Frankfurter Rundschau, 20.1.2000

Kommentar

Schöne neue Regeln

Mit ihren Richtlinien zum Rüstungsexport hat die Bundesregierung einen kunstvollen Kompromiss gefunden

Von Helmut Lölhöffel

Die Herstellung von Kriegswaffen und die Ausfuhr von Rüstungsgütern sind und bleiben Geschäfte mit dem Tod. An dieser schrecklichen Einsicht ändern einschränkende Richtlinien oder steuernde Grundsätze nichts. Denn es gibt nun einmal Waffenhersteller und Rüstungslieferanten. Sie produzieren weltweit im Jahr Großwaffen im Wert von rund 200 Milliarden Dollar, und die Händler setzen mehr als 20 Milliarden Dollar um. Die Deutschen sind mit einer Milliarde dabei. Die Rüstungskonzerne sind eine Wirtschaftsmacht. Und Waffenverkäufe sind Politik. Weil Panzer und U-Boote, Granatwerfer und Gewehre eben keine Handelsgüter wie andere Waren des täglichen Bedarfs sind, bleiben diese Geschäfte nicht der Wirtschaft überlassen. Regierungen behalten sich die letzte Entscheidung vor. Für die Genehmigungspraxis müssen Regeln aufgestellt werden. Dass sie umstritten sind, liegt in der Interessenlage der Beteiligten begründet, also der Außen- und der Wirtschaftspolitiker, ihrer kontrollierenden Instanzen sowie der Rüstungsindustrie und ihrer Lobby.

Mit ihren jetzt beschlossenen neuen Richtlinien hat die Bundesregierung einen kunstvollen Kompromiss gefunden. In ihm steckt erkennbar der Vorsatz, bei Ausfuhranträgen tatsächlich genauer hinzusehen. Andererseits braucht sich die heimische Wehrindustrie nicht so beschnitten zu fühlen, dass sie drohen muss, ihre Betriebe zu schließen und damit Arbeitsplätze zu vernichten. Schließlich wird die Durchschaubarkeit und damit die Kontrollierbarkeit von Waffengeschäften etwas größer. Vor dem Hintergrund von Schmiergeldaffären, die teilweise mit Rüstungsexporten zu tun haben, ist dies ein beachtenswerter Schritt.

In der Bundesrepublik Deutschland hatte die SPD/FDP-Bundesregierung 1971 erstmals "Politische Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" verkündet. Sie wurden 1982 überarbeitet. Unter der danach folgenden CDU/CSU/FDP-Koalition blieb der Text unverändert, wurde aber häufig im Sinne der Waffenhersteller großzügig ausgelegt, was zu gegensätzlichen Bewertungen des zurückhaltenden Auswärtigen Amts und des bereitwilligen Wirtschaftsministeriums führte. 1998 hatte sich die rot-grüne Koalition vorgenommen, Rüstungsexportentscheidungen an der Menschenrechtslage in den Abnehmerländern auszurichten. Ein Leitgedanke lautete: Waffen sollen nicht geliefert werden, wenn anzunehmen ist, dass sie zur inneren Repression benutzt werden.

Doch die gute Absicht und die harte Praxis prallten gleich aufeinander. Bei einer der ersten Entscheidungen brach ein Konflikt aus, der an den Rand des Koalitionsbruchs führte. Die Lieferung eines deutschen Testpanzers an die türkische Armee wurde zum Testfall. Am Ende des Streits stand die Verabredung, einen schon vorliegenden, ziemlich weichen Entwurf neuer Rüstungsexport-Richtlinien zu überarbeiten, also: ihn zu verschärfen. Das ist nun geschehen. Aber wie bei allen politischen Grundsätzen, die nicht mehr als Absichtserklärungen sind, kommt es nun darauf an, wie sie ausgelegt und umgesetzt werden. Die Genehmigungsbehörde, das Bundesausfuhramt, wird die veränderten Regeln nur dann restriktiv anwenden, wenn sie aus Berlin den echten politischen Willen spürt, vorhandene Interpretations- und Ermessensspielräume zu verengen und zu kontrollieren.

Der neue Text hat im Vergleich mit der vorigen Fassung unübersehbare Vorzüge. Das Kriterium der Menschenrechte ist mehrfach stark verankert, ebenso wie der nicht weniger wichtige Zusammenhang, dass ein Land seine wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungschancen nicht durch Rüstungskäufe schmälern soll. Deutlich verbessert ist die Kontrolle des Endverbleibs exportierter Waffen, für Verstöße werden Sanktionen eingeführt. Neuerdings kann die Bundesregierung bei Rüstungskooperationen mit anderen Ländern sogar eingreifen, wenn die Partner in Regionen liefern wollen, die von den deutschen Vorschriften ausgeschlossen wären.

Es gibt aber auch unverkennbare Nachteile. So werden verschiedene Ländergruppen gebildet, was in Einzelfällen problematisch sein kann: Die Erde lässt sich heute nicht mehr wie zu Zeiten des Kalten Kriegs nach dem Schwarz-weiß-Muster in gute und böse Staaten einteilen, sondern die Grauzonen haben sich vergrößert. Bei den Kooperationen tun sich Schlupflöcher auf. Und dass bei Zulieferungen von Teilen zum Einbau in fremde Waffensysteme auf Mitsprache verzichtet wurde, ist ein bedauerlicher Mangel.

Entscheidend für die öffentliche Nachvollziehbarkeit von Rüstungsausfuhren wird sein, wie die Berichte aussehen, die die Bundesregierung dem Parlament künftig jährlich vorlegen will. Daran lässt sich messen, wie ernst die neuen Formulierungen gemeint sind: Ob die Regeln nur schöner klingen oder auch schärfer sind und ob sich die nüchterne Praxis an den Geist der neuen Richtlinien halten wird.