Die Presse (Wien), 13.1.2000

Türkische Regierung setzt Öcalan-Hinrichtung vorerst aus

Premier Ecevit möchte die Todesstrafe abschaffen; seine Koalitionspartner wollen den PKK-Chef hängen sehen.

Von unserem Korrespondenten JAN KEETMAN

ISTANBUL. Nachdem das Verfahren Öcalan in der Türkei juristisch abgeschlossen ist, ist der Vollzug der Todesstrafe zum politischen Streitfall ersten Ranges geworden. Am Mittwoch hat die Regierung in Ankara einen Krisengipfel einberufen. Dabei wurde die Hinrichtung Öcalans vorerst ausgesetzt.

Für Premier Bülent Ecevit ist die Sache klar: Er möchte die Todesstrafe überhaupt abschaffen und so auch der Türkei den Weg nach Europa ebnen. Ecevit will nun die Akte dem Parlament, das letztlich über das Schicksal Öcalans entscheiden muß, so lange vorenthalten, bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden hat.

Das geht Ecevits Koalitionspartnern von der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) entschieden gegen den Strich. MHP-Vorsitzender Devlet Bahceli lehnt es ab, den Fall Öcalan mit europapolitischen Fragen zu verknüpfen. Auch Ängste vor einem Wiederaufflammen des kurdischen Widerstands läßt er nicht gelten. "Der Wunsch nach Frieden kann die Hinrichtung eines Terroristen, der sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hat, der die wirtschaftlichen Ressourcen verschwendet und der das Land in ein Meer von Blut verwandelt hat, nicht verhindern", so Bahceli.

Steckt Bahceli zurück?

Würde Bahceli aufs Ganze gehen, könnte er die Regierung verlassen und versuchen, mit oppositionellen Kräften eine neue Koalition zu bilden, in der er selbst Ministerpräsident würde. Doch nichts deutet darauf hin, daß Bahceli vor hat, das Spiel so weit zu treiben. Der Grund ist einfach: Das Militär ist weiter strikt gegen eine Regierungsbeteiligung der oppositionellen Islamisten.

So ist wahrscheinlich, daß ausgerechnet die Partei, die ihren politischen Aufstieg nicht zuletzt der Parole "Nieder mit der PKK!" verdankt, in der Regierung zusehen muß, wie Ecevit den Führer der PKK vor dem Strang bewahrt. Vielleicht tröstet es Bahceli ein wenig, daß es auch die Opposition kaum einfacher hat. Routiniert versuchte der Chef der Islamistischen Tugendpartei (FP), Recai Kutan, Bahcelis MHP angesichts ihres geringen Kampfeswillens im Falle Öcalan vorzuführen. Doch Kutai mußte schnell erfahren, daß der Fall Öcalan komplizierter gelagert ist.

Denn kaum hatte er Front für die sofortige Abstimmung über Öcalans Hinrichtung gemacht, meldeten sich einige kurdische Abgeordnete aus den Reihen der FP und sprachen sich gegen die Exekution aus. Geschlossen treten nur Tansu Çiller und ihre oppositionelle Partei des Richtigen Weges (DYP) für die Hinrichtung Öcalans ein.

Yilmaz versteckt sich Ihr konservativer Konkurrent, Mesut Yilmaz von der Mutterlandspartei, versteckt sich dagegen in der Regierungskoalition hinter Ecevits Verzögerungstaktik. Yilmaz hatte sich zunächst auf die Hinrichtung Öcalans eingeschworen, wirbt nun aber verstärkt um kurdische Wähler. Wohl um die Öffentlichkeit behutsam darauf einzustimmen, daß man Öcalan nicht hängen wird, veröffentlichten einige Zeitungen Ausschnitte aus Geheimdienstdossiers der Regierung, wonach der Türkei großer politischer und ökonomischer Schaden drohe, wenn Öcalan tatsächlich hingerichtet werden sollte.