Dieses Dokument ist Teil des Buches „Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg“, 1998

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Internationale Schiffs-Studien-Gesellschaft mbH (ISS) (1984-1990)

1984-86: 22041 Hamburg (Wandsbek), Lotharstrasse 6
1987-90: 22297 Hamburg (Winterhude), Überseering 8

Stammkapital: 56.000 DM
Beschäftigte: 360 (1987), 198 (1989) (10)
Geschäftsführer: Earl de Rohan Barondes, Kanada (1984-89), Joaquin Coello Brufau, Spanien (1989-90)



Die Internationale Schiffs-Studiengesellschaft wurde am 21. Februar 1984 gegründet; zum 1. April 1990 wurde sie wieder aufgelöst. Als Gegenstand des Unternehmens wurde im Handelsregister lediglich angegeben: "die Durchführung von Studien für internationale Schiffsprojekte". Weder diese Eintragung noch das vergleichsweise bescheidene Stammkapital liessen erkennen, dass die neue Firma eines der grössten Rüstungsprojekte der NATO technisch vorbereiten sollte. Es ging um die Planung einer standardisierten NATO-Fregatte für die 90er Jahre (NFR-90).

An der Gründung der ISS waren zunächst sieben nationale Leitfirmen beteiligt, hinter denen nach Angaben der "Wehrtechnik" ca. 130 Firmen standen.11 Die deutsche Seite wurde durch die -> MTG Marinetechnik GmbH, Hamburg, vertreten. Neben ihr beteiligten sich 1984 an der ISS:

Als achte Firma kaufte sich im Februar 1985 zur Vertretung der USA die Westinghouse Overseas Service Corporation, Baltimore, in die ISS ein. Seitdem hielt jede Leitfirma einen Anteil von 7.000,- DM am Stammkapital der ISS.

Zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats der ISS wurde Eckard Rohkamm von Blohm + Voss bestimmt.

Beteiligung am Rüstungsgeschäft

Den geplanten Fregatten NFR-90 wurde innerhalb der NATO grosse Bedeutung beigemessen: Sie sollten ein weltweit einsetzbares Instrument werden, mit dem sowohl die Flotten des Warschaür Paktes bekämpft als auch die Einflusssphären des Westens abgesichert werden sollten. Von der Standardisierung der NATO-Fregatte versprach man sich nicht unerhebliche Kostenvorteile gegenüber nationalen Eigenentwicklungen, aber auch eine bessere Kooperation bei gemeinsamen Militäreinsätzen. Die modulare Bauweise (Vorreiter: -> Blohm + Voss) sollte es den einzelnen Ländern zugleich ermöglichen, für den Eigenbedarf optimierte Varianten zu beschaffen. Nach Angaben von Anfang der 80er Jahre sollten mindestens 50 Fregatten gebaut werden, davon acht für die Bundesmarine.12 Später hiess es sogar, eine Marktanalyse habe ergeben, "dass weltweit 150 bis 200 dieser Fregatten benötigt werden", davon könnten rund 60 auf die acht beteiligten NATO-Länder entfallen.13 Legt man den 1989 genannten Stückpreis von 800 Millionen DM zugrunde, wären bei Realisierung dieser Wunschvorstellungen Staatsgelder in astronomischer Höhe fällig geworden: 48 Milliarden DM für 60 NATO-Fregatten bzw. 120 Milliarden DM für 150 weltweit verkaufte Fregatten.

Die Tätigkeit der ISS bezog sich auf zwei Phasen der Fregattenplanung: auf die Konzeptphase 1984-86 und die Definitionsphase 1987-90.

Konzeptphase

Die ISS wurde 1984 mit der Aufgabenstellung gegründet, eine Durchführbarkeitsstudie für das Projekt "NATO Frigate Replacement for the 1990s" auszuarbeiten. Die Kosten für die Untersuchung wurden auf 15 Millionen US-Dollar festgeschrieben; jedes beteiligte Land übernahm davon ein Achtel. Begleitet wurde die Studienarbeit von einer NATO-Dienststelle mit der Bezeichnung "Project Management Office" (PMO), die in einem Nachbargebäude in der Lotharstrasse 6 einquartiert wurde.

Am 29. Oktober 1985 legte die ISS einen rd. 10.000 Seiten starken Ergebnisbericht dem NFR-90-Lenkungsausschuss der NATO vor. Er enthielt nicht weniger als 18 verschiedene Entwürfe für die Fregatte, die ungefähr 4.400 Tonnen verdrängen sollte.14

Definitionsphase

Mit dem Abschluss der Durchführbarkeitsstudie war der Gründungszweck der ISS eigentlich erfüllt. Doch dann wurde 1985/86 beschlossen, Hamburg auch für die nächste, wesentlich arbeitsintensivere Phase der Fregattenplanung, die sog. Definition, als Standort zu wählen. Hierfür wurde die "International Joint Venture Company" (IJVC) ins Leben gerufen; man beschloss aber, für diese den Namen Internationale Schiffs-Studien-Gesellschaft mbH weiterzuverwenden.

Im Falle mehrerer Teilnehmerländer gingen die Anteile an der ISS nun auf projektbezogene Leitfirmen nationaler Konsortien über, so

Als deutsche Leitfirma für diese neue ISS wurde von fünf führenden Unternehmen der deutschen Kriegsschiffsindustrie die -> FDG Fregatten- Definitions-Gesellschaft gegründet.

Der Hamburger Senat hatte sich nach eigenem Bekunden "mit Nachdruck" dafür eingesetzt, dass Hamburg zum zentralen Planungsstandort für das NFR-90-Projekt ausgewählt wurde.15 In die diesbezüglichen Verhandlungen war vor allem der Zweite Bürgermeister und Beauftragte Hamburgs in Bonn, Alfons Pawelczyk, eingeschaltet. Pawelczyk wies zur Begründung des Senatsinteresses darauf hin, dass ca. 460 Mitarbeiter zusätzlich in Hamburg arbeiten würden. Weiter erkärte er: "Überdies gibt es eine gute Chance für eine bessere Auslastung der Hamburger Werften. Damit wird die Attraktivität des Standortes Hamburg erneut unter Beweis gestellt." Dass dies Schönfärberei war, konnte man damals schon ahnen, heute weiss man es. Jedenfalls leistete das Rüstungsprojekt keinen erkennbaren Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der Stadt, denn im wesentlichen führte es nur zu einem zeitlich befristeten Aufenthalt einer grösseren Zahl von hochspezialisierten Experten in Hamburg.

Da die Firmenräume in der Lotharstrasse für die Definitionsphase nicht ausreichten, begann das Bonner Verteidigungsministerium mit Hilfe der MTG Marinetechnik GmbH und des Zweiten Bürgermeisters, nach einem neuen Standort für die ISS zu suchen. Zunächst wurde hierfür die Gesamtschule Kielkoppelstrasse in Hamburg-Rahlstedt ins Auge gefasst, dann entschied man sich jedoch für einen sechsstöckigen Bürokomplex am Überseering 8 in der City-Nord. 1987, nach aufwendigem Umbau zu einer streng abgeschirmten, festungsartigen Sicherheitszone, nahmen dort 360 Rüstungsspezialisten der ISS und ihrer deutschen Beteiligungsfirma FDG sowie 80 Mitarbeiter der NATO-Dienststelle PMO die Arbeit auf. Rund 160 Millionen DM wurden als Kosten für die Definitionsphase einkalkuliert.

Als treibende Kraft trat zu Beginn der Definitionsphase die deutsche Seite in Erscheinung. Aber nach dem 1987 gefassten Beschluss, vor den NFR-90-Fregatten noch vier Fregatten der Klasse F 123 in nationaler Eigenregie zu baün, liess das deutsche Interesse offenbar nach.

Das ganze Fregattenvorhaben scheiterte schliesslich im Herbst 1989, noch bevor die Definitionsphase abgeschlossen war. Der Abbruch des Projekts hing aber nicht mit den politischen Umwälzungen in Europa ab November 1989 zusammen, entsprang also nicht etwa der Erkenntnis, dass man auf die Fregatten verzichten könnte. Entscheidend war vielmehr, dass unter den acht beteiligten Ländern kein Einvernehmen über das Zwischenergebnis der NFR-90-Definition und damit über ein einheitliches Schiff, den Kostenrahmen sowie das weitere Vorgehen erzielt werden konnte.16 Insbesondere spielten hierbei die Rivalitäten, die aus der parallelen Entwicklung zweier unterschiedlicher Flugabwehrsysteme für die Fregatte resultierten, eine Rolle. Zürst verabschiedete sich im September 1989 Grossbritannien aus dem Programm. In der Sitzung des ISS-Aufsichtsrats am 12. Oktober 1989 erklärten ausserdem die französischen und italienischen Gesellschafter den Rückzug aus der Gesellschaft. Am 15. Dezember 1989 gab der deutsche Sprecher im NFR-Lenkungsausschuss den Austritt aus dem Vorhaben bekannt, am 29. Dezember 1989 und 2. Januar 1990 folgten entsprechende Verlautbarungen Spaniens und der Niederlande. Am 18. Januar 1990 erklärte der NFR-Lenkungsausschuss das Vorhaben, das Millionen verschlungen hatte, für beendet.

Nach dem kläglichen Abschluss des NFR-90-Projekts suchten die sechs westeuropäischen NATO-Länder nach neuen Kooperationswegen, um doch noch an ihre Fregatten zu kommen. Auf der einen Seite taten sich die Kriegsschiffbaür von Grossbritannien, Frankreich und Italien zu einer neuen International Joint Venture Company (diesmal mit Sitz in London) für ihr Fregattenprogramm "Horizon" zusammen, auf der anderen Seite vereinbarten Deutschland, die Niederlande und Spanien, beim Fregattenbau zu kooperieren (Näheres hierzu -> Blohm + Voss, F 124).

Kritik/Proteste

In der Nacht zum Ostermontag 1985 explodierte im Keller des ISS- Bürogebäudes in der Lotharstrasse ein Sprengsatz. Der Anschlag richtete nach Presseberichten mittleren Sachschaden an.17 Die "Illegale militante kämpfende Einheit Jonas Thimme" begründete ihre Aktion in einem Bekenneranruf beim Hamburger Abendblatt damit, dass in diesem Gebäude "Kriegsschiffe für den Einsatz gegen die weltweiten Befreiungskämpfe" entwickelt würden. Beim Ostermarsch, der wenige Stunden später durch Hamburg zog, distanzierten sich Sprecher des Hamburger Forums (Klaus Balzer) und der SPD (Prof. Dr. Leonhard Hajen) von solchen Bombenattacken gegen Rüstungsfirmen.

Als im August 1986 bekannt wurde, dass demnächst eine nicht näher bezeichnete Institution der NATO zwecks Planung neuer Kriegsschiffe die Gesamtschule Kielkoppelstrasse in Hamburg-Rahlstedt in Beschlag nehmen würde18 , regte sich unter Schülern, deren Eltern und im Stadtteil umgehend Protest. Zwar war bereits zuvor wegen sinkender Anmeldezahlen von der Schliessung der Schule nach Ende des Schuljahres 1986/87 gesprochen worden, doch der Beschluss des Hamburger Senats vom 12. August 1986, die Schule vorzeitig bis zum Oktober 1986 zu räumen, sorgte für Erbitterung.19 Fast 200 aufgebrachte Eltern bereiteten am 19. August dem Hamburger Schulrat Neckel wegen dieser Entscheidung "einen ungemütlichen Abend". In der Bürgerschaft forderte die GAL-Fraktion den Senat auf, den Räumungsbeschluss zurückzunehmen. In einer Veranstaltung am 29. August im Gemeindesaal der Rahlstedter Trinitatiskirche wurde eine Bürgerinitiative unter dem Motto "Schüler raus - NATO rein - Wir sagen nein!" gegründet.

Am 11. September 1986 teilte das Verteidigungsministerium offiziell mit, dass kein Interesse mehr an dem Schulobjekt bestehe. Der Umbau der Schule würde zu hohe Kosten verursachen, was auch eine Folge "erhöhter Sicherheitsanforderungen" sei.20

Der lokale Protest, der in Rahlstedt begonnen hatte, setzte sich nach der Entscheidung für den Standort Überseering 8 im Bezirk Hamburg-Nord fort. Dort bildete sich Anfang 1987 ein Arbeitskreis gegen die Ansiedlung des Fregattenprojekts in der City-Nord. Unterstützung erhielt dieser Zusammenschluss von KommunalpolitikerInnen nicht nur der GAL, sondern auch der SPD, z.B. von Walter Wellinghausen, dem SPD-Fraktionsvorsitzenden in der Bezirksversammlung Hamburg-Nord. Der Arbeitskreis forderte über den Einzelfall hinaus, der Hamburger Senat möge seine Rüstungsansiedlungs-Politik beenden; stattdessen solle in Hamburg eine Stiftung zur Förderung der Rüstungskonversion eingerichtet werden. Auch die DKP Hamburg wandte sich 1987 mit einer Dokumentation gegen das NATO-Vorhaben in der City-Nord.21

Am 9. November 1987 veranstaltete die Bezirksversammlung Hamburg-Nord eine öffentliche Anhörung zur Ansiedlung des Kriegsschiffsprojekts. Eingeladene Vertreter der Hamburger Friedensbewegung (Hamburger Forum, Hamburger Friedenskoordination u.a.) kamen mit Hintergrundinformationen und Kritik zu Wort; der ehemalige Betriebsratsvorsitzende von HDW Hamburg, Holger Mahler, sprach sich unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsplatzsicherheit gegen den Kriegsschiffbau aus. Als einziger erschienener Behördenvertreter beschränkte sich Dr. Clamor Mittelbach, der Leiter des Amts für Wirtschaft in der Wirtschaftsbehörde, im wesentlichen auf die Aussage, die Tätigkeit der hier ansässig gewordenen Firmen bewege sich im Rahmen der Gewerbeordnung und sei daher nicht zu beanstanden. Er glaubte im übrigen das Anliegen der Rüstungskritiker mit dem Hinweis verspotten zu müssen, er rechne nicht damit, dass es wegen des NATO-Projekts zu Schiessereien in der City-Nord oder zu einem Imageverlust für den Stadtteil kommen werde.

Trotz der angeführten Aktivitäten und Veranstaltungen wurde die Tatsache, dass in Hamburg an einem Rüstungsprojekt von höchster militärischer Bedeutung gearbeitet wurde, nur von einem sehr kleinen Teil der Öffentlichkeit wahrgenommen. Nur so ist zu erklären, dass die Bürgerschaftsabgeordnete Angela Friedrich (GAL) 1989 eine Anfrage unter dem Titel "Mysteriöses Gebäude am Überseering 8" einbrachte.22 Sie wollte vom Senat wissen, warum am Eingang jeglicher Hinweis auf die Nutzung des Gebäudes fehle und warum das Gebäude "mit Stacheldraht, Kameras und anderen Menschenbeunruhigungsgeräten gesichert ist". Der Senat betrieb die übliche Geheimniskrämerei und gab lediglich bekannt, dass das Gebäude "von einer Dienststelle des Bundes" gemietet worden sei. Angesichts spriessender Spekulationen (bei Radio Hamburg war von einer möglichen Spionagezentrale die Rede) trat das NFR-90-Projektmanagement wenig später "die Flucht nach vorn" an: Abendblatt-Militärreporter Günter Stiller durfte die Leserschaft über das "Geheimnis der `Festung'" aufklären.23




Anmerkungen:

(10) Angabe für 1987: Wehrtechnik Nr. 11/1993, S. 27; Angabe für 1989: Hamburger Abendblatt 20.9.1989.
(11) Wehrtechnik Nr. 6/1984, S. 24; zum Folgenden Europäische Wehrkunde Nr. 10/1984, S. 585-587.
(12) Wehrtechnik Nr. 11/1993, S. 27; Soldat und Technik Nr. 3/1995, S. 141.
(13) Hamburger Abendblatt 20.9.1989.
(14) Naval Forces Nr. 1/1986 S. 24-27.
(15) Auch zum Folgenden Staatliche Pressestelle Hamburg: Wochendienst Nr. 38 vom 19.9.1986, S. 39f.
(16) Vgl. Naval Forces Nr. I/1991, S. 26ff und Nr. V/1994, S. 28ff.; Wehrtechnik Nr. 11/1993, S. 27f.; Soldat und Technik Nr. 3/1995, S. 141.
(17) taz und Hamburger Abendblatt 9.4.1985.
(18) Bürgerschafts-Drucksache Nr. 13/4292; Hamburger Rundschau 7.8.1986 ("Nach Schulschluss Schiffe versenken").
(19) Zum Folgenden taz Hamburg 21.8.1986; Bürgerschafts-Drucksache Nr. 11/6738 (GAL-Antrag vom 27.8.1986); taz Hamburg 1.9.1986
(20) Staatliche Pressestelle Hamburg: Wochendienst Nr. 38 vom 19.9.1986, S. 39f.; taz Hamburg 13.9.1986.
(21) DKP-Bezirksvorstand (Hrsg.): Frieden statt Fregatten, (Hamburg 1987).
(22) Bürgerschafts-Drucksache Nr. 13/4292.
(23) Hamburger Abendblatt 20.9.1989.