Die Welt, 8.1.2000

Türkei-Politik der EU stößt auf Skepsis

Abkommen soll Kanditaten neue Märkte öffnen - Konservativen geht Annäherung zu schnell

Von Andreas Middel

Brüssel - Die Türkei kann schon bald von ihrem neuen EU-Kandidatenstatus profitieren. In diesen Wochen sollen zwischen der EU und der Regierung in Ankara Verhandlungen aufgenommen werden, die die "Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen sowie die gegenseitige Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte" zum Ziel haben.

In der Konsequenz heißt dies, dass türkische Unternehmen an der Ausschreibung etwa eines öffentlichen Bauauftrages überall in der EU beteiligt werden müßten. Bislang gelten Auschreibungen von einer gewissen Größenordnung an nur EU-weit. Auch die Liberalisierung in Dienstleistungsbereich könnte zu erheblichen Veränderungen führen. In einem Verhandlungsmandat der EU heißt es, dass die "Erbringer von Dienstleistungen der Europäischen Union und der Türkei das Recht erhalten, Dienstleistungen auf dem Hoheitsgebiet der jeweils anderen Partei zu erbringen".

Nicht nur auf die Baubranche in der EU hätte dies erhebliche Auswirkungen. Auch das gesamte Transportgewerbe hätte mit neuer Konkurrenz aus einem Nicht-EU-Land zu kämpfen.

In Brüssel betont man ausdrücklich, dass es sich bei diesen Vorschlägen um ein Mandat handele. Im Zweifelsfall könnten sich die Verhandlungen lange hinziehen. Dennoch gibt es in einigen Ländern schon jetzt erhebliche Vorbehalten gegen eine solche Öffnung gegenüber der Türkei. Vor allem Österreich hat vor möglichen Konsequenzen eines solchen Dienstleistungsabkommens gewarnt. So fürchtet man in Wien, dass daraus weitere Liberalisierungsschritte folgen könnten, die letztlich eine ungehinderte Zuwanderung von nicht qualifiziertem Arbeitern zur "zur Erbringung von Dienstleistungen" oder gar die absolute Freizügigkeit von Arbeitnehmern ermöglicht.

Nicht nur von österreichischer Seite will man in den Verhandlungen zwischen EU-Kommission und der Türkei festschreiben, dass sich die Dienstleistungsliberalisierung nur auf "hochqualifiziertes Schlüsselpersonal beschränkt".

Das geplante Dienstleistungsabkommen ist nur ein Bestandteil der Heranführung der Türkei an die EU. Denn daneben wird die Regierung in Ankara stärker als bislang finanziell von der EU unterstützt. So rechnet man in Brüssel damit, dass schon bald die bislang Griechenland blockierten Mittel in Höhe von knapp 375 Millionen Euro, umgerechnet 750 Millionen Mark, freigegeben werden könnten. Weitere 1,5 Milliarden Mark der Europäischen Investitionsbank (EIB) sollten ebenfalls schon bald von Athen zugänglich gemacht werden. Schon Ende November 1999 hatten die Finanzminister der EU aus den Töpfen der EIB rund 1,2 Milliarden Mark freigemacht - deklariert als Erdbebenhilfe. Und zusätzliche 300 Millionen sollen im Rahmen der Europa-Strategie an die Türkei fließen.

Vor allem konservativen Politikern gehen diese Entwicklungen hinsichtlich der Türkei entschieden zu weit. Das zeigte sich bei der Klausurtagung der CSU in Kreuth. Europaparlamentarier wie der CSU-Abgeordnete Joachim Wuermeling halten die gesamte Herangehensweise der EU an die Thematik Türkei für hochsensibel.

In der Sache hält man nicht nur bei der CSU, sondern auch in weiten Kreisen der europäischen Christdemokraten und Konservativen den Beschluss von Helsinki für falsch. "Der ist ohne Rücksicht auf die Implikationen für die EU getroffen worden", so Wuermeling.

Doch auch in der Türkei tut man sich mit dem neuen Status schwer, wie die Auseinandersetzungen zwischen Außenminister Ismail Cem und türkischen Nationalisten zeigen. So droht Cem möglicherweise ein Gerichtsverfahren wegen "separatistischer Propaganda", nur weil er sich dafür stark gemacht hatte, dass jeder Bürger der Türkei in Fernsehsendungen seine Muttersprache sprechen darf - auch kurdisch.

Der Europarat im Internet: http://ue.eu.int/de/info/eurocouncil/