Tages-Anzeiger (CH), 19.1.2000

Tragischer Irrtum

Mit dreiwöchiger Verspätung bestätigt Italiens Küstenwache das Kentern eines albanischen Bootes mit 59 Flüchtlingen an Bord.

Von Oliver Meiler, Rom

Niemand wollte der Vermisstmeldung glauben: Angehörige von albanischen Flüchtlingen haben seit dem 31. Dezember immer wieder erfolglos bei den apulischen Behörden Alarm geschlagen. In jener Nacht hätte ein Schlepperboot mit ihren Verwandten aus der albanischen Hafenstadt Vallona den Kanal von Otranto überqueren sollen. Der Kahn kam aber nie an der apulischen Küste an. Jetzt, fast drei Wochen nach dem Unglück, bestätigt die italienische Grenzpolizei, dass das überbesetzte Boot in der Adria gekentert sei. 59 Passagiere - Albaner, Kurden, Chinesen und Moldauerinnen - seien dabei gestorben. Die Finanzpolizei hat an der Meeresoberfläche den Leichnam einer jungen Frau gefunden, die sich mit einem Seil am Schnellboot festgebunden hatte. Die Autopsie ergab, dass die Frau bereits über zwei Wochen tot war.

Warum zweifelten die Behörden die Aussagen der Angehörigen an? Es scheint zu einer tragischen Verwechslung gekommen zu sein. In jener Nacht hatte ein weiteres Schlepperboot mit 29 Emigranten an Bord Vallona verlassen. Die See war stürmisch. Das Schiff machte einen Umweg, um der apulischen Küstenwache zu entgehen, geriet in Seenot und konnte schliesslich von einem türkischen Rettungsboot in Sicherheit gebracht werden.

Die italienische Finanzpolizei ging davon aus, dass das gerettete Boot das einzige war, das an jenem Abend zwischen Vallona und Taranto kreuzte - und ignorierte die Hilferufe. Jetzt untersuchen zwei Staatsanwaltschaften die Hintergründe des Unfalls mit dem zweiten Boot.

Schlepper suchen das schnelle Geld Regelmässig verunglücken Boote im Kanal von Otranto, dem kürzesten Weg zwischen Albanien und der südostitalienischen Küste. Meist darum, weil die Schlepper ihre rund 15 Meter langen Schiffe heillos überladen. Am fatalsten endete eine solche Überfahrt im März 1997, als eine Fähre mit illegalen Einwanderern mit einem italienischen Schiff kollidierte. Damals kamen 86 Menschen ums Leben. Rom arbeitet mit Tirana zusammen, um den Schleppern das Handwerk zu legen - bisher jedoch mit bescheidenem Erfolg. Die Banden scheinen intensive Kontakte zur apulischen Mafia, der Sacra Corona Unita, zu pflegen.