Tagesspiegel, 8.1.2000

Justiz-Skandal in der Türkei:

Der Pate hat wenig zu befürchten

Berüchtigter Gangster-Boss bekommt nagelneuen Kühlschrank direkt in die Zelle geliefert

Thomas Seibert

Der Mann im hellen Blouson, der schweigend aus dem gepanzerten Fahrzeug aussteigt, ist von schwer bewaffneten Soldaten und Polizisten umringt. Seine mit Handschellen gefesselten Hände ineinander gelegt, wird Alaattin Cakici die wenigen Meter vom Transporter zum Eingang des Gerichtsgebäudes in Istanbul geführt. Doch die bedrohlich wirkende Bewachung für Cakici täuscht - der berüchtigste Mafia-Boss der Türkei hat von der Justiz nur wenig zu befürchten. Selbst bei seiner mit Spannung erwarteten ersten Aussage vor dem Istanbuler Staatssicherheitsgericht erschien er in dieser Woche lediglich als Zeuge - nicht als Angeklagter. Dabei soll Cakici mehr Morde auf dem Gewissen haben als alle anderen türkischen Gangster. Cakici hat die türkische Justiz zum Gespött gemacht - und er kann sich berechtigte Hoffnungen machen, bald ein freier Mann zu sein. Alaattin Cakici begann seine Gangster-Karriere in den siebziger Jahren als Schläger und Killer im Umfeld der Rechtsextremisten. Mit den Jahren verlegte er sich auf andere "Dienstleistungen": Er ließ sich von Geschäftsleuten anheuern, um bei Ausschreibungen von Großaufträgen deren Konkurrenten unter Druck zu setzen oder aus dem Weg zu räumen. Mehrere Morde werden ihm zur Last gelegt, darunter auch der an seiner eigenen Frau. 1998 wurde der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Cakici in Frankreich festgenommen - er hatte einen türkischen Diplomatenpass bei sich, von dem bis heute nicht geklärt ist, wie er in seine Hände geriet. Viele Türken vermuten, dass Cakici über beste Kontakte zu den türkischen Behörden verfügt. "Wenn ich rede, bebt die Erde", ließ er die türkischen Politiker von seiner französischen Gefängniszelle aus wissen.

Fest steht jedenfalls, dass Cakici keine Angst vor türkischen Richtern hat. Deshalb forderte er in Frankreich monatelang selbst seine Auslieferung an die Türkei. Die Überstellung des Schwerverbrechers aus Frankreich nach Istanbul zum Jahresende wurde nur möglich, nachdem sich der türkische Staat verpflichtete, auf die Todesstrafe gegen Cakici zu verzichten - deshalb kann er in der Türkei nicht wegen Mordes vor Gericht gestellt werden. Kaum auf türkischem Boden amgekommen, machte Cakici auch klar, dass er nicht daran denkt, seine Position als Pate aufzugeben und anderen Gangstern das Geschäft zu überlassen. Er sei bereit, alle Rechnungen mit seinen Gegnern zu begleichen - auf offener Straße oder gleich auf den Gefängnisfluren, ließ er die mit ihm verfeindeten anderen Bandenchefs wissen.

Cakici ist nicht der einzige Mafia-Boss, der offenbar prächtig mit den türkischen Behörden auskommt. Sein Kollege Erol Evci wurde Ende vergangenen Jahres nach internationaler Fahndung verhaftet - Evci hatte ein ganzes Jahr lang in aller Seelenruhe in einer Villa in der westtürkichen Stadt Bursa gelebt. Auch Cakici wird von den Behörden auffällig pfleglich behandelt. Bei seiner Ankunft in der Türkei wurde er nicht einmal verhört. Einer der nach der Auslieferung übrig gebliebenen Anklagepunkte wurde seit der Ankunft des Paten in der Türkei bereits fallen gelassen. Nun muss sich Cakici lediglich noch wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und einiger Attentatsversuche verantworten. In wenigen Jahren dürfte er wieder frei sein.

Auf viel verzichten muss Cakici aber auch hinter türkischen Gefängnisgittern nicht. Mit offiziellen Fahrzeugen der Haftanstalt im Istanbuler Stadtteil Kartal, wo er einsitzt, erhielt er jetzt einen Kühlschrank und einen Fernseher geliefert. "Mösyö" Cakici, wie der Gangsterboss wegen des französischen Schutzschildes gegen die Todesstrafe in der Presse genannt wird, muss sich auch vor Gericht nicht viel Mühe geben. Als er jetzt vor dem Istanbuler Staatssicherheitsgericht als Zeuge zum Mord an einem prominenten Geschäftsmann befragt wurde, brachte das den Fall nicht viel weiter: "Drei Stunden lang sagte er nur: 'Ich weiß von nichts'", berichteten die Zeitungen. Das Schweigen ist umso bemerkenswerter, als die türkische Polizei dafür bekannt ist, mangelnder Redseligkeit bei Häftlingen mit kleineren oder größeren Misshandlungen nachzuhelfen. Doch Cakici muss auch in dieser Hinsicht keine Angst haben.