Tagblatt (CH), 11.1.2000

Öcalans Schatten auf Ankaras Weg nach Europa

Die türkische Regierung streitet darüber, wie nach dem Todesurteil gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan weiter vorzugehen sei.

Jan Keetman/Istanbul

Premier Ecevit will den Entscheid des Europäischen Gerichts für Menschenrechte abwarten, bevor das türkische Parlament über die Vollstreckung des Urteils abstimmt. Sein wichtigster Koalitionspartner, Devlet Bahceli's nationalistische Partei MHP, fordert, sofort abzustimmen. Ecevit sagte: «Die Türkei ist auf einem glänzenden Weg. Ich wünsche nicht, dass der Schatten Öcalans darauf fällt.» Er fürchtet um die Annäherung an Europa und die dadurch mögliche wirtschaftliche Stabilisierung der Türkei. Der Chef der islamistischen Tugendpartei (FP), Recai Kutan, hatte erklärt, «wer es verdient hat, soll hängen». Der kurdische FP-Abgeordnete Fuat Firat widersprach jedoch: «Die Hinrichtung kann keine Lösung sein. Firats Grossvater, Scheich Said, war Anführer eines Kurdenaufstandes und war 1925 gehängt worden. Weitere Abgeordnete schlossen sich Fuat an und Kutan musste auf ein geschlossenes Votum der FP verzichten. Nur Tansu Cillers Partei des richtigen Weges (DYP) will im Parlament einheitlich für den Vollzug der Todesstrafe stimmen. MHP-Chef Bahceli muss damit rechnen, am Koalitionsgipfel vom 12. Januar überstimmt zu werden. Ecevits dritter Koalitionsparter, Mesut Yilmaz, der sich noch im Frühling für die Hinrichtung ausgesprochen hatte, hält sich inzwischen auffallend zurück.