Handelsblatt, 13.1.2000

Ecevit hofft auf Kompromiss mit Vizepremier Bahceli

Türkische Regierung berät über Öcalans Hinrichtung

Reuters ANKARA. Das türkische Kabinett sollte am Mittwoch über das Todesurteil gegen den Kurdenführer Abdullah Öcalan beraten. Ministerpräsident Bülent Ecevit sagte, er hoffe auf einen Kompromiss. Zuvor war es zwischen Ecevit und seinem Vize Devlet Bahceli zum Streit über den Zeitpunkt der Parlamentsabstimmung über die Bestätigung des Urteils gekommen. Bahceli hatte erneut die baldige Hinrichtung des Chefs der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) gefordert. Ecevit sprach sich gegen eine Vollstreckung und für die generelle Abschaffung der Todesstrafe aus, um die jüngste Annäherung der Türkei an die Europäische Union (EU) nicht zu gefährden.

Ecevit wird in seiner Forderung nach späterer Entscheidung über die Hinrichtung offenbar auch vom Geheimdienst unterstützt. Die Zeitung "Sabah" zitierte aus einem Geheimdienst-Bericht, der Öcalans Wert für eine friedliche Beilegung des Konfliktes hervorhebt. Die Türkei solle den Kurdenführer noch eine Zeit lang für ihre Interessen benutzen, hieß es dem Blatt zufolge in dem Bericht.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei aufgefordert, eine Parlamentsdebatte zu verschieben, bis es über eine Klage Öcalans gegen das Urteil entschieden hat. Die Entscheidung darüber, wann das Urteil dem Rechtsausschuss des Parlaments vorgelegt wird, liegt beim türkischen Justizministerium. Dem Ministerium ist dazu keine Frist gesetzt. Gegenwärtig liegen ihm 35 Todesurteile vor, die zum Teil bis zum Jahr 1991 zurückreichen. In der Türkei wurde seit 1984 keine Hinrichtung mehr vollstreckt. Die Europäische Union (EU) hat die Türkei gewarnt, eine Hinrichtung Öcalans könne dem von der Türkei angestrebten EU-Beitritt im Weg stehen.

Öcalan war im vergangenen Juni zum Tode verurteilt worden. Während des 15 Jahre dauernden Kampfes der PKK für einen unabhängigen Kurden-Staat im Südosten der Türkei kamen rund 30 000 Menschen ums Leben.