Ap, 14.1.2000

Öcalan fordert von Türken und Kurden ernsthaften Friedenswillen

Vorläufige Aussetzung seiner Hinrichtung «ein neuer Anfang»

Ankara (AP)

PKK-Führer Abdullah Öcalan hat am Freitag an die Türkei appelliert, die vorläufige Aussetzung seiner Hinrichtung als Friedenschance zu ergreifen. Gegner und Befürworter dieses Schritts «sollten dies nicht als Niederlage oder Sieg betrachten», hieß es in einer von der Tageszeitung «Özgur Bakis» veröffentlichten Erklärung Öcalans aus dem Gefängnis. Türken und Kurden müssten ernsthaft auf einen Frieden hinarbeiten. «Der erreichte Punkt ist ein neuer Anfang.» Die Regierung in Ankara hatte sich am Mittwochabend darauf verständigt, vor einer Hinrichtung Öcalans die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg abzuwarten.

Gegen die Entscheidung hatten insbesondere Angehörige von Soldaten protestiert, die im Kampf gegen Mitglieder der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) ums Leben kamen. Zwei der Angehörigen setzten sich am Donnerstag demonstrativ in Brand; sie erlitten leichte Verletzungen. Ein Kommentar in der Tageszeitung «Hürriyet» rief die Angehörigen zu Geduld auf. «Mit Groll kann nichts erreicht werden. Die Interessen unseres Landes und die Zukunft unserer Kinder zwingt uns zu diesem Schritt.» Die der rechtsextremen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) nahe stehende Zeitung «Ortadogu» bestand hingegen am Freitag auf der Vollstreckung der Todesstrafe. «Die Hinrichtung ist nötig», titelte das Blatt.

Die Abschaffung der Todesstrafe ist eine von mehreren Voraussetzungen, die die Türkei vor einer Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU erfüllen muss. Der Aufschub der Hinrichtung wurde international mit Erleichterung aufgenommen. Ein Staatssicherheitsgericht hatte Öcalan im Juni wegen Hochverrats und Separatismus zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde von einem türkischen Berufungsgericht bestätigt, die Verteidigung rief aber den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an. Der Gerichtshof forderte Ankara am 30. November auf, die Exekution auszusetzen.

Seit seiner Verhaftung im Februar hat Öcalan wiederholt Friedensangebote gemacht, die Kämpfer der PKK zum Rückzug aufgefordert und einen Waffenstillstand angeordnet. Die Regierung in Ankara sah darin jedoch nur einen taktischen Schritt. Viele Türken machen Öcalan persönlich für 37.000 Tote verantwortlich, die der Krieg gegen die kurdischen Rebellen im Osten des Landes seit 1984 forderte.