Der Standard (A), 8.1.2000

Polizeifolter ist in Türkei gängige Praxis

Die Regierung hat versprochene Verbesserungen bisher nicht eingelöst

STANDARD-Mitarbeiter Erol Akdag aus Istanbul

Die EU fordert von der Türkei die Einhaltung der Menschenrechte als Bedingung für einen Beitritt. Die Regierung arbeitet zwar an einer Serie von Gesetzen, um die Menschenrechte besser zu schützen. Aktuelle Beispiele zeigen jedoch, dass sogar bestehende Gesetze nicht eingehalten werden.

Folter und Brutalitäten der Sicherheitskräfte sind an der Tagesordnung. Auch im vergangenen Jahr starben mehrere Personen unter Polizeigewahrsam. So wurde Süleyinan Yeter bei der Razzia eines Zeitungslokals verhaftet und starb vier Tage später in Untersuchungshaft. Er hatte zwei Jahre zuvor Polizeioffiziere wegen Folter angezeigt und das Verfahren gegen die Beamten war in Gang.

Viele Extremfälle

Am 26. September kamen bei einer Machtdemonstration von Polizei und Gendarmerie mehr als zehn Häftlinge des Sicherheitsgefängnisses in Ankara um, Dutzende wurden verletzt. An der Autopsie durften die Anwälte nicht teilnehmen. Derartige extreme Fälle sind nicht selten und Urteile des Europäischen Gerichtshofs sprechen gegen die bisherige Polizeipraxis. So dürfen in der Türkei bis jetzt Polizeibeamte, die unter Anzeige stehen, weiterhin ihren Dienst versehen. Auch im Falle einer Verurteilung bleiben diese im Polizeidienst. Die meisten Anzeigen werden sowieso nicht berücksichtigt oder enden ohne Verurteilung.

Konkrete Maßnahmen und Gesetzesänderungen sind gefordert. Sebnem Fincanci, Expertin der Forensischen Medizin, spricht von einem großen Nachholbedarf an qualifizierten Gerichtsmedizinern. Viele Mediziner werden eingeschüchtert, um zugunsten der Sicherheitskräfte zu attestieren.

Heidi Wedel, Amnesty-International-Expertin, erklärt, dass auch die Einhaltung von ganz einfachen Normen nicht gewährleistet ist. So wäre schon die standardgerechte Buchführung der Personen unter Polizeigewahrsam ein wichtiger Schritt gegen den Machtmissbrauch.

Im März des vergangenen Jahres hat eine Untersuchungskommission des türkischen Parlaments Haftanstalten im Südosten des Landes untersucht. Die Kommission stellte fest, dass in dieser Region unter Notstandsgesetzgebung Folter zur gängigen Praxis gehörte. Der Bericht wurde bis jetzt nicht öffentlich. Begründung: Die Regierung hält ihn "schädlich für das Ansehen des Staates".

Obwohl politische Bewegungen und Medien in der Türkei eine Vielfalt von Meinungen äußern, konnten die restriktive Gesetzgebung und das wachsame Auge des militärisch dominierten Nationalen Sicherheitsrates einige Tabus aufrechterhalten. Viele Journalisten und Autoren sind immer noch unter Anklage, weil sie gegen die einschränkenden Gesetze verstoßen haben. Wer die Wörter "kurdisches Volk" oder "Kurdistan" verwendet, wird wegen "Erschaffung einer Minorität" angezeigt. Wer Staat, Armee, Regierung, kemalistische Prinzipien oder das "Türkentum" nicht respektvoll beschreibt, verstößt gegen das Strafgesetz. Die türkische Regierung hat versprochen, die Gesetze zu ändern. Ein Entwurf, der einige Artikel des Strafgesetzes und des Antiterrorgesetzes ändern will, wurde dem Parlament vorgelegt, kam aber nie zur Abstimmung.