Main Rheiner, 19.1.2000

Protokoll einer durch Folter Verstummten

Die Caligari-FilmBühne zeigt morgen "Dunkle Schatten der Angst"

von Konstantin Schmidt

gbs. - Für ihn selbst ist dieser Film das Verarbeiten eines Themas gewesen, das ihn belastet, denn er hat viele Freunde verloren. Nachdem der in Istanbul als Sohn deutscher Eltern 1961 geborene, seit 1989 in Wiesbaden lebende Regisseur Konstantin Schmidt seinen Film "Dunkle Schatten der Angst" (1993) gedreht hatte, eröffneten ihm einige seiner türkischen Freunde, dass sie auch gefoltert wurden. Schmidt kannte sie schon lange, als er dies erfuhr. Dieses nüchterne und bedrängend-realistische Spielfilm-Debüt für die ZDF-Reihe "Das Kleine Fernsehspiel" läuft am morgigen Mittwoch, 19.Januar, um 20 Uhr auf Initiative von Amnesty International in der Caligari-FilmBühne (Marktplatz 9). In Berlin greift die Polizei eine Gruppe von Ausländern auf, die durch Schlepper ins Land kamen. Zu diesen von Leid gezeichneten Menschen gehören auch der ältere Türke Mohammed (Tuncel Kurtiz) und eine stumme und apathische junge Frau (Nur Sürer), deren Gesicht Bänder spricht. Vor der Asylbewerberstelle fällt die Frau in Ohnmacht, kommt zunächst ins Krankenhaus, dann in die Psychiatrie. Mohammed sucht die Frau, weil er sie als seinen Schützling betrachtet, ihr inneres Leid "sieht" In der Psychiatrie durchlebt die Frau parallel zur Gegenwart im Krankenhaus immer und immer wieder das Trauma der Folter, die sie verstummen ließ.

Die trostlose Verwaltungs-Mentalität der deutschen Bürokratie wird von Schmidt und seinem brillanten Kameramann Pio Conradi ebenso beredet vermittelt, wie die Situation des Personals im völlig überlasteten Krankenhaus. Nur eine Ärztin (Annette Uhlen) versucht, der namenlosen, in ihrer Persönlichkeit zerstörten Frau zu helfen.

Wenn man heute Nachrichten hört und hinterher diesen Film anschaut, dann bleibt er von beklemmender Aktualität, zumal der Folter-Vorwurf nicht konkretisiert wird auf ein Land. Damit wird auch die Übertragbarkeit auf viele andere Schicksale deutlich. Etwas traurig stimmt es Konstantin Schmidt, dass sein Film bei Festivals und im Ausland weitaus mehr als in Deutschland gezeigt wird. Insbesondere das Goethe-Institut interessiert sich sehr für "Dunkle Schatten der Angst".

Schmidt war 1993 bei einer Aufführung in Ankara dabei, zwei Offiziere saßen im Publikum. Jemand stellte die Frage: "Sie definieren nicht, woher die stumme Frau kommt, warum haben Sie dann eine türkische Schauspielerin genommen?" Eine Zuschauerin sprang auf und meinte:" Wenn die Schauspielerin keine Türkin gewesen wäre, würden wir uns nicht trotzdem an uns erinnern?" Ein Zuschauer fragte:" Wenn Sie die Türkei auch meinen, dann haben Sie sicher die Situation in der Türkei vor 1980 gemeint?". Das Publikum reagierte mit Gelächter. Ein von der deutschen Botschaft nach der Aufführung angekündigter Empfang wurde abgesagt, als man von dem Folter-Thema hörte. Statt dessen gab es für den Regisseur eine kleine Privat-Audienz.

Mit Blick auf seinen Film, dessen Autor er auch ist, sagt Schmidt: "In den Ländern wo gefoltert wird, findet dies heute unter ärztlicher Aufsicht statt. Opfer haben folglich ein besonderes Verhältnis zu weißen Kitteln. Die Folter bekommt wissenschaftlichen Charakter und wird schrecklich unter den Tisch gekehrt." Derzeit hat Schmidt in Wiesbaden mit seiner Frau Pia Lauck-Schmidt eine Agentur für neue Medien. So kommt er in ganz unterschiedliche Management-Kreise, wo man über Menschenrechte ganz anders redet. Doch lieber verliert er einen Kunden, ehe er seine Meinung nicht sagen würde. Wenn die zwei Töchter groß sind, möchte er gern wieder filmen.

übrigens sind seine beiden Hauptdarsteller in der Türkei Stars und deshalb auch unantastbar. Nur Sürer kann im Fernsehen sagen, dass die Kurden schlecht behandelt werden - und es passiert ihr nichts. Ihre Beliebtheit ist sehr groß, sie engagiert sich politisch stark, insbesondere im türkischen Friedensverein. - Vielleicht sendet das ZDF diesen Film auch einmal zur Hauptsendezeit?