taz, 5.1.2000

Türkische Nationalisten kämpfen für den Tod Öcalans

An der Basis der Regierungspartei MHP gärt es. Ihre Koalitionspartner wollen die Entscheidung des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs abwarten

Istanbul (taz) - "Jeder Abgeordnete, der gegen eine Hinrichtung Abdullah Öcalans stimmen will, wird auf der Toilette des Parlaments verprügelt werden." Dieser Spruch des nationalistischen MHP-Abgeordneten Mehmet Gül, lässt ahnen, wie es an der Basis der Partei, bei den Grauen Wölfen in der Türkei, derzeit aussieht. "Apo" muss hängen, mit dieser Parole hat die MHP ihren Wahlsieg im April errungen. Nun sieht es ganz so aus, als sollten die rechten Ultras und ihr Anhang zuletzt doch als die Verlierer dastehen.

Seit Generalstaatsanwalt Vural Savas kurz vor dem Jahreswechsel den letzten Antrag der Öcalan-Anwälte auf eine Revision des Todesurteils verworfen hat, ist der Rechtsweg innerhalb der Türkei endgültig erschöpft. Eigentlich wäre jetzt das Parlament am Zuge, wenn da nicht noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wäre. Öcalan hat über seine Anwälte bereits vor Monaten eine Klage in Straßburg angekündigt, die nun, nach der Stellungnahme des Generalstaatsanwalts, behandelt werden kann.

Obwohl Ministerpräsident Ecevit bereits angedeutet hatte, dass die türkische Regierung vor einer Abstimmung im Parlament die Entscheidung aus Straßburg abwarten wird, stellt die MHP diese informelle Absprache innerhalb der Regierungskoalition nun massiv in Frage. Unter dem Druck der Basis geht nun auch Parteichef Devlet Bahceli, der sich in den letzten Monaten mit Äußerungen zum Fall Öcalan zurückgehalten hatte, in die Offensive und fordert öffentlich, erst Öcalan zu hängen und dann, wenn es denn sein muss, die Todesstrafe abzuschaffen.

Offenbar rumort es innerhalb der Regierungspartei MHP so heftig, dass sich selbst Staatspräsident Demirel in seiner Neujahrsansprache genötigt sah, an die Vernunft der MHP-Abgeordneten zu apellieren. Anders als die Mütter der gefallenen Soldaten, so Demirel, "haben wir, die den Staat regieren, die Pflicht, über die Konsequenzen unseres Votums über Öcalan nachzudenken". Öcalan zu hängen, so die Neujahrsbotschaft des Präsidenten, ist nicht im Interesse des Landes. Es würde die mühsam gewonnenen ersten Erfolge auf dem Weg zum inneren Frieden gefährden und die angestrebte EU-Mitgliedschaft, "die wichtigste Aufgabe zu Beginn des neuen Jahrhunderts" wieder in Frage stellen.

Ursprünglich sollte auf der letzten Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates vor dem Jahrtausendwechsel noch ein deutliches Signal an die kurdische Minderheit und die EU verabschiedet werden. Doch weil das Gremium sich nicht einigen konnte, beließ man es bei einigen bekannten Formulierungen zur wirtschaftlichen Unterstützung für den Südosten. In verschiedenen Zeitungen ist bereits von einer kommenden Koalitionskrise die Rede, weil DSP und Anap sich mit der MHP in Sachen Öcalan und einer Politik gegenüber der kurdischen Minderheit nicht einigen können. Am kommenden Dienstag soll auf einem Krisengipfel nun entschieden werden wie es mit Apo weitergehen wird.

Jürgen Gottschlich