Stuttgarter Nachrichten, 19.1.2000

Ohne deutsche Urlauber geht es einfach nicht

Auf den Spuren der Stammväter

Ein Jahr nach PKK-Terror und Erdbeben: Als Reiseland ist die Türkei wieder gefragt

Istanbul - Erleichtert atmen Hoteliers in der ganzen Türkei auf. Endlich ging der Polizei ein seit fünf Jahren gesuchtes Gaunerpärchen ins Netz: In mehr als 100 Luxushotels hatten Dogan D. und Osman D. sich in den vergangenen Jahren unter falschen Namen eingemietet, um dann die benachbarten Zimmer aufzubrechen und sich an Geld und Wertsachen ihrer Miturlauber zu bedienen.

Von unserer Korrespondentin SUSANNE GÜSTEN, Istanbul

Dass den beiden jetzt das Handwerk gelegt werden konnte, mag der leidgeprüften Branche zu Jahresbeginn als gutes Omen erscheinen. Denn tatsächlich sieht es so aus, als könne die türkische Fremdenverkehrsindustrie nach einem katastrophalen Jahr neue Hoffnung schöpfen: Die Türkei ist als Urlaubsziel der Europäer und vor allem der Deutschen in der neuen Saison wieder in.

Schon registriert der Verband der türkischen Reiseveranstalter bei Vorbestellungen aus Europa einen Rekord, sagt sein Generalsekretär Hüseyin Baraner. Auch das Reiseunternehmen Ihlas-Tourismus sieht auf dem deutschen Markt einen Rekord. Genauso heißt es bei Öger-Tours, dem größten deutschen Türkei-Veranstalter: ¸¸Die Buchungen ziehen wieder an. Wir erwarten einen sehr guten Sommer.''

Einen solchen kann die Branche nach den Tiefschlägen des vergangenen Jahres auch gut gebrauchen. Erst hatte die kurdische Rebellenorganisation PKK die Urlauber vergrault: Sie hatte nach der Festnahme ihres Anführers Abdullah Öcalan gedroht, den Tourismus zum Ziel von Terroranschlägen zu machen. Dann hatte eine Serie verheerender Erdbeben jede verbliebene Reiselust auf das Land zunichte gemacht, zumal ein mittleres Beben auch den Ägäis-Badeort Marmaris traf. Diese Ereignisse schlugen sich in der Bilanz der Branche nieder: Hatte der Tourismussektor nach knapp 10 Millionen ausländischen Besuchern 1998 schon mit 12 Millionen Touristen für 1999 gerechnet, wurden bis Anfang Dezember in einer vorläufigen Bilanz nur 7,1 Millionen gezählt.

Besonders schmerzhaft machte sich das Ausbleiben der Deutschen als traditionell stärkster Gruppe bemerkbar. Nach 2,1 Millionen Deutschen in den ersten elf Monaten 1998 kamen im selben Zeitraum des vergangenen Jahres nur noch 1,3 Millionen Bundesbürger in die Türkei. Die Auswirkungen auf die ohnehin krisengeschüttelte türkische Wirtschaft waren verheerend: Die Tourismusindustrie ist der wichtigste Devisenbringer des Landes und in den Küstengebieten mit einer Million direkt Beschäftigten und einer weiteren Million indirekt Beschäftigten der größte Arbeitgeber.

Umso größer sind nun die Hoffnungen auf einen Aufschwung. Die Vorzeichen stehen nicht schlecht: Immerhin hat die PKK weder ihre Drohung mit Terror gegen Touristen wahr gemacht noch ihren bewaffneten Kampf gegen die Türkei weitergeführt. Der relativ ordentliche Ablauf des Hochverratsverfahrens gegen den Rebellenchef und der wahrscheinliche Verzicht auf seine Hinrichtung haben ebenfalls ¸¸Sympathien zurückgewonnen'', heißt es bei Öger-Tours. Bei Ihlas freut man sich indes nicht zu früh - und hofft inständig auf einen entsprechenden Regierungsbeschluss.

Auch die Erdbeben-Angst ist weitgehend verflogen. Zugute kommt der Türkei zudem der Millenniumswechsel: Im Jahr 2000 zieht es viele christliche Gruppen zu biblischen Reisen durch die anatolischen Stätten des frühen Christentums. Darüber hinaus hat die Anerkennung der Türkei als EU-Beitrittskandidatin einen unerhofften Werbe-Effekt gebracht. Die Entscheidung der EU hat einen starken ¸¸psychologischen Effekt'' auf die Europäer, stellt Reiseveranstalter-Funktionär Baraner fest. Und offenbar betrachten auch die Deutschen die Entscheidung der EU als Gütesiegel für ihren Urlaub, bestätigen Öger und Ihlas.

Jenseits von Politik, Kriegen und Naturkatastrophen ist es aber vor allem der Geldbeutel, der die Europäer wieder in die Türkei treibt. Das Land zählt noch immer zu den preisgünstigsten Urlaubsländern. Außerdem haben viele Hotels und Clubs in der Türkei nach dem Schock vom Vorjahr ihre alten Preise beibehalten oder weiter gesenkt. In Istanbul sind derzeit noch immer Fünf-Sterne-Übernachtungen für den Preis von Drei-Sterne-Hotels zu bekommen.

Trotz steigender Buchungen sehen die türkischen Manager noch viel Handlungsbedarf, um die Pleite von 1999 wettzumachen. Zwar hätten die Reiseveranstalter viel Aufklärung betrieben. Doch der türkische Staat selbst sei viel zu wenig aktiv, um den Sektor zu unterstützen, lautet ihr Vorwurf. Hier weilte schon Abraham: Nun, im Jubiläumsjahr 2000, soll die große Moschee in Halil-Ür Rahman im ostanatolischen Sanliurfa christliche Pilger anziehen.