Tagblatt (CH), 14.1.2000

Schachzug Ecevits gegen die PKK

Über sieben Stunden hatte die türkische Regierung über den Aufschub der Hinrichtung von PKK-Chef Öcalan beraten. Am Ende setzte sich aber Regierungschef Ecevit, der die Todesstrafe ablehnt, durch.

Jan Keetman/Istanbul

Vor allem die rechtsextreme Koalitionspartei der Nationalistischen Bewegung (MPH) unter Devlet Bahceli war für eine rasche Vollstreckung des Todesurteils gegen Öcalan eingetreten. Die MPH verdankt ihren Aufstieg zur zweitstärksten politischen Kraft im Lande hauptsächlich ihrer harten Linie gegen die PKK und der dadurch angestachelten nationalistischen Stimmung. Bahceli verweigerte nach dem Regierungsbeschluss das Gespräch mit der Presse. Er sagte lediglich: «Möge es gut für unsere Nation sein.»

Warnung des Premiers

Ecevit machte aber für den Aufschub der Hinrichtung Öcalans eine wichtige Einschränkung: «Wenn die Terrororganisation (die PKK) und ihre Anhänger versuchen, diesen Prozess gegen die Interessen des Staates zu verwenden, dann wird der Aufschub widerrufen und der Prozess der Hinrichtung sofort wieder aufgenommen.» Damit beruhigte er vorerst die Nationalisten, doch Ecevits Äusserung ist auch Druck auf die PKK: Nimmt sie den bewaffneten Kampf wieder auf, wird Öcalan sogleich hingerichtet. Das Bemühen, die PKK so im Zaum zu halten, dürfte für Ecevit ein ebenso wichtiger Grund für den Hinrichtungsaufschub sein wie der Druck der EU, zunächst die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abzuwarten. Denn Ecevit gewinnt damit gegenüber der PKK ein bis zwei Jahre Zeit, denn etwa so lange wird das Verfahren in Strassburg dauern.

Proteste

Ecevit ist grundsätzlich gegen die Todesstrafe und will sie mit Blick auf den Eintritt in die EU ganz abschaffen. Dies aber entspricht keineswegs der Stimmung in der Türkei. Der eine harte Haltung vertretende Oberste Staatsanwalt der Türkei, Vural Savasch, sagte noch am Mittwochabend: «Wenn es denn nötig ist, die Todesstrafe wegen des EU-Beitritts abzuschaffen, so kann man das auch ganz zuletzt vor dem Beitritt tun.» In Ankara demonstrierten gestern Angehörige getöteter Soldaten gegen den Hinrichtungsaufschub.