junge Welt, 17.1.2000

Druck auf Justiz wächst

Proteste von türkischen und kurdischen Gefangenen fortgesetzt. Behörden spielen auf Zeit

Der Hungerstreik von türkischen und kurdischen Gefangenen in deutschen Strafanstalten gegen die Isolationshaft geht weiter. Während sich der Gesundheitszustand einiger Häftlinge dramatisch verschlechtert hat, versuchen die Anstaltsleitungen, den Abbruch des Streiks zu erzwingen. Doch der politische Druck auf Justizbehörden und Gerichte wächst.

Die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke stellte sich mit einer schriftlichen Erklärung demonstrativ hinter die Forderung der Gefangenen nach Aufhebung der Isolation. In dem Schreiben heißt es, das System der Isolationshaft werde »zu Recht als >weiße Folter< kritisiert«. Jelpke appelliert an die Justiz, »die Schikanen gegen die Gefangenen einzustellen und ihre Haftbedingungen zu verbessern«.

Hans-Eberhard Schultz, Bremer Anwalt des seit 48 Tagen in Hamburg hungerstreikenden Ilhan Yelkuvan, plant, eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Das Gericht könnte per Einstweiliger Anordnung die Aufhebung der Isolationshaft durchsetzen.

Die länger als ein Jahr andauernde Isolation des Sympathisanten der Revolutionären Volksbefreiungspartei - Front (DHKP-C) ist Auslöser für den bundesweiten Hungerstreik, an dem inzwischen 15 Gefangene beteiligt sind. Yelkuvan muß sich in der Untersuchungshaftanstalt 23 Stunden am Tag in einer winzigen, völlig weiß gestrichenen Zelle aufhalten. Jeder Kontakt zu Mitgefangenen ist ihm verboten. Seinen Hofgang erhält er zwischen vier und fünf Uhr morgens, weil das Gelände dann noch menschenleer ist. Die Entscheidung über einen von Rechtsanwalt Schultz gestellten Antrag auf Verlegung in den sogenannten Normalvollzug einer anderen Haftanstalt wird vom Gericht hinausgezögert. Mit der Begründung, man müsse erst prüfen, ob dort die medizinische Versorgung des Hungerstreikenden gewährleistet sei. »Das hätte man auch schon früher prüfen können« gab der Anwalt gegenüber junge Welt zu bedenken.

Das Gericht spiele hier ganz offensichtlich auf Zeit. Doch gerade die haben die hungerstreikenden Gefangenen nicht. Der Gesundheitszustand von mindestens drei an der Aktion Beteiligten hat bereits ein kritisches Stadium erreicht. Der seit dem 7. Dezember in der Justizvollzugsanstalt Aachen hungerstreikende Erdogan Cakir liegt seit vier Tagen auf der Krankenstation. Nach Angaben aus Solidaritätskreisen, versucht ihn die Anstaltsleitung mit andauernden Mißhandlungen zum Abbruch des Streiks zu zwingen. So sollen die Wachen den geschwächten und unter Tuberkulose leidenden Häftling während einer Fahrt zu einer ärztlichen Untersuchung in ein Haftkrankenhaus bei Dortmund stundenlang kalter Zugluft ausgesetzt haben.

Die in Hamburg am Hungerstreik beteiligten Nihat Durmus und Ali Ekti leiden unter schweren Kreislaufstörungen und können kaum noch ohne fremde Hilfe gehen. Ekti erbricht alle zu sich genommene Flüssigkeit. Durmus droht die Anstaltsleitung mit der baldigen Zwangsernährung. Es ist zu befürchten, daß einige der Hungerstreikenden schon in den nächsten Tagen einen lebensbedrohlichen Zustand erreichen.

Jörg Hilbert, Hamburg

* Veranstaltung zum Hungerstreik mit den Rechtsanwälten Hans-Eberhard Schultz und Dr. Heinz-Jürgen Schneider sowie der Vertreterin der Prozeßgruppen zu den DHKP-C- Verfahren Elif Saglam: Hamburg, Donnerstag, 20. Januar, 19.30 Uhr, Hochschule für Wirtschaft, Von-Melle-Park 9.