Dieses Dokument ist Teil des Buches „Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg“, 1998

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STN-System Technik Nord GmbH


neue Torpedos braucht das Land

Die Bundesregierung glaubt, dass die weitere Perfektionierung der
Unterwasserkriegsführung eine dringliche Aufgabe darstellt: Die
Arbeiten an der Weiterentwicklung des Torpedotyps "Seehecht"
werden mit Haushaltsmitteln in geheimgehaltener H"he gef"rdert.
Die n"chste U-Boot-Generation der Klasse 212 soll unbedingt mit
leistungsgesteigerten Torpedos der Version DM2A4 ausgerüstet
werden.

Nachtrag:
Auf Anfrage der Abgeordneten Angelika Beer bezeichnete die
Bundesregierung die H"he der Entwicklungskosten für den
Torpedo DM2A4 zwar als geheim, doch Griephans Branchenblatt
"Wehrdienst" konnte jetzt pr"zise Angaben dazu machen: Bis 1996
wurden für das Entwicklungsvorhaben 100,7 Mio. DM ausgegeben;
und bis zum Jahr 2001 sollen nochmals 107,5 Mio. DM bereitgestellt
werden.(18a)

Bei n"herem Hinsehen erweist sich, dass die Ausgaben für die Torpedo-
Weiterentwicklung nichts mit einer realen Sicherheitsvorsorge zu tun
haben, um so mehr mit Gesch"ftsinteressen und einem grotesken
Konstruktionsehrgeiz, der durch verschiedene Ingenieurgruppen
innerhalb eines Unternehmens angeheizt wird. Weil STN ATLAS
in Bremen ein U-Boot-Sonar (CSU 90) entwickelt hat, das gegnerische
Ziele aus noch weiterer Entfernung entdecken kann als dies die
Vorg"ngermodelle konnten, muss dieselbe Firma jetzt in Hamburg/Wedel
einen Torpedo mit noch gr"sserer Reichweite entwickeln - schliesslich
will man die Vorzüge des Sonars auch nutzen k"nnen. Der
Zusammenhang wird durch die folgende Aussage eines
Milit"rexperten best"tigt: (19)

"Die Entwicklung auf dem Gebiet der Plattformen, Sensoren und
Effektoren hat dazu geführt, dass sich ein Leistungsloch auftut
zwischen der Ortungsreichweite des tieffreqünten Sonars und
der Waffeneinsatzreichweite bzw. Geschwindigkeit des Torpedos.
Hieraus leitet sich die Notwendigkeit der Weiterentwicklung
des eingeführten DM2A3 zum DM2A4 für U 212 ab."

Bonn zahlt, keiner protestiert. Die n"chste Rüstungslücke im
Unterwasserbereich ist bereits entdeckt. Angesichts der
Gef"hrlichkeit moderner Drahtlenktorpedos, die auch dank
deutscher Exporte weit verbreitet sind, untersucht die deutsche
Marine jetzt Konzepte zur Torpedoabwehr. Die "wirksamste und
dabei nicht unbedingt teürste L"sung" w"re nach Ansicht des
zust"ndigen Marinewaffen-Dezernatsleiters ein "Anti-Torpedo-
Torpedo". (20) Es ist ziemlich klar, welches Unternehmen einen
entsprechenden Entwicklungsauftrag erhalten würde: STN ATLAS.
Wieder wird sichtbar: Die Dynamik der Zerst"rungs- und
Kriegsfantasie scheint nicht zu stoppen zu sein.

Zurück zum Entwicklungsvorhaben DM2A4: Um den Torpedo zu
vervollkommnen, hat STN ATLAS weitere Versuchsreihen bei der
-> Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt GmbH durchführen
lassen. Bei der Entwicklung eines neuen Hochleistungsantriebs, der
dem Torpedo die gr"ssere Reichweite und Geschwindigkeit geben
soll, arbeitet STN ATLAS mit franz"sischen und italienischen
Spezialfirmen zusammen. (21) Dies entspricht der von der
Gesch"ftsführung generell ausgegebenen Devise, mit anderen
europ"ischen Unternehmen "strategische Allianzen" zur Sicherung
der eigenen Marktposition einzugehen. Am wichtigsten ist STN
ATLAS die Kooperation mit der franz"sischen Industrie, auch
weil diese nach den Worten von Hoffmann "über langj"hrige
Erfahrungen in der weltweiten Vermarktung wehrtechnischer
ysteme" verfügt. (22)

Durch die Kooperation mit dem 1993 gegründeten franz"sisch-
italienischen Gemeinschaftsunternehmen "Eurotorp" (in Sophia-
Antipolis bei Nizza) hat sich STN ATLAS inzwischen auch
Zugang zum Markt der Leichtgewichttorpedos verschafft. Für
den Torpedo "Impact" (MU-90) von Eurotorp entwickelt STN
einen elektrischen Motor mit variabler Geschwindigkeit. (23) Es
ist vorgesehen, die deutsche Seite sp"ter auch an der Serienfertigung
zu beteiligen. Dies korrespondiert mit der Information, dass die neuen
Fregatten F 124 (-> Blohm + Voss) mit diesen neuen
Leichtgewichttorpedos bewaffnet werden sollen. Die
Auslieferung des MU-90-Torpedos soll 1999 beginnen.


Die Produktion von Seeminen ist nach der Fusion von
Systemtechnik Nord und Atlas Elektronik (1994) ganz
in Bremen konzentriert worden. Damit wurden die Seeminen-
Kapazit"ten der früheren Konkurrenten AEG und Krupp Atlas
Elektronik an einem Standort zusammengeführt.


Konversion?

Die Spitzenmanager von Bremer Vulkan und STN haben
gegenüber der Öffentlichkeit immer wieder betont, dass man
sich um eine Diversifikation in neue, zivile Bereiche bemühe.
Wiederholt sprach man auch von Konversion, so im STN-
Lagebericht für das Jahr 1992: (24)

"Im Rahmen der Konversion werden grosse Anstrengungen
unternommen, die in der Verteidigungstechnik erworbenen
F"higkeiten auf den Gebieten der Informatik, Sensorik und
Datenübertragung im Bereich der Meeres-, Verkehrs- und
Umwelttechnik zu übertragen. Erste Erfolge zeichneten sich
im abgeschlossenen Gesch"ftsjahr ab."

Konkret formulierte die STN-Gesch"ftsführung 1992 das Ziel,
den Rüstungsanteil an den Erl"sen bis 1995 von 70 auf 50
Prozent zurückzuführen. (25) Ein Jahr sp"ter, 1993, kam die
zwecks Konversion gegründete Sparte Meerestechnik/neue
Produkte gerade einmal auf einen Umsatz von 9 Millionen DM,
d.h. auf weniger als 1 Prozent am damaligen STN-Gesamtumsatz.
Das Streben nach firmeninterner "Abrüstung" verlor offenbar nach
der im Dezember 1992 abgehaltenen Planungskonferenz des
Bundesverteidigungsministeriums etwas an Dringlichkeit. Denn
nun ging man bei STN davon aus, dass sich für das eigene
Unternehmen aus der Reduzierung des Rüstungsetats mittelfristig
"keine gravierenden Auswirkungen" ergeben würden, "da aufgrund
des hohen, bis weit in die Mitte der 90er Jahre reichenden
Auftragsbestandes von Mrd. DM 2,1 die Beschaffung weitgehend
gesichert ist und die STN darüber hinaus in Marktsegmenten
t"tig ist, in denen Nachholbedarf beim Kunden (gemeint ist die
Bundeswehr, d.Verf.) besteht." (26)

Gelegentlich wurde (und wird) von Firmenmanagern versucht,
das Thema Konversion als argumentatives Druckmittel für mehr
Rüstungsexporte zu instrumentalisieren. Dr. Triebold vom
Vorstand des Bremer Vulkan erkl"rte 1993, die Forschungsgelder
für zivile Projekte müssten aus Milit"rauftr"gen finanziert werden,
deshalb "gef"hrde das Verbot des Taiwan-Auftrags auch die
Konversion" bei STN und Atlas Elektronik. (27)

Nach der Fusion von System Technik Nord und Atlas Elektronik
im Jahr 1994 wurden neue Konversions- bzw.
Diversifikationsplanungen für das Gesamtunternehmen entwickelt.
STN-ATLAS-Chef Hoffmann hat angekündigt, im Jahr 2000 werde
der Anteil wehrtechnischer Produkte an der Gesamtleistung "auf
weniger als 50 Prozent" gesunken sein. (28) Ob dieses Ziel erreicht
wird, erscheint fraglich und wird nicht zuletzt davon abh"ngen,
wie erfolgreich ein 1995 gegründeter Konversionsausschuss
arbeiten wird.

Dieser Konversionsausschuss ist innerhalb des Unternehmens fest
institutionalisiert und hochrangig besetzt. Ihm geh"ren der Vorsitzende
der Gesch"ftsführung, Vertreter der vier Gesch"ftsbereiche, zwei
Marketing-Experten, ein Vertreter der Personalabteilung und zwei
Betriebsratsmitglieder als Arbeitnehmervertreter an. Im Gegensatz
zu früheren Konversionsprojekten, deren Produkte zwar sinnvoll und
technisch realisierbar, aber nicht verkaufbar waren, sollen jetzt nur
noch Vorhaben vorangetrieben werden, die sich strikt an "zukünftigen
Markterfordernissen" orientieren. Bei der Erweiterung des zivilen
Gesch"fts peilt STN insbesondere die Marktsegmente Verkehr, Umwelt,
Kommunikation und Qualit"tsmanagement an. Um den Rüstungsanteil
des Gesch"ftsbereichs Marinetechnik zu senken, setzt man z.B. auf
Produkte wie diese:
- schiffahrtsorientierte Verkehrsleitsysteme (VTS = Vessel Traffic
Services Systems),
- Objektsuchsonare für Forschungsschiffe,
- einen sog. "Sonoreaktor" zur Reduzierung von Kl"rschlamm,
- Anlagen zur Demontage von Altautos,
- autonome Unterwasserfahrzeuge für die Offshoreindustrie.

Die zur Projektentwicklung erforderlichen Mittel werden teilweise von
STN ATLAS selbst, teilweise aus Fonds der EU, des Forschungsministeriums
und des Bremer Senats bereitgestellt.

Auch wenn STN ATLAS also ernsthaft bemüht zu sein scheint, den
Rüstungsanteil am Umsatz um etwa 10 bis 20 Prozentpunkte zu senken,
so bleibt jedoch zugleich das Bestreben unverkennbar, im Milit"rgesch"ft
so viele Auftr"ge wie m"glich hereinzuholen:

-Im STN-Lagebericht für 1995 heisst es: "Die Bundeswehr und
andere Streitkr"fte der NATO-Mitgliedstaaten bereiten sich personell und
materiell intensiv auf neue Einsatzstrategien - etwa auf dem Gebiet der
Krisenreaktion - vor. Die dazu erforderliche Technik muss - in enger
Abstimmung mit dem "ffentlichen Auftraggeber - auf vielen Gebieten
bereitgestellt werden. STN ATLAS Elektronik beteiligte sich auch
1995 intensiv an der Entwicklung entsprechender Anlagen und
Systeme." (29)

-Wie sehr STN auch weiterhin auf den Rüstungsexport setzt,
zeigt die rege Beteiligung des Unternehmens an internationalen Milit"rmessen.
1995/96 stellte STN z.B. auf der Messe für Heeres- und Marinerüstung IDEX in
Abu Dhabi, ebenso auf den Rüstungsmessen "Defence Seoul" in Südkorea und
"Defence Services Asia" (DSA) in Malaysia aus. (30)

Schliesslich wird sich die Übernahme von STN ATLAS Elektronik durch das
von Rheinmetall geführte Konsortium vermutlich nicht günstig auf die Konversions-
bzw. Diversifikationsprojekte auswirken. Rheinmetall-Vorstandschef Hans U.
Brauner ist dafür bekannt, dass er von Konversion nichts h"lt - für ihn ist das
Wort nur eine Umschreibung für zivile Verlustgesch"fte.

Nachtrag:
Das Hamburger Abendblatt berichtete in der Ausgabe vom
15./16. 11.1997 über einen neuen Stellenabbau bei STN ATLAS:
"Von den knapp 1000 Mitarbeitern in Wedel und Hamburg
bekommen 136 in diesen Tagen ihre Kündigung. Im Wedeler
Werk verlieren rund 60 Mitarbeiter ihren Job,"haupts"chlich aus der
Torpedo-Fertigung."
Dies h"ngt u.a. mit dem Abschluss des deutsch-norwegischen
Auftrags zur Produktion des Torpedotyps DM2A3 zusammen;
die Fertigung des sich jetzt in der Entwicklung befindlichen
Torpedotyps DM2A4 soll im Jahr 2000 beginnen.


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Anmerkungen:

(1) Hamburger Abendblatt v. 12.5.1997; Naval Forces Nr.4/1997, S.77.
(2) Im Lagebericht 1995 hat STN die hier
wiedergegebenen Zahlen zu den Auftragsbest"nden,
aber keine Zahlen zu den Ums"tzen der
Gesch"ftsbereiche ver"ffentlicht (Bundesanzeiger
28.9.1996). Die prozentuale Struktur der
Auftragsbest"nde - 48 % Marinetechnik, 15 %
Simulationstechnik, 21 % Systemtechnik und 16 %
Schiffselektronik - muss nicht notwendigerweise
der prozentualen Struktur der Ums"tze entsprechen,
aber sie werden vermutlich nicht sehr stark
voneinander differieren. Angenommen, die genannten
Prozentzahlen würden auch auf die Umsatzstruktur
zutreffen, errechnet sich ein Rüstungsanteil am
Gesamtumsatz 1995 von ca. 74 Prozent!
(3) Ende 1996 sicherte sich STN Auftr"ge
zur Ausrüstung von zwei thail"ndischen
Kriegsschiffen mit Navigations- und
Anti-Seeminen-Systemen sowie einen weiteren
Marineauftrag aus Malaysia (Schiff & Hafen Nr. 1/1997, S. 6).
(4) Weserkurier 4.5.1995.
(5) Wehrtechnik Nr. 1/1995, S. 49.
(6) Handelsblatt 29.6.1994.
(7) Soldat und Technik Nr. 6/1995, S. 339.
(8) Naval Forces Nr. III/1994, S. 14.
(9) STN ATLAS Elektronik: Your Partner Naval Defense Projects
(Werbeprospekt 1997, Seite 6).
(10) Prézelin 1993, S. 198 u. 433.
(11) Wehrtechnik Nr. 1/1996.
(12) Bundestags-Drucksache 13/6922, Antwort
zu Frage 9 b).
(13) Deutscher Bundestag, Sitzungsprotokoll
25.4.1997, S. 15643ff..
(14) Rundbrief Arbeitskreise Alternative
Produktion (hrsg. von der IG Metall Bezirk Küste)
Nr. 1/1994, S. 11f.
(15) Hamburger Abendblatt und taz (Bremen) 11.3.
1996.
(16) Naval Forces, Special Issü: SUBCON `95
(1995), S. 104f..
(17) Jane's Underwater Warfare Systems 1996-97,
S. 191.
(18) Bundestags-Drucksache 13/6922; zum
isrälischen U-Boot-Programm Hamburger Abendblatt
28.5.1997.
(18a) Wehrdienst Nr. 43/20.10.1997, S. 3f..
(19) Volker Burggraf in Soldat und Technik
Nr. 9/1994, S. 475 (zit. nach antimilitarismus
information Nr. 1/1995 S. 6).
(20) Carl K"nke in Wehrtechnik Nr. 10/1994,
S. 25ff..
(21) Soldat und Technik Nr. 12/1995, S. 772.
(22) Soldat und Technik Nr. 6/1995, S. 339.
(23) Wehrtechnik Nr. 9/1993, S. 45;
Anzeige von Eurotorp in Marineforum Nr.
3/1995 S. 13 .
(24) Bundesanzeiger 31.7.1993.
(25) Frankfurter Rundschau 10.7.1992.
(26) STN-Lagebericht 1992, in:
Bundesanzeiger 31.7.1993.
(27) Handelsblatt 3.2.1993.
(28) Wehrtechnik N. 1/1995, S. 47
(29) Bundesanzeiger 28.9.1996.
(30 Kompass: Deutschland 1996/97,
Bd. 3, S. 230.