eckstein durfte in der Türkei nicht arbeiten, begleitete aber ihren Mann, der eine renommierte türkische Kinderklinik leitete, auf vielen Reisen ins Innere des Landes. Ihr Tagebuch, das sie 1938 während einer Forschungsreise durch West- Anatolien verfaßt hat, vermittelt lebhafte Eindrücke vom Leben außerhalb der türkischen Großstädte und schildert die damals noch völlig unentwickelten Gebiete, die inzwischen teilweise zu Zentren des Tourismus geworden sind.

Während des Krieges und nachdem Franz von Papen 1939 deutscher Botschafter in Ankara geworden war, wurde die Lage für die damals etwa 2 000 deutschen Flüchtlinge in der Türkei schwierig. Nach Kriegsende blieben viele noch bis 1949 in der Türkei. Ihre Spuren versucht die Ausstellung ebenfalls nachzuzeichnen.

Angela Martin

*** »Haymatloz - Exil in der Türkei 1933-1945« Ausstellung. Akademie der Künste, Berlin-Tiergarten, bis 20. 2. 2000, Dienstag bis Sonntag 10 bis 19 Uhr, Eintritt frei. Katalog 38 DM