Saarbrücker Zeitung, 14.1.2000

Jetzt muss Öcalan seine Genossen fürchten

Aufschub der Hinrichtung an Wohlverhalten der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) geknüpft

Istanbul (afp). PKK-Chef Abdullah Öcalan soll in seiner Zelle auf der Gefängnisinsel Imrali einen Stoßseufzer der Erleichterung getan haben, als vom Aufschub seiner Hinrichtung erfuhr - so berichten es jedenfalls türkische Zeitungen. Allerdings könnte der Rebellenchef doch noch erbleicht sein, als er von der Bedingung erfuhr, an die die türkische Koalition ihre Entscheidung knüpfte: Sollten die PKK oder ihre Anhänger versuchen, das Entgegenkommen Ankaras für ihre Zwecke auszunutzen, dann komme ihr Chef sofort an den Galgen, warnte Ministerpräsident Bülent Ecevit. Diese Verknüpfung kommt für den Rebellenchef zu einem ungünstigen Zeitpunkt, denn in der PKK regt sich immer mehr Widerstand gegen seine Friedensappelle. Einige Gruppierungen wollen sogar den bewaffneten Kampf wieder aufnehmen - Öcalan könnte das nun mit dem Leben bezahlen. "Jetzt hält die PKK den Strick für Öcalan in der Hand", hieß es in einer türkischen Zeitungsüberschrift. Das dürfte dem PKK-Chef zwar immerhin lieber sein, als wenn dieser Strick in den Händen der rechtsextremen Koalitionspartei MHP bliebe, die für den sofortigen Vollzug des Todesurteils eintritt. Auch ist der Warnvermerk im Koalitionsbeschluss eher als Trostpflaster für MHP-Chef Devlet Bahceli zu verstehen, der seinen Anhängern nach siebenstündigem Ringen in der Koalition nicht als Verlierer gegenübertreten wollte, denn als Absichtserklärung. Völlig sicher kann Öcalan sich aber nicht fühlen. Noch nie seit Beginn seines Prozesses waren eine Spaltung der PKK und neue Aktionen gegen die Türkei so wahrscheinlich wie jetzt.

Ein gutes halbes Jahr lang folgte die PKK scheinbar geschlossen den Aufrufen ihres inhaftierten Anführers zur Beendigung des bewaffneten Kampfes und zum Rückzug aus der Türkei. Doch inzwischen reicht es Teilen der Rebellenorganisation offenbar. Das PKK-Zentralkomitee musste letzte Woche schon von zwei Rebellentruppen distanzieren, die den Rückzugsbefehl verweigern und sich in den südostanatolischen Bergen verschanzt haben. Die PKK sei für ihre Aktionen nicht verantwortlich, erklärte das Zentralkomitee zwar - doch das dürfte die Hinterbliebenen der kurz darauf bei einem Rebellenangriff gestorbenen türkischen Soldaten nicht interessieren. "Tod der PKK", skandierten die Trauergäste bei der Beerdigung in Ankara - und versuchten vergeblich, den Koalitionsgipfel im Ministerpräsidentenamt zu stürmen.

Auch auf dem außerordentlichen Parteitag der PKK, der in diesen Tagen an geheimem Ort in Iran über den von Öcalan angeordneten Wandel zur legalen politischen Partei berät, scheint nicht alles so glatt zu gehen, wie der PKK-Chef sich dies wünschen dürfte. Von offenem Krach ist da zu hören; der Parteitag soll zwischen den "Tauben" um den Bruder des PKK-Chefs, Osman Öcalan, und den "Falken" des PKK-Kommandanten Bayik gespalten sein.

Und während bei diesen Berichten noch Zweifel über mögliche Einstreuungen des türkischen Geheimdienstes bestehen mögen, so tritt der Zwist bei der kurdischen Diaspora in Westeuropa umso offener zutage. In einem Schreiben, das in diesen Tagen bei der Nachrichtenagentur AFP in Paris einging, melden eine ganze Reihe von bisherigen PKK-Mitgliedern ihren Protest gegen die neue Linie und ihren Austritt an. "Die Erklärungen von Öcalan und vom PKK-Führungsrat haben nur ein Ziel: Öcalans Kopf zu retten", heißt es darin. Der bewaffnete Kampf dürfe erst nach Verhandlungen mit der Türkei und einer Einigung der Konfliktparteien aufgegeben werden. Daher unterstützten sie ab sofort nur noch Hamili Yildirim, den Kommandanten einer im Südosten der Türkei verbliebenen PKK-Einheit, verkündeten die Verfasser.