Die Presse (Wien), 20.1.2000

Ankara geht mit einer Säuberungsaktion gegen die Opposition vor

Den Fundamentalisten, der kurdischen Hisbollah und der Tugendpartei, hat die Türkei den Kampf angesagt.

Von unserem Korrespondenten JAN KEETMAN

ISTANBUL. Es riecht ganz nach einer konzertierten Aktion Ankaras gegen die legale und illegale Opposition. Zuerst ließ zu Beginn der Woche der Anführer der kurdischen Hisbollah, Hüseyin Velioglu, bei einem vierstündigen Feuergefecht mit der Polizei in Istanbul sein Leben. Am Mittwoch lieferten die türkischen Behörden prompt die Begründung nach: Bei einer Hausdurchsuchung fanden sie die Leichen von neun vermißten kurdischen Geschäftsleuten, deren Entführung der Hisbollah zur Last gelegt wird. Zwei Kaufleute sind noch abgängig. Und ganz nebenbei erwägt der strenge Generalstaatsanwalt Vural Savas einen Schlag gegen die stärkste Oppositionspartei, die fundamental-islamische Tugendpartei. Die Partei unterminiere ebenso wie ihre Vorgängerin, die 1997 verbotene Wohlfahrtspartei, die Verfassung. Das ursprüngliche Ziel der Hisbollah, die sich nach der islamischen Revolution im Iran Anfang der 80er Jahre formierte, war die Gründung eines islamischen Staates unter den türkischen Kurden. Sicherheitskreise in Ankara haben immer wieder behauptet, die Hisbollah sei direkt von Teheran eingesetzt worden, was von der Organisation mit dem Hinweis, daß sie als sunnitische Moslems mit den iranischen Schiiten nichts zu tun hätten, bestritten wurde. Anfang der 90er Jahre sah die Hisbollah als fundamentalistische islamische Organisation eine Gefahr im wachsenden Einfluß der PKK (Kurdische Arbeiterpartei) und es begann ein gnadenloser Kampf zwischen den beiden illegalen Organisationen. Die Hisbollah führte einen regelrechten Feldzug gegen PKK-Sympathisanten wie Anwälte, Geschäftsleute, Kommunalpolitiker, Gewerkschafter und Journalisten. Die Zahl der Opfer wird auf 2000 geschätzt. Die PKK wiederum revanchierte sich mit Bombenanschlägen auf Teehäuser, die als Treffpunkte der Hisbollah galten.

Dreckarbeit fürs Militär

Gleichzeitig aber machte die PKK einen bemerkenswerten ideologischen Wandel durch. Ihr Führer Abdullah Öcalan sprach immer häufiger auch über Religion. Ganz im Sinne der Fundamentalisten erließ die PKK ein Alkoholverbot für alle Kurden. So kam es schon bald zu einem Waffenstillstand zwischen der PKK und einem Teil der Hisbollah. Ein anderer Flügel setzte den Kampf gegen die PKK jedoch unbeirrt fort. An der Spitze befand sich ausgerechnet ein ehemaliger Mitstudent Öcalans, Hüseyin Velioglu. Er konnte sich dabei auf die Unterstützung der türkischen Sicherheitskräfte verlassen, für die er einen Teil der Dreckarbeit erledigte. Velioglus Leuten gelang es, den Einfluß der PKK in den Städten zurückzudrängen. Doch nun geht es der überflüssig gewordenen Organisation offenbar selbst an den Kragen.