web.de, 6.1.2000

Ecevit fordert Koalition im Fall Öcalan zu Weitsicht auf

«Hinrichtung würde Erfolge der Türkei aufs Spiel setzen»

Ankara (AP)

Der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit hat seine Koalitionspartner aufgerufen, nicht auf eine Vollstreckung des Todesurteils gegen den PKK-Führer Abdullah Öcalan zu dringen. Sollte der Chef der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) hingerichtet werden, setze die Türkei ihre jüngsten Erfolge aufs Spiel, sagte Ecevit am Donnerstag dem Fernsehsender NTV. «Unsere ganzen Erfolge und alle Schritte, die wir gemacht haben, wären ernsthaft gefährdet.»

Ecevit sprach sich dafür aus, genau abzuwägen, welche Folgen eine Hinrichtung für das Land haben könne. Er warnte vor Gewalttaten von Öcalan-Anhängern. Mögliche negative Folgen für die angestrebte EU-Mitgliedschaft hatte Ecevit bereits zuvor angesprochen.

Der Aufruf Ecevits galt vor allem einigen Mitgliedern des größten Koalitionspartners, der rechtsextremen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). Ihr Vorsitzender Devlet Bahceli hatte jedoch zu Beginn der Woche gegenüber der Zeitung «Milliyet» angedeutet, dass die Partei nicht mehr auf einer raschen Vollstreckung des Urteils besteht.

Am 12. Januar soll bei einem Treffen der Koalitionspartner geklärt werden, ob vor einem Parlamentsbeschluss über die Vollstreckung des Urteils die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abgewartet werden soll. Die Anwälte Öcalans haben wegen des Todesurteils das Gericht in Straßburg angerufen. Nachdem in der vergangenen Woche die Berufung Öcalans von der Oberstaatsanwaltschaft abgewiesen worden war, muss das Parlament entscheiden, ob das Todesurteil vollstreckt wird. Das letzte Wort hätte dann Staatspräsident Süleyman Demirel.