Dieses Dokument ist Teil des Buches „Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg“, 1998

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Telefunken Systemtechnik GmbH (TST) (1989-92)
und
Dasa-Produktbereich Energie- und Anlagentechnik (1992-94)

Werk: 22880 Wedel, Industriestr. 23-33



Stammkapital TST: 250 Mio. DM (1990)
Beschäftigte:
a) TST insgesamt 7.178 (Ende 1991)
b) Wedel rd. 2.000 (1991), 1.285 (1993)
Umsatz: TST insgesamt 1.688 Mio. DM, davon Wedel ca.400 Mio. DM (1990)
Vorsitzender der TST-Geschäftsführung Dr.-Ing. Gerhard Jäger (1990-92), Leiter des Dasa-Produktbereichs Energie- und Anlagentechnik Dr. Eckehard Schmidt (ab 1992).



Die Telefunken Systemtechnik GmbH wurde am 21. März 1989 gegründet.

Durch die TST brachte die Daimler-Benz AG die bisherigen Kapazitäten der -> AEG in den Bereichen Luftfahrt, Raumfahrt und Rüstung unter das Dach ihrer neuen Hochtechnologietochter Deutsche Aerospace AG (Dasa), München. Die Übertragung der Aktivitäten von der AEG auf die 100prozentige Dasa-Tochter TST erfolgte am 30. Juni 1989. Betroffen waren hiervon die bisherigen AEG-Geschäftsbereiche Hochfrequenztechnik (Ulm) und Marine- und Sondertechnik (Hamburg/Wedel). Daneben übernahm die TST aus der Erbmasse der AEG die Tochterfirmen Eltro (Heidelberg), Elekluft (Bonn) und Telefunken Sendertechnik (Berlin). Von einem Teil des Wedeler AEG-Komplexes, dem Fachbereich Marinetechnik, musste sich die TST allerdings schon 1990 wieder trennen, da dieser entsprechend einer Auflage des Bundesministers für Wirtschaft nicht in den neuen Daimler-Benz-Superkonzern eingegliedert werden durfte (-> DMT Marinetechnik GmbH).

Zum Hauptsitz der Telefunken System Technik GmbH wurde Ulm bestimmt, Wedel zum Sitz des Produktbereichs Energie- und Anlagentechnik. Schon nach dreijähriger Existenz wurde die TST allerdings wieder aus dem Handelsregister gelöscht. Am 30. September 1992 ging TST ebenso wie MBB in der Deutschen Aerospace AG auf. Aus dem Wedeler TST-Werk wurde dadurch der Produktbereich Energie- und Anlagentechnik des Dasa-Geschäftsfeldes "Verteidigung und Zivile Systeme".

Im Oktober 1993 wurde der Plan der Dasa bekannt, den Standort Wedel vollständig aufzugeben.5 An dem Rückzug der Dasa konnten auch die Proteste der Belegschaft nichts mehr ändern. In langen Verhandlungen versuchte der Betriebsrat, eine völlige Betriebsschliessung zu verhindern und den Personalabbau "sozialverträglich" zu gestalten. Im Endeffekt geschah Folgendes:6

Während sich die TST in Ulm und an anderen Standorten vor allem mit Radarsystemen, Funkgeräten und mit Systemen der elektronischen Kampfführung beschäftigte, lag der Rüstungsschwerpunkt des in Wedel ansässigen Produktbereichs Energie- und Anlagentechnik auf Antriebs- und Stabilisierungssystemen sowie auf Düllsimulatoren. Sowohl in Ulm als auch in Wedel bezog die TST über 50 Prozent ihres Auftragsvolumens aus der Rüstung.7

Für Turm- und Waffenantriebe hatte der AEG-Fachbereich Flugwesen und Sondertechnik eine neue Technologie entwickelt, mit deren Vermarktung nun TST Wedel beginnen konnte. Statt der bisher hydraulischen Antriebe bot die Firma ab 1990 eine elektrische Antriebstechnik an ("Geardrive 90 BL").8 Dem Konzept des elektrischen Antriebs verdankte TST "eine weltweit führende Position bei Richt- und Stabilisierungsanlagen für Panzerwaffensysteme"9. Aus Norwegen erhielt das Wedeler Werk 1989 einen ersten Serienauftrag für die Umrüstung von Leopard-1-Panzern auf diese Technik; 1992 wurde an diesem Auftrag noch gearbeitet. Als grossen Erfolg verbuchte man 1992 die Entscheidung des deutschen Militärs, den elektrischen Turmantrieb für die Kampfwertsteigerung der Leopard-2-Panzer durch TST entwickeln und fertigen zu lassen. Mit dem italienischen Rüstungsproduzenten OTO Melara schloss TST 1990 einen Kooperationsvertrag zur Ausrüstung italienischer Panzer. Im folgenden Jahr konnte sich TST mit elektrischen Richtantrieben erstmals an einem nicht näher bezeichneten US-amerikanischen Panzerprojekt beteiligen.

Stabilisierung hiess auch das Zauberwort bei einer Reihe weiterer Rüstungsgeschäfte:

Von zunehmender Bedeutung für TST war die Entwicklung und Fertigung sogenannter Düllsimulatoren, technisch aufwendiger Kriegsspielsysteme, mit denen Soldaten auf gefechtsmässiges Verhalten (d.h. auf Treffen und Töten bei optimalem Eigenschutz) gedrillt werden. Zunächst führte TST die um 1988 von AEG begonnene Lieferung von Düllsimulatoren für den Kampfpanzer Leopard 2 fort. Ab 1990 produzierte das Unternehmen solche Simulatoren auch für den älteren Kampfpanzer Leopard 1. 1992 erhielt TST im Arbeitsgebiet Simulation einen "ersten bedeutenden Auftrag für Gefechtsübungszentren". Weitere Düllsimulatoren entwickelten die Wedeler bis 1994 für Handwaffen ("AGDUS", zusammen mit Jenoptik) sowie für die Antipanzerwaffen Pars 3 MR und Milan.

TST führte auch die von AEG begonnenen Entwicklungsarbeiten im Rahmen des Beschaffungsvorhabens Jäger 90/Eurofighter weiter. Die Firma übernahm 1990 die Federführung im Konsortium zur Entwicklung des Nasenradoms (das ist die Schutzhaube für Radarantennen an der Flugzeugspitze). Eine vergleichbare Aufgabe hatte der Flugwesen-Bereich von AEG einige Jahre zuvor für den Tornado übernommen.

Über weitere Rüstungsaktivitäten des TST-Produktbereichs Energie-und Anlagentechnik informieren die Dasa-Geschäftsberichte.

In der orbitalen Energietechnik war TST laut DASA-Geschäftsbericht 1991 "weltweit das einzige Unternehmen, das eine komplette Produktpalette von der Schlüsselkomponente Solarzelle über Solargeneratoren und Anlagen zur Energieaufbereitung und -speicherung bis hin zu kompletten Untersystemen anbietet". Wie beim Vorgängerunternehmen AEG ist schwer einzuschätzen, inwieweit den Raumfahrtprojekten, an denen die Wedeler Spezialisten bis zur Verlegung nach Ottobrunn 1994 mitwirkten, neben der zivilen auch eine militärische Bedeutung zukam. In einem Fall ist die Sachlage eindeutig: Für Frankreichs militärischen Aufklärungssatelliten SPOT IV wurde hier ein faltbarer Solargenerator produziert.10 Andere Raumfahrtprojekte, an denen das Wedeler Werk beteiligt war, waren z.B. der deutsche Fernmeldesatellit DFS-Kopernikus, die europäischen Erderkundungssatelliten ERS-1 und ERS-2 und der Röntgensatellit Rosat. Ein "dickes Auftragsvolumen"11 versprach man sich aber vor allem durch die Beteiligung an den Vorhaben Hermes (Raumgleiter) und Columbus (Raumstation), auf deren zumindest latente militärische Relevanz Beobachter verschiedentlich hingewiesen haben.

Konversion?

Mitte 1992 erklärte die Unternehmensleitung:12 "Die Telefunken System Technik GmbH sieht sich bei zurückgehenden Aufträgen und sinkenden Umsätzen im militärischen Stammgeschäft in einer negativ verlaufenden Entwicklung, der durch Aktivitäten im zivilen Geschäft entgegengewirkt wird." Zugleich bekannte sich die TST aber ausdrücklich zur Fortsetzung der Rüstungsaktivitäten; man werde sich "verstärkt auf Systeme mit Defensivcharakter, vor allem bei Aufklärung und Führung, konzentrieren".

Ingesamt gelang es der TST nicht, im zivilen Bereich neue, dauerhaft tragfähige und gewinnbringende Perspektiven zu entwickeln, was sich in negativen Betriebsergebnissen und ab Oktober 1992 in Kurzarbeit niederschlug. Relativ gute Ergebnisse konnte im Zivilgeschäft allenfalls bei der Flughafenausrüstung (Berlin-Schönefeld, München) erzielt werden.

Im Sektor Solartechnik realisierte TST einige beachtenswerte Projekte, so den Ausbau der Photovoltaikanlage auf der Nordseeinsel Pellworm und die Installation eines Solargenerators an einer Autobahn-Lärmschutzwand13, doch blieb man hier in hohem Masse von dem Zufluss öffentlicher Mittel abhängig. Es haperte weiterhin bei der Durchsetzung der Photovoltaik im normalen Energiemarkt.14 Das einzige in diesem Sektor bekannt gewordene Exportgeschäft bezog sich übrigens auf "einen bedeutenden Auftrag im Iran über eine Solarzellen- und Modulfertigungsanlage"15 ; über den dortigen Nutzungszusammenhang wurde nichts weiter berichtet. Infolge der Dasa-Politik ist heute von dem in AEG-Zeiten aufgebauten Solarzentrum Wedel fast nichts mehr übrig. Nur die von ehemaligen Mitarbeitern gegründete Kleinfirma Solarnova (13 Beschäftigte) versucht seit September 1996, in begrenztem Umfang die Fertigung von Photovoltaik-Modulen in Wedel weiterzuführen.16

Als Fazit bleibt: Von der ab 1993 durchgesetzten Dasa-Strategie zum Kapazitätsabbau in Wedel waren die zivilen Bereiche stärker betroffen als die militärischen. Für das Nachfolgeunternehmen -> ESW zeichnete sich daher gegenüber der bisherigen Umsatzstruktur eine noch gesteigerte Rüstungsabhängigkeit ab.

Kritik/Proteste

"Daimler macht den Norden platt", hiess es auf einem Transparent, als am 26. Oktober 1993 1.500 Menschen auf dem Wedeler Marktplatz gegen die Abbaupläne der Dasa demonstrierten.17 Die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz stand bei den Protesten im Vordergrund; Forderungen nach einer konseqünten Konversion scheinen damals allenfalls eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben.




Anmerkungen:

(5) Hamburger Abendblatt 5.10., 21.10. u. 27.10.1993.
(6) Vgl. die Berichte in: Rundbrief Arbeitskreise Alternative Produktion Nr. 4/1993 S. 25f., Nr. 1/1994 S. 18ff., Nr.3/1994 S. 13ff., Nr. 2/1995 S. 29ff. und Nr. 1+2/1997, S. 46ff.; ferner Hamburger Abendblatt 5.10., 21.10., 22.10., 27.10. und 15.12. 1993, 2.2. und 23.6.1994, 5.12.1995 und 14.2.1996.
(7) Hamburger Abendblatt 5.4.1991; vgl auch die DASA-Geschäftsberichte 1990ff. .
(8) Jane's Armour and Artillery Upgrades 1996-97, S. 425.
(9) Deutsche Aerospace: Das Geschäftsjahr 1990, S. 42. - Alle bis zur nächsten Anmerkung folgenden Angaben sind den Dasa-Geschäftsberichten 1989 bis 1993 entnommen.
(10) Deutsche Aerospace: Das Geschäftsjahr 1992, S. 28; vgl. Soldat und Technik Nr. 3/1995, S. 137.
(11) Hamburger Abendblatt 5.4.1991.
(12) TST: Lagebericht, in: Bundesanzeiger 25.6.1992.
(13) Hamburger Abendblatt 21.9.1991.
(14) Vgl. Lutz Oschmann: Kostendeckende Einspeisevergütung für Solarstrom, in: Rundbrief Arbeitskreise Alternative Produktion Nr. 4/1993, S. 27f. .
(15) Deutsche Aerospace AG: Das Geschäftsjahr 1992, S. 28.
(16) Hamburger Abendblatt 24.10.1996.
(17) Hamburger Abendblatt 27.10.1993.