Neue Züricher Zeitung, 5.1.2000

Hoffnung auf ein besseres Leben in Iran

Machtgerangel im Vorfeld der Parlamentswahlen vom Februar

Von Majid Mohammdi*

Im Vorfeld der Parlamentswahlen vom 18. Februar ist zwischen den verschiedenen politischen Kräften in Iran ein verbissener Kampf um die Macht entbrannt. Öffentliche Debatten sind erschwert, und die Wählerschaft hat keine echte Auswahl. Trotz zahlreichen Beeinflussungsversuchen der Konservativen ist mit einem Fortgang der Reformen zu rechnen.

In Zeiten des Wahlkampfs in Iran haben soziale und politische Bewegungen Konjunktur. Die Reformer, dazu zählt die Mehrheit der iranischen Intellektuellen, Journalisten und Fachleute, können sich darauf konzentrieren. Aus ihrer Sicht bedeuten Wahlen die Ausübung der Demokratie. Jene, die wählen wollen, das sind 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung, wünschen sich ein besseres Leben - nicht sofort, doch langsam, aber sicher. Doch die Iraner und Iranerinnen haben die Wahl zwischen schlechten und sehr schlechten Kandidaten. Dieser Tatsache sind sie sich bewusst.

Entscheidende Rolle der Unabhängigen

Am 18. Februar werden die 290 Mitglieder des Parlaments gewählt, 20 mehr als vor vier Jahren. Die Äusserungen und das Verhalten des autoritären Flügels, dazu zählen die Konservativen, die Totalitären und die Klientelisten, weisen bereits darauf hin, dass selbst die bekanntesten Reformer nicht gewinnen werden. Doch auch die Bewahrer werden im Parlament kaum eine Mehrheit erreichen. Denn die Unabhängigen werden sich nicht vollständig dem Willen des autoritären Flügels unterwerfen. Sie müssen die Probleme und Bedürfnisse ihrer Wähler sorgfältig im Auge behalten. Voraussichtlich wird das nächste Parlament in seiner Struktur zwar anders sein als das bisherige. Doch ein parlamentarischer Staatsstreich, wie ihn der autoritäre Flügel als düsteres Szenario voraussagt, wird nicht stattfinden. Es werden aber auch keine Wunder geschehen. In den nunmehr zwanzig nationalen und kommunalen Wahlen seit der religiösen Revolution von 1978 vermochte die Bevölkerung ihre Macht auf Kosten der staatlichen Hegemonie stets auszubauen. Obwohl die Totalitären, die Konservativen und die Traditionalisten dieser Tendenz ein Ende setzen möchten, steht fest: Die Bevölkerung äussert heute ihren Willen an den Urnen, die Zeiten revolutionären Wandels sind vorbei.

Die Reformgegner versuchten mit dem Anzetteln von politischen und sozialen Unruhen die fortschreitende Demokratisierung zu verhindern. Der Angriff auf Studentenheime in Teheran im Juli des vergangenen Jahres war ein Teil dieser Strategie. Während des Prozesses gegen den ehemaligen Innenminister Nuri wurden Studenten aufgewiegelt, damit man den Aufstand nachher blutig niederschlagen konnte. Doch die Reformer vermochten die Situation unter Kontrolle zu halten. Zur politischen Schwächung des Reformlagers portierten die Konservativen den ehemaligen Präsidenten Rafsanjani. Er sollte das verfeindete Lager der Religiösen einen. Der Versuch misslang. Ebenso erfolglos blieb die Taktik der Einschüchterung politischer Gegner - trotz Bedrohung und Einkerkerung. Auch das Mittel gezielter Fehlinformation wurde eingesetzt, da die Reformgegner wissen, dass die Volksmeinung nicht auf ihrer Seite ist. Aus diesem Grund äusserten sich einige der Konservativen in einer Art, als verträten sie Reformideen. Auf diese Weise konnten sie Diskussionen über politische Inhalte ausweichen. Die Folge davon war aber, dass der Zusammenhalt in ihrem Lager geschwächt wurde, und es blieb unklar, wer eigentlich welche Positionen vertritt.

Keine inhaltlichen Diskussionen

Im November des vergangenen Jahres gründeten die Anti-Reformisten eine neue Bewegung namens Partei der Mässigung. Ihre Anhänger stammen aus dem Umfeld Rafsanjanis. Ihre Taktik ist es, mit bekannten Namen Stimmen zu gewinnen, da sie keine neuen politischen Konzepte zu präsentieren haben. Aus der Sicht der Bewahrer ist einzig entscheidend, wer befiehlt. Politische Massnahmen kommen kaum zur Sprache. Entsprechend wenig sind in diesen Wochen inhaltliche Forderungen zu hören gewesen. Die Gleichstellung der Frauen, der Ausbau der persönlichen Freiheiten, der Abbau von Privilegien der Mächtigen und die zahlreichen der Jugend auferlegten sozialen Fesseln wurden kaum thematisiert. Im Schatten des Kampfs zwischen Reformern und Konservativen können sich unbekanntere Gruppierungen gute Chancen ausrechnen. Vor allem Frauen, ethnische Minderheiten und Fachleute dürften davon profitieren. Präzise Voraussagen sind allerdings schwer, da der Grossteil der Bevölkerung nicht in politischen Parteien organisiert ist. Es fehlt auch der öffentliche Raum, um über unterschiedliche Ideen zu debattieren. Der offene Dialog ist sehr beschränkt.

Die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich Friede, Sicherheit, Arbeit und Unterhaltung. Während Khatamis Präsidentschaft herrschte Friede, doch die drei andern Wünsche blieben unerfüllt. Eine sofortige Erfüllung kann ehrlicherweise niemand in Iran versprechen. Grosse Erwartungen liegen auf den Experten. Während der vergangenen zwei Jahrzehnte haben zahllose Fachleute von der öffentlichen Verwaltung in den Privatsektor gewechselt. Über 70 Prozent der leitenden Beamten Irans verfügen derzeit über keinen Universitätsabschluss. Ihre Arbeitsweise ist nicht von Fachwissen, sondern von Ideologie geprägt. Aus diesem Grund haben ausgewiesene Experten gute Wahlchancen.

Ein unaufhaltsamer Prozess

In den Tagen vor den letzten Parlamentswahlen von 1996 haben militante Kommandos der islamischen Revolutionsgarden (Basij) eingegriffen und das Ergebnis zugunsten des autoritären Flügels verfälscht. Dies geschah mit dem Einverständnis von hochstehenden Personen im Sicherheitsapparat und in der Armee. Die Macht und der Einfluss der freiwilligen Revolutionsgardisten sind eine Folge des Kriegs gegen den Irak von 1980 bis 1988. Rafsanjani gewährte den drei bis vier Millionen ehemaligen Freiwilligen während seiner Präsidentschaft zahlreiche Privilegien, doch heute haben sie sich aus seinem Schatten gelöst und unterstützen die autoritären Kräfte im Staat. Trotz ihrem grossen Einfluss wird es ihnen nicht möglich sein, die Reformen in Iran zu unterbinden. Es ist ein Prozess in Gang gekommen, der nicht aufzuhalten ist. Der Weg ist vorgezeichnet, einzelne Massnahmen sind bereits ergriffen worden. Jede Wahl ist ein neuer Stein im Gebäude der Demokratie.

* Der Autor ist freier Journalist in Teheran. Seine Artikel erschienen in verschiedenen, mittlerweile verbotenen iranischen Reformzeitungen.