[ Zur Verlagsgeschichte ]


Politische Verlage wie der ID Verlag werden in den seltensten Fällen langfristig und mit sechstelligem Anfangskapital ausgestattet geplant. Sie sind meist das Ergebnis von Diskussionen und politischen Entwicklungen, die oft mehr Zufälligkeiten als ein stringentes Konzept beinhalten. Verlage wie der ID Verlag sind keine Abschreibungsprojekte für die humanistisch liberale Großbourgeoisie, die ihr Hobby zudem als Mäzenatentum verkauft. Sie sind keine Zweigstellen von Medienkonzernen und Sprachrohre von Parteien oder Organisationen. Ein Projekt wie der ID Verlag startet mit vielen Ideen und einer Mischung aus Aufklärungbewußtsein, Agitationwille und dem Wunsch, mit bedrucktem Papier nicht konforme Vorstellungen und politische Überzeugungen in die Öffentlichkeit zu transportieren. Es ist der Versuch, für einen Teil der Linken organisatorisch unterstützend zu wirken, öffentliche Diskussionen zu beeinflussen sowie die »eigene« Geschichte für spätere Generationen so zu konservieren, daß sie nicht von jedem x-beliebigen Journalisten und Zweitsemester zusammengestückelt werden kann. Natürlich gehört auch ein Schuß Provokation gegen die bürgerliche Öffentlichkeit und den linken Mainstream zur Grundmotivation eines solchen Projektes.

Die Gründung des ID Verlag ist nicht in 68er ff.-Anekdoten zu verorten, sie resultiert vielmehr aus dem Niedergang der kritischen Publizistik in den 80er Jahren. Das aus den 70er Jahren überkommene Verlagswesen der ehemaligen »Neuen Linken« war in Auflösung oder Anpassung begriffen. Die sozialen Bewegungen und linksradikalen Politikfelder wurden, je nach Befindlichkeit der altlinken Verleger, mit mehr oder weniger Distanz begleitet oder schlichtweg ignoriert. Dadurch drohte die Gesellschaftskritik der radikaleren und undogmatischen Linken, aufgrund der Reduzierung auf die eigenen, nur in einer In-Szene verbreiteten Schriften, ins Sektierertum abzudriften. Trotz Lamentierens vieler Altlinker in Buchhandlungen und Verlage waren die Ausgangsbedingungen für ein Verlagsprojekt Ende der achtziger Jahre gar nicht so schlecht.

Im Frühjahr 1988, nach einer Ausbildung zum Buchhändler und dreijähriger Tätigkeit als Vertreter für rund 30 kleinere Verlage, führte mich eine Recherchereise in das Frankfurter Büro des Informationsdienstes1, um einen Sammelband mit Texten zur Geschichte der Autonomen zusammenzustellen. Eine differenzierte Reflexion militanter Politik schien notwendig. Nach den Schüssen an der Startbahn-West (am 2.11.87 wurden von Startbahn-Gegnern bei einer Demonstration zwei Polizisten erschossen) und den Kämpfen um die besetzten Häuser in der Hamburger Hafenstraße (ebenfalls im November '87 spitzte sich dort die Situation zu) hatte eine massive Hetze gegen die Autonomen eingesetzt. Die Medien (auch die linken) überboten sich mit Distanzierungen und Denunziationen, gerade auch weil die Bewegung durchaus eine Relevanz bei gesellschaftlichen Auseinandersetzungen hatte.

Anfang 1988 war das Frankfurter ID-Archiv stark verschuldet, eine Archivarbeit fand kaum noch statt, der endgültige Zusammenbruch stand kurz bevor. In letzter Minute erinnerten sich zwei IDler der Beiratsfunktion2 eines Mitarbeiters vom Amsterdamer Internationalen Instituts für Sozialgeschichte (IISG)3 in der 1981 eingestellten Zeitschrift Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten. Waldemar Schindowski und Axel Diederich gelang es, das zum damaligen Zeitpunkt inhaltlich desolate und öffentlich bedeutungslose ID-Archiv in das IISG zu überführen. Es kam ihnen der Umstand zugute, daß es das IISG zwei Jahrzehnte versäumt hatte, Materialien der neuen sozialen Bewegungen zu archivieren und nun für relativ wenig Geld Tonnen von Aktenordnern, Zeitschriften, Broschüren, Flugblätter, Bücher etc. erwerben konnte. Durch den Verkauf an diese Institution wurden die Voraussetzungen geschaffen, den ursprünglichen Aufgaben eines Archivs gerecht zu werden, d.h. das Sammeln, Archivieren und vor allem Zugänglichmachen der Materialien für die interessierte Öffentlichkeit.

Die Anstellung (und spätere Verbeamtung) der zwei Frankfurter ID-Mitarbeitern war von daher logisch. Um KritikerInnen dieser durchaus umstrittenen Archivveräußerung vorab die Argumente zu nehmen, war es das Interesse des neuen ID-Archivs, die vielfältigen Möglichkeiten zukünftiger Archivarbeiten zu dokumentieren. Waldmar Schindowski und Axel Diederich fragten in dieser Phase bei mir an, ob ich die Realisierung eines Dokumentenbandes zur Auseinandersetzung der Linken mit den Ereignissen an der Startbahn-West übernehmen könne. Die Herausgabe und der Versand der Dokumentation 2.11.87 ... an mehrere hundert Zeitschriftenprojekte war dann auch das erste Beispiel für die verbesserte Arbeits- und Finanzsituation bei der Kooperation mit der Institution IISG. Da die Resonanz auf diese Publikation positiv war, entstand die Idee, unsere Zusammenarbeit fortzuführen und einen Verlag anzumelden. Riesige Mengen an Grundlagenmaterial zur Beschäftigung mit linker Geschichte als materielle Basis sowie ein international renommiertes und finanziell abgesichertes Institut schienen uns eine gute Voraussetzung für die zukünftige Publikationstätigkeit zu sein.

Am 1.8.1988 wurde die Edition ID-Archiv (Diederich, Hoffmann, Schindowski GbR) als eigenständiger Verlag gegründet. Der große Amsterdamer Geldregen erfolgte zwar nicht, aber einzelne Projekte erhielten in den nächsten Jahren vom IISG die benötigten Zuschüsse, und für meine Verlagsarbeit hatte ich in der Anfangsphase die Funktion eines freien Mitarbeiters mit einem geringen Honorar. Die Arbeitsbereiche waren getrennt, Axel und Waldemar arbeiteten in erster Linie für das Archiv und waren an der Herausgabe einzelner Publikationen beteiligt, für die praktische Verlagsarbeit war ich zuständig. Als Gegenleistung für die »Starthilfe« seitens des IISG organisierte der Verlag die notwendige Öffentlichkeitsarbeit für Archiv und Institut mit dem Erfolg, daß fast alle linken, alternativen und feministischen Zeitschriften ihre kostenlose Abos fortsetzten. Zudem wurden bald einige wertvolle Materialien sowie komplette Sammlungen nach Amsterdam transferiert. Von Beginn agierte der Verlag eigenständig. Die Kooperation Verlag - ID-Archiv - IISG war eine eher formale Zweckgemeinschaft mit gegenseitigem Nutzen.

Um mit den Büchern über den engen Szene-Dunstkreis hinaus zu gelangen, hatte in der Anfangsphase der Aufbau einer Buchhandelsstruktur Priorität. Dabei kamen uns die Kontakte aus der Vertreterzeit zu Auslieferungen und Vertreterkollegen entgegen. Nichts ist für einen kleinen Verlag fataler, als von Beginn an den nur schwer zu korrigierenden Stempel »schwer verkäuflich« zu erhalten. Angesichts erstaunlicher Verkaufzahlen in den ersten zwei Jahren (so z.B. Schwarze Texte und Feuer und Flamme mit etlichen tausend Exemplaren), öffnete sich der skeptische »altlinke« Buchhandel bzw. das allgemeine Sortiment in den Großstädten, und unsere Verlagsvertreter konnten in der Folgezeit teils erstaunliche Vorbestellzahlen erreichen. Diese positive Erfahrung kann jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß sich der linke Buchhandel bereits seit Ende der siebziger Jahre im Abwärtstrend befindet. Heutzutage ist eine Trennung von »linken« und »bürgerlichen« Buchläden nur noch in einer handvoll bundesdeutschen Städten wahrnehmbar, die Klassifizierung links ist wohl auch eher verkaufshinderlich. Neben dem Marktdiktat von Nachfrage und Angebot, wie es sich in der Lagerumschlagsgeschwindigkeit und dem Warenwirtschaftssystem ausdrückt, spielen meist nur noch die individuellen Vorlieben einzelner Mitarbeiter eine Rolle.

Die Zusammenarbeit mit den selbstdefinierten linken Buchhandlungen ist von daher ernüchternd. Zwar wäre die Entwicklung des Verlages ohne das Engagement einzelner Buchhandlungen und BuchhändlerInnen nicht denkbar (ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle an die Freunde und Freundinnen im Buchhandel), aber es hat sich weitgehend ein Trend zur Beliebigkeit durchgesetzt. Der ökonomische Druck läßt ein politisch oder literarisch anspruchvoll orientiertes Sortiment kaum mehr zu. Für den ID Verlag, wie auch für die meisten anderen vergleichbaren »populären« und nicht von »Sponsoren« finanzierten Verlage wird sich zeigen, wie in Zukunft mit dem immer schwierigeren Vertriebsbereich umzugehen ist.

Die interne Struktur ist beim ID Verlag, wie bei vielen vergleichbaren Projekten, immer ein Reibungspunkt gewesen. 1988 wurde der Verlag als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) mit drei Gesellschaftern gegründet, deren Verlagstätigkeiten mit unterschiedlicher Intensität betrieben wurde, und auch die Existenzsicherung war grundsätzlich verschieden. Hatten die anderen zwei Gesellschafter ein festes Einkommen durch ihre Anstellung in Amsterdam, zwang mich die unsichere Ökonomie vor allem in der Anfangsphase zu inoffiziellen staatlichen Subventionsmaßnahmen. In den ersten Jahren konnte auch an die AutorInnen oder sonstigen MitarbeiterInnen nur sehr eingeschränkt Honorare ausgezahlt werden.

Ohne die solidarische Unterstützung und unentgeldliche Mitarbeit von FreundInnen und GenossInnen wäre die 10jährige Verlagsarbeit nicht denkbar gewesen.

1993 kam es zum ersten großen Einschnitt innerhalb der Verlagsorganisation. Nachdem bereits ein Jahr zuvor eine gute Zusammenarbeit mit der Frankfurter diskus-Redaktion im allgemeinen (es erschienen die zwei Publikationen Küss den Boden der Freiheit und Die freundliche Zivilgesellschaft) und Andreas Fanizadeh im besonderen stattgefunden hatte, wurde Andreas die Mitarbeit im Verlag angeboten. Seine Entscheidung für den Verlag war in dieser Phase existentiell, ansonsten hätte das Projekt sicher nur noch auf einem Minimallevel fortgeführt werden können. Durch einen Wohnortwechsel war für mich die zeitintensive Verlagsarbeit nicht mehr leistbar. Zudem hatten sich nach fünf Jahren unübersehbare Verschleißerscheinungen eingestellt. Es waren auch Andreas' Kontakte in die Theorie- und Kulturszenen, ohne die bisherigen »Bewegungsthemen« zu vernachlässigen, die für die weitere Entwicklung des Verlages entscheidend gewesen sind. Anfangs wurde unser Bemühen um die »Kulturtitel« durchaus mit Skepsis und Kritik von den »politischen LeserInnen« und Stammbuchhandlungen aufgenommen. Aber hätte der Verlag seine klassischen politischen Felder nicht erweitert, wäre er parallel zu dem Niedergang politischer Szenen sprichwörtlich ins Leere gelaufen.

Aufgrund der relativ erfolgreichen Programme hatte sich die finanzielle Situation 1993 soweit stabilisiert, daß wir uns einen festen minimalen Verlagslohn auszahlen konnten. Formal blieb der Verlag die Diederich, Hoffmann, Schindowski GbR, allerdings wurden 99% der Verlagsarbeiten in Berlin getätigt.

Von 1988 bis 1992 war der Anteil des ID-Archivs am Erscheinungsbild des Verlages relativ groß, rein bibliographisch hatte das ID-Archiv im IISG bei 15 von 33 Publikationen die Herausgeberschaft übernommen. Neben Eigenproduktionen wie die Verzeichnisse fungierte das Archiv aber oft nur im Impressum als Herausgeber, und die reale Arbeit wurde von politischen Gruppen oder Einzelpersonen erledigt. Die formaljuristische Herausgeberschaft war jedoch vor allem bei den sogenannten schwierigen Titeln wichtig. Ab 1993 nahm die Nennung Amsterdams dann rapide ab. Mit ganzen drei Titeln (von 45 Bücher und 15 Ausgaben der Zeitschrift Die Beute) war das ID-Archiv bis zu der Trennung 1997 kaum noch an der Publikationstätigkeit beteiligt. Allerdings wären für den Verlag sehr bedeutende Bücher (wie Die Früchte des Zorns) ohne die Mitarbeit des ehemaligen Archivangestellten Waldemar Schindowski, der auch nach seiner Kündigung im Amsterdamer ID-Archiv noch zwei Verlagsprojekte initiierte und betreute, sicher nicht zustande gekommen.

Spätestens nach dem Ausscheiden von Waldemar aus dem Archiv wurde deutlich, daß die bisherige Verlagsstruktur dringend einer Neuordnung bedurfte. Mitte 1996 wurde von Seiten des Verlagsbüro eine Neukonzeption vorgestellt. Der Verlag verfügte zwar neben dem Hauptsitz in Berlin noch über ein Büro in Siegen, wo der Vertriebsbereich und die Geschäftsführung abgewickelt wurde, für die weitere Perspektive des Verlages stand jedoch die arbeitsorganisatorische Konzentration in Berlin außer Frage. Die formale Trennung von Amsterdam wurde von allen Seiten als notwendig angesehen, allerdings wurden sie mehrfach durch Forderungen seitens des ID-Archiv blockiert (so wollte Axel Diederich z.B. dem Verlag untersagen, den Namen ID zu führen). Es dauerte fast ein Jahr, bis es zu konkreten Veränderungen kam. Erst eine sehr unerfreuliche Entwicklung forcierte den Prozeß. Im September 1997 stand der Verlag durch den Konkurs der Auslieferungsfirma Rotation und einem Gesamtschaden von einigen 10 000 Mark knapp vor dem Aus.

In einem Brief an die AutorInnen, MitarbeiterInnen und FreundInnen des Verlages und der Beute im September 1997 schrieben wir: »Der Rotations-Konkurs hat uns kalt erwischt und war in dieser Form für uns überraschend. Im Prinzip wäre er wohl verhinderbar gewesen, hätte rechtzeitig eine Umstrukturierung innerhalb von Rotation stattgefunden und wäre die Dimension der Schulden bekannt gewesen. Dies sollte so klar genannt werden, damit nicht noch der Eindruck entsteht, ein weiteres linkes Projekt ist aufgrund des politischen Klimas abgestürzt. (...)

Der Rotations-Konkurs hat die Ökonomie des Verlages natürlich existentiell getroffen. Bis zum Sommer waren wir mit den branchenüblichen Schwierigkeiten (fehlendes Kapital zur Vorfinanzierung, Liquiditätsprobleme etc.) konfrontiert. Die seit längerem geplante Umstrukturierung des Verlages sollte im Herbst endlich konkretisiert werden. Da zwei der drei Gesellschafter bereits seit längerem aussteigen wollten, sich die finanzielle Lage aber mit dem Rotations-Konkurs dramatisch zugespitzt hatte und Modelle zur Umwandlung der Edition ID-Archiv nicht mehr praktikabl waren, wurde der Geschäftsbetrieb der Edition ID-Archiv (Diederich, Hoffmann, Schindowski GbR) zum 31.8.97 eingestellt. Zum 1.9.97 wurde der ID Verlag (Fanizadeh, Hoffmann, Tawereit GbR) gegründet, der aber die Geschäfte der Edition ID-Archiv weiterführt. Durch Entgegenkommen der bisherigen Gläubiger der Edition ID-Archiv (Stundung und Minderung der Rechnung etc.) sowie Darlehen von Privatpersonen haben wir ein realistisches Modell entwickelt, die Arbeit fortzuführen ...«

Nur aufgrund einer neuen Konzeption und der überfälligen Beteiligung von Andreas Fanizadeh sowie des Verlagseinstiegs von Wolfgang Tawereit, der bis dato auf Stundenbasis für die Rechnungsführung und Buchhaltung zuständig war, konnte die Pleite verhindert werden.

Im Frühjahr 1998 wurde dann die bislang letzte formale Änderung im Verlag vollzogen. Mit einer einvernehmlichen Regelung wurden endlich sämtliche Geschäfte in Berlin zentralisiert und der ID Verlag gleichzeitig auf die Fanizadeh - Tawereit GbR reduziert. Diese Änderung entspricht dann auch der momentanen tatsächlichen programmatischen und ökonomischen Verantwortung.



[ Anmerkungen ]

1 1973 erschien die erste Ausgabe des linken, undogmatischen wöchentlichen Informationsdienstes zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten. Bis zu seiner Einstellung 1981 erschienen 371 Ausgaben. Anfang der 80er Jahre gründete sich im Informationsdienst das ID-Archiv, das 1988 nach Amsterdam an das IISG verkauft wurde. Noch heute existiert in Frankfurt der Informationsdienst mit dem eigenständigen Projekt Alltag. Dort wurde auch in den letzten Jahren ein neues Archiv aufgebaut.

2 Zur politischen Absicherung und als Schutz gegen die in den 70er Jahren gegen die radikale Linke stattfindenden staatlichen Zensur- und Repressionsmaßnahmen wurde für die Zeitschrift ID ein Beirat gegründet. Diesem gehörten u.a. Erich Fried, Klaus Wagenbach und auch der Mitarbeiter des Amsterdamer IISG, Götz Langkau, an.

3 1935 wurde das Internationale Institut für Sozialgeschichte (IISG) in Amsterdam gegründet. Während der Zeit des Faschismus hatte es eine wichtige Funktion und wurde in der Nachkriegszeit zum bedeutendsten Archiv im Bereich Arbeiterbewegung/Anarchismus außerhalb der sozialistischen Länder.