Revolutionärer Zorn Nr. 4

Januar 1978


»... Die Rechtspresse jubelte, die bürgerlichen und sozialdemokratischen Zeitungen wetteiferten mit Rechtfertigungen des •an sich bedauerlichen­ Vorfalls. Scheidemann [1] verteidigte die Untat, Ebert [2] schwieg dazu und Gustav Noske [3] ließ erkennen, daß er mit dem Ergebnis zufrieden war...Die Ermordung der beiden Sozialistenführer war tatsächlich der Beginn einer Entwicklung, die in den Massenvernichtungslagern ihren Höhepunkt erreichte, aber noch keineswegs abgeschlossen ist, sondern in abgeschwächter Form weiterwirkt. Die Bluttat, zu einer von der Geschichtsschreibung schamhaft verschwiegenen, weil allen beteiligten peinlichen Konterrevolution sollte nicht allein das noch schwache Häuflein Spartakisten treffen, vielmehr die Revolution selbst«
(Bernd Engelmann [4] / Ermordung Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht [5])
Nach über 50 Jahren: wieder die Sozialdemokratie, wieder ein noch schwaches Häuflein von Sozialrevolutionären. Doch die Geschichte wiederholt sich nicht. Diesmal keine aufgeputschte, gröhlende, mordende Soldateska, sondern das Innenministerium selbst, die Hinrichtungen in eigens dafür konstruierten Todestrakten, als Zeugen nur sie selbst, die Medien sprungbereit, in millionenfacher Auflage aus den Ermordeten die Täter zu machen. Am Ende werden die Mauern der Hinrichtungsstätte eingerissen, um ein für allemal alle Untersuchungen, alle Nachforschungen unter einem Steinhaufen zu begraben.
Doch die Ermordeten lassen sich nicht begraben: Rosa und Karl - das sind heute noch die lebendigsten Menschen, die dieses Volk jemals hervorgebracht hat, - Ulrike [6], Halimeh [7], Gudrun [8], Ingrid [9], Holger [10], Wilfried [11], Andreas [12] und Jan [13] gehören bestimmt dazu.
Das wissen wir, doch das macht unseren Schmerz nicht geringer. Wir werden jedoch nicht an ihm ersticken, sondern aus unserer Hoffnung und unserem Schmerz heraus weiterkämpfen. Nicht verzweifelt und blindwütig, das hieße, wir hätten uns Illusionen gemacht, hätten uns den Kampf in den Metropolen einfacher vorgestellt, den Feind weniger blutrünstig als in der Dritten Welt - hieße, wir hätten zwar My Lai [14], Attica [15], Tel Saatar [16] für möglich gehalten, nicht aber ein Massaker in Stammheim (Warum, weil es dort Gelbe, Schwarze, Braune waren, hier aber Weiße?)
Wir werden mit unseren Waffen, den Waffen der Unterdrückten, weiterkämpfen - und das sind unsere Utopie, unsere List, Phantasie und Ausdauer, unsere Kollektivität und Kontinuität.

Jeder, der wissen will, weiß was das bedeutet
»Und wir, wir schrecken zurück vor der Mordthese, die - wie auch immer im Detail - eine verdammt ernste Konsequenz hätte. Denn es ist nicht egal - auch wenn wir wissen, daß Selbstmord eine Form von Mord ist - was geschah. Mord: das hieße, daß es in der BRD zumindest gegenüber bestimmten Gruppen offenen Faschismus gibt und das heißt, daß wir endgültig und absolut nicht so weiterleben können wie bisher.« (Pflasterstrand)
Selten ist so ehrlich formuliert worden, daß die Wahrheit-wissen-wollen sich nach den Konsequenzen richtet, die dieses Wissen für einen selbst mit sich bringt. Anders gesagt: Es klammern sich deshalb so viele Linke und Liberale in der BRD (in gespenstischem Gegensatz zur ganzen übrigen Welt) an die staatlich verordnete Selbstmordthese, weil die Wahrheit von ihnen verlangen würde »endgültig und absolut nicht mehr so weiterzuleben wie bisher.«
Dieser enge Zusammenhang von Wahrheit-wissen-wollen und Pflicht zum Widerstand scheint wieder einmal von vielen ganz in der verbrecherischen Tradition ihrer Väter gelöst zu werden, die auch von nichts was gewußt haben wollen und heute 50 Millionen Kriegstote und 6 Millionen KZ-Opfer mitzuverantworten haben.
Weiter ist in diesem Zitat von der Möglichkeit des offenen Faschismus zumindest bestimmten Gruppen gegenüber die Rede. Doch Faschismus ist nie punktuell, in Teilbereichen nur praktizierbar, sondern als grundsätzliche Lösungsstrategie gegenüber allen gesellschaftlichen Widersprüchen vorhanden. Stammheim und Mogadischu [17], das ist das Grundmuster, das den Alltag in der BRD strukturiert. Denn nach dem gleichen Muster, mit dem Mogadischu »erledigt« wurde, werden die Umweltkämpfer »erledigt« - mit Tricks, Lügen, Krisenstabsmethoden und Overkill-Programm, um den Weg in den Öko-Faschismus frei zu machen. Läßt sich auf diesem Weg keine Zwangsbefriedung erreichen, dann werden die Schweine weiter eskalieren, und das kalkuliert die physische und psychische Vernichtung der Widerstand Leistenden ein. Die Vernichtungsstrategie gegen die bewaffneten Kämpfer kann keiner mehr als Teilstrategie begreifen, das hieße, die Verfolgten und Ermordeten an anderen Fronten in diesem Land stillschweigend zu begraben.
Den Druck, was tun zu müssen, haben viele Genossen erfahren und ausgesprochen in den letzten Wochen - aber eine Antwort geben zu wollen, aus dem Re-agieren raus zu kommen, ist schon nicht mehr Sache von allen.
Da sind die Verzweiflungstrategen, die, je schlimmer es wird, sich umso verbissener an ihre bisherigen Zusammenhänge klammern. Das Festhalten an bisherigen Formen und Perspektiven politischer Arbeit muß da schon zum Rückzug werden, wo nur auf alten Positionen beharrt wird. Vielen Genossen geht das »Trotzdem« und »wie bisher Weitermachen« zu leicht, zu schnell über die Lippen. Es reicht nicht, das Weitermachen, das Nicht-Aufgeben zu beteuern, - weil keine Genossin und kein Genosse wie bisher weitermachen kann, weil wir jeden Tag so viel mehr und so viel neue, andere Phantasie, Kraft und Wut brauchen.
Die Bewegungen an anderen europäischen Ländern haben auf die Morde in Stammheim, Stadelheim, Mogadischu massenhaft geantwortet. Wer jedoch die Demonstrationen in Italien, Frankreich und Griechenland etc. zum Anlaß nimmt, um an ihnen zu beweisen, daß in der BRD nichts mehr laufen kann, also auch nichts möglich ist, der lügt, weil er die Brände bei Ford (250 Mill. Schaden), bei Merck und Adler, die Bomben in den Gerichten von Kaiserslautern und Hannover verschweigt. Die Haltung, in Italien jeden Molli zu zählen, in der BRD bei Großbrandstiftung in imperialistischen Konzernen die staatliche Selbstentzündungsversion zu kolportieren, hat die Funktion, sich damit selbst beweisen zu können, hier gehe nichts mehr und damit für die eigene Untätigkeit entschuldigt zu sein.
Doch diese Aktionen lassen sich nicht mit dem Geschwätz und der Beschwörung von der totalen Einkreisung vom Tisch wischen. Daß es relativ wenige waren, das liegt nicht ausschließlich an den Bedingungen, sondern vor allem an euch selber. Hört auf zu heulen, es hat doch gerade erst angefangen.
Dieser Artikel wurde vor der Schleyer-Entführung, vor den Massakern in Mogadischu und Stammheim geschrieben. Wir haben ihn absichtlich nicht mehr überarbeitet, da er - kaum 10 Wochen alt - eindringlich dokumentiert, daß wir in Zeiten leben, in denen die Schreckensnachrichten täglich, ja stündlich eintreffen. Ingrid Schubert ermordet - Klaus Croissant [18] in die deutsche Vernichtungsmacht ausgeliefert - Atomkraftwerke werden weitergebaut - die Schutzhaft der Nazis wieder eingeführt. So bewahrheitet sich bitter, »daß dies kein schleichender Prozeß ist, das war noch nie die Gangart des Faschismus« und ebenso bitter, daß wir in einem Land leben, in dem sich die Menschen mit antifaschistischem Widerstand schwerer tun als irgendwo sonst.
»Denn wir gehen nicht unter in Niederlagen, aber in Kämpfen, die wir nicht kämpfen«
Unsere Kenntnis des neuen Faschismus ist noch nicht abgeschlossen, sie beginnt langsam Gestalt anzunehmen, wenn man an seinen Ursprung zurückgeht (André Glucksmann) [19]
Die Repression in der BRD ist längst kein innerdeutsches Problem mehr. In Frankreich arbeiten Komitees »Gegen ein Europa unter deutsch/amerikanischer Vorherrschaft«; die italienischen Genossen haben den Kampf gegen die »Germanizziazione« [20] auf ihre Fahnen geschrieben; in Paris, Marseille, Rom, Madrid, Athen ... gehen deutsche Niederlassungen in Flammen auf; in den Schweizer Alpen wird Springers Fluchtburg eingeäschert; das Russell-Tribunal klagt nach dem amerikanischen Völkermordprogamm in Vietnam, den Gorilla-Diktaturen [21] in Brasilien und Chile das »Modell Deutschland« an; Stammheim ist weltweit zum Synonym für Vernichtungshaft und weiße Folter geworden, »Berufsverbote«, »Todesschuß« und »Ausrottung des linken Sumpfes« zu internationalen Begriffen für bundesdeutsche Innenpolitik.
Griechenland wird durch den »Fall Pohle« [22] in seine größte innenpolitische Krise gestürzt, seit die USA die Junta gegen das Karamanlis-Regime austauschte. Die unverschämte, erpresserische »Arroganz der BRD-Macht«, die ihre ökonomische Zuchtrute EG ins Spiel bringt, entfacht eine antifaschistische Volksbewegung gegen den BRD-Imperialismus und das Karamanlis [23]-Regime als dessen Vollzugsorgan. So wird der »Fall Pohle« dort zum Kristallisationspunkt einer noch aus der Juntazeit total zersplitterten Linken,der endlich wieder gemeinsame Diskussionen und Strategie möglich macht.
Doch von alledem wird in der BRD wenig wahrgenommen. Im Kernland des europäischen Imperialismus ist eine erschreckende Lähmung der oppositionellen Kräfte festzustellen, die mit wenigen Ausnahmen überhaupt noch nicht thematisiert haben, was andernorts die europäische Linke bereits konkret bekämpft: die United States of Europe unter deutsch-amerikanischer Vorherrschaft.
Die United States of Europe - »das ist nicht das Europa der Arbeiter, ein Europa, das unabhängig sein sollte, gleichzeitig von den USA und der Sowjetunion« (Vigier [24]) - die USE, das ist das Europa der Bosse und Bullen.
»Seit langem war die Entwicklung der wichtigsten Produktivkräfte in Gefahr, im zu engen Rahmen des alten Nationalstaates zu ersticken. Vor allem im Fall Deutschland war dies eindeutig bewiesen. Nach dem zweimaligen Scheitern einer gewaltsamen Expansion nach dem Osten, versuchen heute die Produktivkräfte Westdeutschlands, sich durch Expansion nach dem Westen einen Weg aus ihren engen Nationalgrenzen heraus zu bahnen ... Der größere Markt ermöglicht größere Produktionseinheiten, größere Kapitalballungen, größere Rationalittät in der Auswahl der Produktionsstätten und der Transportmittel.« (Mandel [25], »EWG-USA«, S. 41)
Dieser Beschreibung der europäischen Wirtschaftsintegration muß hinzugefügt werden, daß sie auf der Grundlage einer in großem Umfang vollzogenen amerikanisch-europäischen Konzernintegration erfolgte und daher im wesentlichen nicht als konkurrierender Zusammenschluß gegenüber dem US-Kapital zu verstehen ist, sondern als die Organisationsebene des transnationalen Kapitals im europäischen Raum.
Der hohe Grad der ökonomischen Verfügungsgewalt des transnationalen Kapitals über Europa verlangt nach einer Entsprechung im politischen Bereich, d.h. eine Zentralisierung der politischen Entscheidungen. Die FAZ nennt das »In Europa wieder Staat machen«. »Ein Europa, das endlich mit einer Stimme spricht«, das bedeutet die schnellstmögliche Beseitigung der dieser Zentralisierung hinderlichen Restbestände nationaler Souveränitäten.
»Souverän sind sie (die europäischen Staaten) nicht mehr in einem politischen, sondern nur noch in einem abstrakten völkerrechtlichen Sinne ... Mittlerweile sind andere Organsiationen entstanden ... z.B. die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, und die Notenbankkonferenzen für die Steuerung des internationalen Wirtschafts- und Währungssystems oder der Gemeinsame Markt für die Sicherheit des Handels und der Arbeitsplätze in Europa ... Aber wichtiger ist wohl, daß es den Staaten mittlerer Größe schwerer fällt, sich so rücksichtslos wie die meisten europäischen Kleinstaaten ihren Mangel an Bedeutung einzugestehen. Sie sind noch nicht ganz entmachtet ... Aber daneben ist eine neue transnationale Souveränität auf Teilgebieten entstanden, die noch darauf wartet, beschrieben zu werden. Haben die großen multinationalen Gesellschaften daran ihren Anteil?« (FAZ 4.11.75)
Eine rhetorische Frage, denn sie ist bereits präzise beantwortet worden: Träger dieser neuen transnationalen Souveränität sind die Systeme der USA und der BRD. Im Zug der weltweiten Offensive des transnationalen Kapitals versuchen diese beiden Zentren, ökonomische und politische Suprastrukturen aufzubauen oder haben sie bereits aufgebaut, in die sich die anderen Staaten so schnell wie möglich integrieren wollen bzw. müssen. In diesem Rahmen ist die EG, ein »Marshallplan für Südeuropa« (Brandt [25a]) zu verstehen als die Zentralisierung der politischen Gewalt mittels Auflösung der nationalen Souveränitäten durch Bildung eines europäischen Supranationalstaates unter bundesdeutscher Regie. Die jeweiligen Statthalter für dieses Geschäft sind bereits auch in den Peripherieländern erfolgreich aufgebaut und zum Teil schon durchgedrückt worden:
Karamanlis, Echevit [26], die Gebrüder Soares [27] & Suarez [28], Gonzales [29] (PSOE) nicht zu vergessen:
- die »sozialistische Internationale« als ideologischer Kopf
- die ökonomische Erpressung durch den deutsch-amerikanischen Imperialismus als Integrationsinstrument
- das »Modell Deutschland« als europäische Innenpolitik.
Die hier knapp angedeuteten »europäischen Strategien« des multinationalen Kapitals und ihrer sozialdemokratischen Statthalter (wenn die Bourgeoisie heute auf die Sozialdemokratie setzt, dann deshalb, weil sie von ihr erwartet, daß sie in diesem entscheidenden Umstrukturierungsprozeß die Arbeiter besser kontrollieren kann; (in Italien kommt der KP dieselbe Funktion zu) sind nur auf dem Hintergrund einer gigantischen Umstrukturierung des Weltmarktes, die sich in den letzten 10 Jahren vollzogen hat, zu verstehen. Wir müssen uns daher mit diesem Umstrukturierungsprozeß näher befassen, obwohl die Einheitlichkeit dessen, was sich in Europa abspielt, darunter leidet.

Schlechte Geschäfte?
»Die ganze Welt soll das amerikanische System übernehmen, das seinerseits nur überleben kann, wenn es Weltsystem wird.« (Truman [30] 1947)

Mit Beginn der 70er Jahre traten in den westlichen Industrienationen krisenhafte Erscheinungen auf, die sich von denen »normaler« zyklischer Krisen qualitativ unterscheiden.
Es geht diesmal für das multinationale Kapital nicht nur darum, im Rahmen einer Krise eine weitere Intensivierung der Arbeit, eine Aushöhlung der Reallöhne, die Disziplinierung der Arbeiter und Angestellten zu erzwingen und durch die Aufsaugung schwächerer Kapitalfraktionen eine größere Kapitalkonzentration zu erreichen. Diesmal geht es um mehr: Das Kapital kündigt »das Ende einer Aera« an, die es zur »Revision seiner Pläne und Strategien zwinge ... der radikalsten und schmerzhaftesten seit Menschengedenken« (Business International, Januar 1977)
Die »Wirtschaftswoche« jubelt: das wird man mit Fug und Recht eine neue industrielle Revolution nennen müssen (WiWo [31] 25, 1977). Und die OECD spricht von einem »Übergang vom konsumorientierten Wachstum der Nachkriegszeit zu einem Modell ... mit Schwergewicht auf der Verbesserung und Erweiterung der ökonomische Basis.« (OECD Economic Outlook, 19.1.76)
Als Hauptwerkzeuge, um die Veränderung herbeizuführen, werden in Bezug auf die westlichen Industrieländer hohe Arbeitslosenquoten, verringerte Reallöhne und sinkender Lebensstandard genannt.
Es geht also in Wirklichkeit nicht um eine Krise des transnationalen Kapitals. Im Gegenteil: die meisten Unternehmen weisen in ihren Geschäftsberichten nach, daß sie gerade in den Rezessionsjahren der westlichen Industriestaaten »weltweit sehr erfolgreich gearbeitet haben«.
Die Krise der nationalen Ökonomien Europas, der USA und Japans gehen einher mit einer merklichen »Verbesserung und Erweiterung der ökonomischen Basis« des nationalen Kapitals, das »1984, wenn nicht gar früher« (WiWo 25,1977) die erste Phase der weltweiten Umstrukturierung abgeschlossen haben wird.
Der Schlüssel für dieses »Erfolgsrezept« liegt offensichtlich nicht mehr in den klassischen Industrienationen Westeuropa und der USA, denn die Inlandsinvestitionen in diesen Ländern stagnieren oder gehen zurück, wie in den BRD und Japan, bei einer gleichzeitigen Expansion der Auslandsinvestitionen in den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas.

Das große Fressen
Der Schlüssel für die neue imperialistische Invasion in die Länder der 3. Welt liegt in der Entwicklung einer neuen internationalen Arbeitsteilung, die sich von der bisherigen qualitativ unterscheidet. Wurden bislang darunter die Metropolen als Industriezentren, die jeweiligen Peripherieländer (Europa: Portugal, Spanien, Irland usw.) als Produktionsstätten für arbeitsintensive Produktion und die 3. Welt als Rohstofflieferant verstanden, so macht die neue internationale Arbeitsteilung mit dieser Borniertheit Schluß. Produktionsanlagen werden zunehmend dorthin verlagert, wo sie nach dem Kapitalverwertungsgesetz am rentabelsten sind. Und rentabel sind in den Metropolen aufgrund der hohen organischen Zusammensetzung des Kapitals (= vereinfacht gesagt, der Wert der Produktionsmittel und der Wert der Arbeitskraft, d.h. die Gesamtsumme der Arbeitslöhne) in diesen Ländern nur noch in begrenzten Bereichen. Der Hauptgeschäftsführer des DIHT, Broicher, nennt diese Bereiche, mit der dem Kapital eigenen Perversion »Die Bereiche der intelligenten Produktion«.
Die volle Subsumierung der 3. Welt unter das multinationale Kapital als mögliche Produktionsstätten ist jedoch an Voraussetzungen geknüpft, die sich erst Ende der 60er Jahre voll realisierten:
»Erstens hat sich im Laufe der Zeit in den Entwicklungsländern ein praktisch unerschöpfliches Potential disponibler Arbeitskräfte herausgebildet. Diese Arbeitskraft ist sehr billig, kann praktisch alle Stunden des Jahres zur Produktion mobilisiert werden (Schicht-, Nacht- und Feiertagsarbeit), kann in vielen Fällen nach kurzer Anlernung eine Arbeitsproduktivität entwickeln, die derjenigen in vergleichbaren Produktionen der traditionellen Industrieländer entspricht, kann schneller ausgelaugt werden, da Ersatz jederzeit leicht beschaffbar ist und kann schließlich angesichts des großen Überangebots arbeitssuchender Menschen sehr spezifisch ausgewählt werden (nach Alter, Geschlecht, Qualifikation, Disziplin usw.).
Zweitens erlaubt eine hinreichend weit getriebene Fragmentierung des Produktionsprozesses, daß die meisten dieser Fragmente von niedrig qualizifierter Arbeitskraft (im Sinne von kurzen Anlernzeiten) ausgeführt werden können.
Drittens ermöglicht die Entwicklung der Transport- und Kommunikationstechnologie in vielen Fällen, Voll- oder Teilfertigungen an beliebigen Standorten weltweit vornehmen zu lassen, ohne daß dies durch Transport- oder Steuerprobleme technisch, organisatorisch oder kostenmäßig unmöglich gemacht würde.« (Fröbel/Heinrichs/Kreye: Die neue internationale Arbeitsteilung, S. 30) [32]
Konkret heißt das: Das multinationale Kapital hat sich die Möglichkeit geschaffen, Massen- und Standardgüter, also nicht nur arbeitsintensive, sondern auch rohstoff-, energie- und pollutions- (= umweltbelastend) und kapitalintensive Produktionen in den Ländern der 3.Welt herstellen zu lassen, indem es vornehmlich sehr junge Frauen für 10 bis 20 % des Lohns der Industrieländer kurzfristig auspresst, um sie dann wieder durch »frische Kräfte« ersetzen zu lassen. Angesichts dieser gigantischen Profitraten fallen Transportkosten nicht wesentlich ins Gewicht. Es lohnt sich z.B. für die bundesdeutsche Autoindustrie, Getriebe in Brasilien, Einspritzpumpen in Indien und elektronische Bauelemente in Singapur und Malaysia herstellen zu lassen.
So ist auch der Welthandel im Wesentlichen nicht mehr Warenaustausch zwischen Volkswirtschaften, sondern zu einem Warenaustausch zwischen Unternehmen geworden.
»Die meisten Nationen des Erdballs werden durch die internationale Arbeitsteilung ökonomisch wie ökologisch zu abhängigen Monokulturen. Jede nationalstaatliche Krisentheorie setzt sich heute der Lächerlichkeit aus, indem sie die Abhängigkeit vom Weltmarkt ignoriert. Die durch das transnationale Kapital vollzogene Angleichung der herkömmlichen nationalstaatlichen Krisen-Zyklen ist so gut wie abgeschlossen.
Überproduktion und Unterkonsumtion treten gleichzeitig auf. Die dominierenden Zentralmächte des Weltmarktes (USA, UdSSR, Europa, Japan, OPEC etc.) stehen nun vor einer ähnlichen Situation wie ehedem der Nationalstaat. Wollen sie nicht von vorneherein aus dem Kreis derer herausfallen, die die letzten globalen Deals mitbestimmen, die für das Überleben der historisch gewachsenen industriellen Struktur notwendig sind, sind sie gezwungen, weiterhin mitzupokern.« (Schehl, Vor uns die Sintflut? S. 43) [33]
Und die US-Konzerne sind entschlossen, die letzten globalen Deals mitzubestimmen: mit einem 2/3 Anteil an allen Auslandsinvestitionen und Produktionsverlagerungen halten sie die Spitzenposition bei dieser neuen imperialistischen Invasion in die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Insgesamt haben sich die Auslandsbeteilungsverhältnisse der multinationalen Konzerne in den unterentwickelt gehaltenen Ländern seit Ende der 60er Jahre vervierfacht und die Zahl der Beschäftigten ist um 505 % gewachsen. Diese Daten sind jedoch nur als Vorboten dieser neuen Entwicklung zu werten. Die Möglichkeit, die 3.Welt nicht nur als Rohstofflieferanten auszupressen, sondern auf ihrem Rücken eine nie gekannte Kapitalverwertung zu realisieren, diese Möglichkeit gerinnt aufgrund der dem Kapital eigenen Gesetzmäßigkeit zur absoluten Notwendigkeit.
»Zur angeblichen Ausbeutung von unterentwickelten Ländern: Kritiker machen sich selten die Mühe zu erwähnen, welche Folgen die Nichtbeschäftigung dieses Arbeitskräftepotentials haben würde. Es ist eine Tatsache, daß uns unterentwickelte Länder nicht den Vorwurf der Ausbeutung machen, sondern sich vielmehr darüber beklagen, daß wir sie hinsichtlich unserer Investitionen vernachlässigt hätten ... Zu angeblichen Einschränkungen der Souveränität von Ländern durch die Multis: man kann nicht vollkommene nationale Souveränität haben und gleichzeitig auch die Interessen der Nation bestmöglich vertreten. Natürlich transferieren die Multis Waren, Kapital und Technologie so uneingeschränkt über die Grenzen, wie es ihnen möglich ist. Aber dadurch bringen sie den Ländern tatsächlichen Nutzen, indem sie Waren zu niedrigeren Preisen anbieten können.« (David Rockefeller [34], Handelsblatt 29.7.75)

Leben und sterben lassen
»Verbesserte Lebensbedingungen sind zu einer Grundhaltung aller Menschen auf der Welt geworden, der ärmsten eingeschlossen. Solche Erwartungen müssen heute offensichtlich enttäuscht werden. (Business International, Januar 1977)
Für die Massen der 3.Welt bedeutet die Entwicklung eines Weltmarktes für Arbeitskräfte und Produktionsstandorte nicht weniger Elend, weniger Hunger. Ebensowenig ist die Entwicklung einer eigenen Industrie als Voraussetzung für nationale Eigenständigkeit zu erwarten. Im Gegenteil, in der »Entwicklung zur Unterentwicklung« (A.G.Frank) wird nur ein neues Kapitel aufgeschlagen.
1. Die neue internationale Arbeitsteilung führt zu einer weiteren Integration der 3.Welt in den kapitalistischen Weltmarkt, »denn die partielle exportorientierte Industrialisierung Asiens, Afrikas und Lateinamerikas hält diese Länder hinsichtlich Technologie, Ausrüstung, Mangagement-Techniken, vor allem jedoch bezüglich Verfügungsgewalt in einem nie gekannten Ausmaß abhängig.« (Fröbel/Heinrichs/Kreye).
Was es bedeutet, vom internationalen Kapital partiell industrialisiert zu werden, belegen folgende Daten: zwischen 1961 und 1970 investierten z.B. die USA 3,2 Milliarden Dollar in Lateinamerika, zogen aber 10,6 Milliarden Dollar an Gewinn ab. Von den gesamten Gewinnen blieb noch ein gehöriger Batzen, nämlich 3 Milliarden Dollar, um reinvestiert zu werden. Die US-Konzernmütter entzogen in diesem Zeitraum allein den in Entwicklungsländern produzierenden Töchtern durchschnittlich 70% der Nettogewinne.
Noch deutlicher wird die Funktion des kapitalistischen Weltmarktes, wenn wir uns vor Augen halten, was aus der 3.Welt herausgepreßt wird und was als »Entwicklungshilfe« zurückfließt.
Terms of Trade: [35] Die Industriegüter steigen ständig im Preis, während die Erlöse für Rohstoffe niedrig gehalten werden, bzw. so stark schwanken, daß der internationale Spekulantensumpf dabei jährlich Milliarden herausschlägt. Ein Beispiel aus Tansania: Der Kostenvoranschlag für eine Fleischfabrik stieg in den letzten 2 Jahren von 1,8 auf 7,1 Millionen Dollar. Präsident Nyerere: [36] »Für uns heißt das real - also unter Berücksichtigung der damaligen und jetzigen Sisalpreise - daß eine Fabrik, die ursprünglich 7.000 t Sisal kosten sollte, jetzt fast 24.000 t Sisal kostet.«
2. Durch die weltweite Kapitalisierung der Landwirtschaft werden die letzten Bereiche der Selbstversorgung zerstört, das hungernde Landproletariat wird in die Städte getrieben. Eine gigantische Verslumung der 3.Welt ist die Folge. Mexiko-City wird z.B. in 20 Jahren 30 Millionen Einwohner haben, 80 % davon werden in Slums vegetieren. Doch Slumbewohner rechnen noch nicht zu den Ärmsten. Das sind die 250 Millionen Obdachlosen in der 3.Welt.
Die damit einhergehende Zerstörung von Kultur- und Sozialzusammenhängen ganzer Völker und Stämme ist so verheerend und irreparabel, daß z.B. Indianerstämme in Brasilien sich angesichts einer solchen Zukunft entschlossen haben, lieber zu sterben, als solchermaßen zwangs-«zivilisiert« zu leben. Sie töten alle Neugeborenen. Am eindringlichsten berichtet Frantz Fanon [37] über die schweren psychischen Deformationen der »Verdammten dieser Erde«. Darüberhinaus bedeuten die erzwungenen »zivilisatorischen« Lebensbedingungen Tod und Krankheit für viele Menschen in der 3.Welt:
«Nestle tötet Babies« oder die Zerstörung der psycho-somatischen Heilkunde der alten Kulturen, die zu einer neuen, zusätzlichen, krankmachenden Abhängigkeit von den Pharmakonzernen führt.
3. Hunger- und Durstkatastrophen wie in den Sahelländern Biafra, Äthiopien etc. werden durch die Ver-Wüstung der Welt immer häufiger. Dabei handelt es sich nicht um »Naturereignisse«, sondern um ökonomisch bedingte ökologische Krisen, verursacht durch den Raubbau an der Natur, der Forcierung der Monokulturen. So leben heute mehr Menschen denn je, nämlich 1,7 Milliarden, ohne ausreichendes Trinkwasser, 2 Milliarden Menschen sind unterernährt.
Susan George spricht vom »Hunger als Bombengeschäft«, das vor allem die USA, als das größte Zentrum von Agrarmacht in der Welt beherrschen: »Manche ihrer weniger behutsamen Sprecher, wie z.B. der frühere Landwirtschaftsminister Butz, zögern nicht, die Nahrung als •Waffe­, •als mächtiges Werkzeug in unserem Verhandlungskoffer­ zu bezeichnen. Inzwischen erklärt der CIA (insgeheim gegenüber seinem amtlichen Publikum), daß eine zunehmende Getreideverknappung »Washington in Bezug auf das Schicksal der bedürftigen Massen buchstäblich eine Macht über Leben und Tod in die Hand geben könnte. Genau das ist aus Nahrung geworden: eine Profitquelle, ein Werkzeug zur wirtschaftlichen und politischen Beherrschung und ein Mittel, eine wirksame Vorherrschaft über die Welt insgesamt zu gewährleisten.« (Susan George, »Wie die andren sterben. Die wahren Ursachen des Welthungers.«) [38]
Das Max-Planck-Institut kommt deshalb in seiner Untersuchung über die »neue internationale Arbeitsteilung« zu dem Schluß: »Unter diesen Umständen kann man sich kaum der Schlußfolgerung entziehen, daß nicht organisierte politische Aktion auf der Tagesordnung einer Welt steht, die vom Prozeß weltweiter Verwertung und Akkumulation des Kapitals bestimmt ist, sondern Hungerrevolten, soziales Aufbegehren und Krieg in vielen Teilen der Welt.«
Rolf Pohle bringt dies in seiner Rede vor dem Athener Areopag [39] auf den Begriff: »Wir befinden uns mitten im 3.Weltkrieg.«
4. Ein anderes Integrationsinstrument ist die Kreditvergabe durch den Internationalen Währungsfond. Eine frühere Mitarbeiterin dieser Organisation, Ceryl Payer, schreibt in ihrem Buch »The Dept Trap« (Die Schuldenfalle): »Der IWF ist heutzutage die mächtigste supranationale Regierung. Die Reserven, die er kontrolliert und die Macht, sich in die inneren Angelegenheiten eines Landes zu mischen, geben ihm einen Einfluß, von dem die Vereinigten Staaten nur träumen können.«
Durch die ständige Auspowerung der unterentwickelt gehaltenen Länder müssen diese immer neue Kredite zur Tilgung der alten aufnehmen. Ihre Verschuldung bei den imperialistischen Staaten wächst ins Unermessliche. 1980 werden Länder wie Ägypten, Indien, Brasilien, Mexiko, Peru die Hälfte ihrer Exporterlöse allein zur Schuldentilgung aufbringen müssen. Das bedeutet aber die absolute Ruinierung der Volkswirtschaften dieser Länder, von den damit verbundenen politischen Pressionen ganz zu schweigen. Chile und Portugal sind als Erinnerung noch frisch. Das Alltagsgeschäft der wirtschaftlichen Erpressung ist es jedoch, solchen Entwicklungen schon im Vorfeld die Luft abzuschnüren.
5. Die gigantische Verschuldung der 3.Welt ist auch eine Bedrohung für den Weltmarkt und damit für die imperialistischen Staaten selbst: »Der nächsten Finanzkrise vom Typ des New Yorker Debakels werden wir in diesem Jahr in den Entwicklungsländern gegenüberstehen, die ihre riesigen, kurzfristig fälligen Kredite nicht mehr zurückzahlen können.« (Der »Spiegel«, 1976). Um dieses Debakel zu vermeiden, werden ständig neue Konferenzen und Kommissionen von den OPEC-Staaten ins Leben gerufen, zuletzt der »Nord-Süd-Dialog« und die »Brandt-Kommission«. [40] Gerade diese Konferenzen belegen jedoch am deutlichsten, daß es keine Lösungen gibt. Die unterentwickelt gehaltenen Völker brauchen ein Moratorium, d.h. eine Stundung bzw. Tilgung ihrer Schulden, um sich zumindest vorübergehend von den Folgen ihrer Ausbeutung zu erholen, eine Ausbeutung, die ständig droht zu einem Kollaps des Weltmarktes zu führen. Doch das transnationale Kapital muß »wachsen, um nicht unterzugehen«. Es kann auch nicht vorübergehend das Wachstum drosseln - also auf Schuldeneintreibung verzichten. Das ist ein antagonistischer, ein unlösbarer Widerspruch. So »erläßt« es 3 Milliarden Dollar der 200 Millarden Verschuldung, um sie 1980 auf 250 Milliarden zu treiben. Der dem Kapital innewohnende Verwertungszwang produziert ständig und in immer größerem Ausmaß die Bedingungen für den unausweichlichen Zusammenbruch dieses Systems.
Die heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Nationen und zwischen den Nationen aufgrund der enttäuschten Erwartungen der Massen können Revolution und Krieg zur Folge haben. (Business International, Januar 1977)
Die Möglichkeit, auf dem Rücken der 3.Welt eine nie gekannte Kapitalverwertung zu realisieren, treibt das transnationale Kapital auf der Jagd nach den jeweils profitabelsten Standorten um die ganze Welt. »Standorte ... werden mit einer bislang unbekannten Geschwindigkeit entstehen und niedergehen. Das Kapital, das heute von einer Region angezogen wird, mag morgen wieder verschwinden, um möglicherweise übermorgen wieder zurückzukehren.« (Fröbel/Heinrichs/Kreye, S. 39).
Ein Beispiel dafür ist im europäischen Raum Irland. Ursprünglich angelockt durch gewaltige staatliche Vergünstigungen, niedrigste Löhne und eine große industrielle Reservearmee, beginnt das transnationale Kapital, das in Irland 80 % der Produktion beherrschte, bereits wieder abzuwandern. »Eine Heuschreckenplage, die über ein Land herfällt, um es kahl zu fressen«, nannte das Murteira, der Wirtschaftsminister des portugiesischen Revolutionsrates. Eine Region ist ausgeschöpft, die nächste steht auf der Tagesordnung. Für die Nationen, insbesondere für die 3. Welt, entsteht ein irrsinniger Zwang zur Konkurrenz, um dem transnationalen Kapital die jeweils besten Verwertungsbedingungen zu garantieren.

Die Internationale der Menschenfresser
In der Auflistung optimaler Verwertungsbedingungen steht an erster Stelle die politische Stabilität eines Landes. Als politisch stabile Länder gelten in Lateinamerika Brasilien, in Afrika Nigeria und Zaire (das durch die jüngste Intervention Frankreichs und Marokkos »re-stabilisiert« wurde), am Golf der Iran und im Fernen Osten Indonesien. Sie werden als Subimperialisten in ihren Regionen aufgebaut und sollen die politische und ökonomische Aufspaltung des 3.Welt-Blocks vorantreiben - politisch, indem sie helfen, Linksregierungen in ihrer Zone einzukreisen; ökonomisch, indem sie die Spaltung in eine 3. und eine 4.Welt betreiben, »die Abspaltung der wichtigen Öl- und Rohstoffländer, mit denen wir eine Zusammenarbeit anstreben, von den Habenichtsen, den Almosenempfängern, die vorerst keiner haben will«, wie es das Auswärtige Amt ausdrückt.
Die reichen Minderheiten dieser subimperialistischen Länder verwenden einen erheblichen Anteil ihres Reichtums darauf, »den Militär- und Polizeiapparat zur Festigung der eigenen Herrschaft auszubauen. Sieht man einmal von den Fällen ab, wo das Militär zum Träger revolutionärer Veränderungen wird, verschlechtert sich durch einen hohen Militäretat die Chance der Armen automatisch, zu ihrem Recht zu kommen.« (Bösse/Kürschner, Kontinente im Klassenkampf, S. 56)
Linksregierungen werden systematisch »de-stabilisiert« eine Wortschöpfung Kissingers [41] für die Zerschlagung revolutionärer Prozesse wie in Portugal oder Chile. Die Strategie der »Destabilisierung« ist eine Antwort des US-Imperialismus auf seine Niederlage in Indochina und bedeutet, daß vor allem die Methoden der »verdeckten Intervention« wesentlich erweitert und ausgefeilt wurden. Dazu zählt vorrangig:
1. die wirtschaftliche Ruinierung eines Landes durch den Totalentzug von Krediten. Robert NcNamara ist als Präsident der Weltbank der Garant für die Kontinuität einer Vernichtungsstrategie mit allen Mitteln.
2. Eine »Vietnamisierung« der betroffenen Ländern ist - wenn möglich - einer direkten Intervention der imperialistischen Mächte vorzuziehen. Das bedeutet den rechtzeitigen Aufbau und die umfassende Unterstützung der konterrevolutionären Kräfte in diesen Ländern. Das grausamste Beispiel ist hierfür der Libanon. Da wird eine Handvoll faschistischer Christen und ein Heer von Söldnern aus aller Welt zur »Liquidierung des Palästinenser-Problems« mit amerikanischen und israelischen Waffen aufgerüstet. Die syrische Armee sorgt für den nötigen Rückhalt, wenn das nicht ausreicht, interveniert die israelische Armee. Der 4. Akt dieses Völkermordprogrammes besteht darin, daß die USA »vermittelnd« eingreifen, um die Überlebenden dieses ehemaligen Millionenvolkes in »Homeland«-Reservaten zusammenzupferchen, wie sie es mit den Indianern gemacht haben.
Die blutigen Spuren dieser Vietnamisierungsstrategie überziehen die ganze Welt: ein Beispiel hierfür ist nicht nur der Putsch in Chile, auch die Gorilla-Diktaturen in ganz Lateinamerika mit ihren AAA-Kommandos [42], in Angola die FNLA/UNITA [43], das blutige Chaos in Äthiopien, in Portugal die ELP, in der Westsahara die marokkanischen Vernichtungsfeldzüge gegen die Polisario [44], die indonesische Ausrottungstrategie gegenüber der Fretilin [45] in Osttimor beweisen dies.
3. Ein Arrangement mit den Befreiungsbewegungen, die kurz vor dem Sieg stehen. Diese Strategie gilt für das ganze südliche Afrika, wo entweder schon alles gelaufen ist, wie in Namibia, oder absehbar ist, daß sich die weißen Diktaturen nicht mehr lange halten können. In diesem Fall soll die Pression auf die verfaulten Rassendiktaturen »Schlimmeres« verhüten. Dazu die ZEIT [46] (41/1977) über die Pläne der ehemaligen Entwicklungsministerin Marie Schlei: »Sie setzt auf die Befreiungsbewegungen, nicht zuletzt mit dem Hintergedanken, einer Radikalisierung entgegenzuwirken. ... Wer weiß denn, wie lange irgendein Regime bleibt? Wir müssen langfristige Politik machen, auch im eigenen Interesse, dehalb habe ich Mosambique Hilfe zugesagt und auch den Führern der rhodesischen Befreiungsbewegungen für die Zeit nach der Befreiung von Zimbabwe.«
Wie die Zeit nach der Befreiung von Zimbabwe aussehen wird, darf jedoch keinesfalls dem Volk von Zimbabwe überlassen werden. »Die rechtzeitige Kontaktaufnahme und Schulung der Kader dieser Länder liegt auch im Interesse der Industrienationen.« (Bundesministerium für Entwicklungshilfe)
4. Die Aufteilung der 3.Welt zwischen den Supermächten. Sie ist im Rahmen der vollen Integration der Sowjetunion in den Weltmarkt Ende der 60er Jahre erfolgt.
»In seiner Washingtoner Rede vor den großen Haien des amerikanischen Kapitals am 19.6.73 rechtfertigte Breschnew [47] dies ideologisch als Triumph der wissenschaftlich-technischen Revolution: Diese Fortschritte, die nicht unterdrückt werden können ... erfordern eine immer breitere internationale Arbeitsteilung ... Die Sowjetunion ist inzwischen auf Gedeih und Verderb auf den Weltmarkt angewiesen, dem sie obendrein noch in Form reichhaltiger Energie- und Rohstoffe gehörig Tribut zollen muß.« (Schehl, Vor uns die Sintflut?)
Dieses »Zusammen-Wirtschaften« läßt die Verteilungskriege der früheren Jahre nicht mehr opportun erscheinen. Entwicklungsländer, die der Einflußsphäre der UdSSR zuzuordnen sind, gehen dem Weltmarkt nicht mehr verloren. Und auch China sucht neuerdings dringend den Anschluß. Im Zuge der Koexistenz hat eine Aufteilung der 3.Welt stattgefunden und findet weiter statt, die Lateinamerika wieder zum totalen »Hinterhof« der USA zu machen versucht, Afrika zwischen den westlichen Imperalisten und den östlichen aufteilen will und in Asien sich die Macht mit China dritteln muß.
Diese Aussage kann in ihrer Knappheit nichts als sehr grobe Tendenzen beschreiben. Sie ist notgedrungen undifferenziert, d.h. sie unterschlägt die Widersprüche, die zwischen den Supermächten nach wie vor bestehen und unterschlägt den Widerstand der Massen der 3. Welt, der der Realisierung dieser Absichten entgegensteht.
Unbestreitbar bleibt jedoch, daß so etwas wie anerkannte Einflußzonen bestehen und auf dieser Grundlage gab die »Trilaterale Kommission« [48] (USA, Westeuropa und Japan) schon Anfang der 70er Jahre unter ihrem damaligen Direktor Brezinski die Parole aus, der Ost-West-Konflikt sei absolut dem Nord-Süd-Konkflikt unterzuordnen.
Und nicht umsonst baute das Rockefeller-Institut vor 7 Jahren eine Mannschaft für die Präsidentschaftswahlen aus den Mitgliedern dieser Kommission auf.
Sie leiten heute als Sichterheitsberater (Brezinski), als Vizepräsident (Mondale), im Pentagon (Brown), im Außenministerium (Vance) und im Schatzamt (Blumenthal) diese neue imperialistische Offensive der USA. Auch Präsident Carter ist das direkte Produkt dieser 7jährigen Arbeit des Rockefeller-Instituts, doch bei ihm ging es mehr ums Image »Südstaatler, sozial, ehrbar, fromm«, als um konkrete Qualifikationen. Kein Wunder, daß die erste außenpolitische Offensive dieser Regierung nach einigem Vorgeplänkel im Verein mit der UdSSR, die Zwangsbefriedung des Nahen Ostens auf Kosten des palästinensischen Volkes ist.
Versucht man, ein Fazit zu ziehen, dann sind die ideologischen und politischen Differenzen, die die 50er und 60er Jahre beherrschten, weitgehend in den Hintergrund getreten. Das multinationale Kapital setzt mehr denn je auf die »selbstregulierenden Kräfte des Weltmarktes« (McNamara [49]). Die »Anarchie der Produktion« (Marx) - zum Weltsystem erhoben - zwingt jedem Land das Chaos kapitalistischer Verwertungslogik auf. Die revolutionären Prozesse in einer Reihe der Länder der 3.Welt werden dabei zerrieben zwischen »Schuldenfalle« und politischer Erpressung, zwischen partieller exportorientierter Industrialisierung und weiterer Massenverelendung, zwischen Integration in den Weltmarkt und der Vernichtung der eigenen Volkswirtschaften.
Allzu lange war der Blick, vor allem der europäischen Linken, ausschließlich auf die Politik der Befreiungsbewegungen gerichtet. Dem Sieg der Revolution folgte die Entttäuschung über das »Danach« auf dem Fuße (vgl. Kuba, Kambodscha, Vietnam). Der Versuch einer bewußten revolutionären Konstitution einer Gesellschaft ist nicht allein eine Frage der Politik, der Kulturrevolution, sondern setzt die Verfügungsgewalt über seine ökonomischen Bedingungen voraus. Die Eroberung der Verfügungsgewalt seiner ökonomischen Bedingungen setzt wiederum für ein Volk die Möglichkeit des Austauschs mit anderen, gleichen Volkswirtschaften voraus. »Sozialismus in einem Land« ist weniger denn je möglich. Die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen in der 3.Welt ist nur durch eine »totale Dissoziierung (Abkoppelung) vom Weltmarkt« (Senghaas) zu erreichen. An dessen Stelle müssen regionale Zusammenschlüsse treten, die einen Austausch garantieren, der auf gleichwertiger Arbeitsteilung beruht.
Versuche dieser Art gab es zwischen Kuba, Chile und anderen lateinamerikanischen Staaten, vgl. die Konferenz der OLAS [50] in Havanna 1967; sowie zwischen arabischen Staaten: Libyen versuchte es vergeblich mit Ägypten und Tunesien und versucht es wieder mit Algerien, Marokko und Mauretanien.
Wir können an dieser Stelle nicht auf die Schwierigkeiten der 3.Welt, Zusammenschlüsse zu realisieren und sich vom kapitalistischen Weltmarkt abzukoppeln, eingehen. Wir stellen nur fest, daß allein auf diesem Weg der Aufbau revolutionärer, sozialistischer Gesellschaften möglich ist, die
- die Industrialisierung an den Bedürfnissen der Menschen orientieren,
- Produktionsverhältnisse schaffen, in denen nicht die Menschen die Maschinen »bedienen«, sondern umgekehrt
- eine Landwirtschaft nach den ökologischen Gegebenheiten ausrichten, ohne Raubbau an Natur und ohne Einrichtung von Monokulturen
- eine Rohstoffverwertung betreiben, die sich an den Gesetzen des Energie-Haushaltes der Natur orientiert und die nicht eine ökologische Katastrophe vorprogrammiert
- die Herrschaft des Menschen über den Menschen abschaffen.

Krise im Hinterland
Auf dem Hintergrund der neuen internationalen Arbeitsteilung verlieren die anhaltenden Krisenerscheinungen in den imperialistischen Metropolen gänzlich den Charakter von »Konjunkturschwankungen«. Es sind die ersten Auswirkungen der »Revision der Pläne und Strategien« des transnationalen Kapitals, von denen auch die Industrienationen nicht verschont bleiben. Aufgrund der immer höheren organischen Zusammensetzung des Kapitals in den Zentren wird zunehmend die Produktion von Massen- und Standardgütern von dort abgezogen. Inlandsinvestitionen dienen der Rationalisierung bzw. dem Aufbau neuer kapital- aber nicht arbeitsintensiver Sektoren, wie der Nutzung der Atom- und Sonnenenergie, der Ausbeutung von Meeresbodenschätzen, Biochemie, Genetik, Mikroelektronik, kurz: eine Verlagerung auf »saubere know-how-Produktion« (Matthöfer [51]). Insgesamt ist also eine »Tendenz zur Deindustrialisierung der klassischen Industriestaaten« zu beobachten.
Als Opfer einer wahnwitzigen, menschenfeindlichen Industrialisierung schient die »Tendenz zur Deindustrialisierung« für uns zunächst ein Grund zum Aufatmen zu sein, denn die Vergiftung von Wasser, Luft, Erde und Menschen hat die Ausmaße einer Katastrophe angenommen. »Amerikaner sind für den menschlichen Verzehr nicht geeignet. Mit 10 ppm (DDT [52]) im Fett liegen sie über dem vom Lebensmittelgesetz erlaubten Wert. Die Qualität des nordamerikanischen Menschenblutes zum Beispiel ist derart abgesunken, daß die Blutsauger •gutes­ (und zehnmal billigeres) Blut der noch nicht so verseuchten Menschen der Region der dritten und vierten Welt einfliegen. Imperialistischer Vampirismus.« (Schehl, S. 32)
Die Tendenz zur Deindustrialisierung der Metropolen bedeutet nur die Ausbreitung der ökologischen Katastrophe über den ganzen Globus. Und hinter der »Einführung sauberer Technologien« in den Zentren verbirgt sich der Angriff auf jegliches Leben auf dem ganzen Erdball:
Alle Vergiftungen, die durch das industrielle System weltweit und mit globaler Wirkung produziert wurden, nehmen sich vergleichsweise harmlos aus gegenüber dem »Faustischen Pakt« [53], der mit der vor wenigen Jahren einsetzenden industriellen Fertigung von Atomkraftwerken geschlossen wurde. In all seinen Dimensionen ist dieses Projekt »einsame Spitze unter den Zerstörungskräften ... Das zusätzliche Problem der Radioaktivität ist im Gegensatz zu allen anderen nicht einmal theoretisch lösbar und überdauert alle politischen und wirtschaftlichen Veränderungen unserer und tausender nach uns kommenden Generationen.« (Schehl, S. 32 ff)
Ist das mit den »radikalsten und schmerzhaftesten Veränderungen seit Menschengedenken« gemeint, die •Business International­ ankündigt? Oder meint es damit die sozialpolitische Katastrophe, die den Metropolen durch diese Kapital- und Produktionsverschiebungen bevorsteht? Die ersten Anzeichen dafür sind bereits überall zu spüren:
1.) Eine Rationalisierungswelle, die schon in ihrer Anfangsphase »einer mittleren Katastrophe gleichkommt« (Hauff, Staatssekretär im Forschungsministerium). Und Gewerkschafts-Vetter [54] jammert: »Wenn nur ein Teil der Vorhaben, die in Planung sind, realisiert werden, dann Gnade uns Gott«.
Winzige Mikroprozessoren sind dabei, klobige Computer abzulösen; sie werden in ein paar Jahren ganze Berufsgruppen in der Verwaltung, wie Büroangestellte und Sachbearbeiter in den Müllhaufen der Rationalisierung kippen; werden Gewerkschaften wie die »IG-Druck wegrationalisieren, zumindest aber zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen lassen« (FAZ [55]), weil die Berufe des Druckers, Setzers und Korrektors gegenstandslos geworden sind (selbst dieser Text wurde auf einem hochmodernen Mini-Computer getippt und mit Hilfe eines Hochleistungs-Rechners elektronisch belichtet); werden Fabrikhallen leerfegen, weil diese Dinger Arbeitsabläufe elektronisch steuern, die heute noch ein paar hundert Menschen beschäftigen.
So wurden allein in der Druckindustrie in den letzten Jahren 34.000 Arbeitsplätze und in der Stahlindustrie 50.000 wegrationalisiert. 8 Millionen Angestellte klagen über einen unerträglichen Leistungsdruck, da die freigemachten Stellen nicht mehr besetzt werden. 5 Millionen unter ihnen sind überzeugt, daß ihr Arbeitsplatz in naher Zukunft nicht mehr sicher ist.
Das ist keine eingebildete Angst, wenn man bedenkt, daß für einen neugeschaffenen fünf herkömmliche Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. Diese neu geschaffenen Arbeitsplätze zeichnen sich durch eine unerträgliche Entmenschlichung aus, die nicht mehr den geringsten individuellen Spielraum freilassen, sondern die stupide, roboterhafte Bedienung der vorgesetzten Maschinerie erzwingen.
So hat die Rationalisierung neben ihrem ökonomischen Kalkül auch ein wesentlich politisches. Menschen zu trainieren, daß sie ihre unregelmäßigen Arbeitsgewohnheiten ablegen und sich mit der unveränderlichen Regelmäßigkeit des komplexen Automaten identifizieren.
2.) »Eine auf hohem Niveau fortdauernde, strukturelle Arbeitslosigkeit, die wesentlich durch die weltweite Neuverteilung der industriellen Beschäfigung bestimmt wird und auch in vorhersehbarer Zukunft bestimmt werden wird.« (Fröbel u.a., Technologie & Politik 8, S. 31) [56]. Zur Zeit gibt es in den OECD-Staaten über 15 Mio. Arbeitlose. Eine Studie des IFO [57]-Instituts prognostiziert bis 1985 für die BRD eine Steigerung der Arbeitslosenrate von 8,3 %. In einigen Regionen der BRD ist diese Quote heute schon erreicht.
In diesen Berechnungen sind nicht berücksichtigt: die steigende Zahl der Kurzarbeiter, das Heer von Frauen, die keine Stelle bekommen, sich aber aus den verschiedensten Gründen nicht arbeitslos melden und die immer größere Zahl alter Menschen, die »ausrangiert« werden und deshalb früher auf Rente gehen (fast die Hälfte der offenen Stellen tragen einen »Alten-Sperrvermerk) sowie die Um- und Weiterbildungen, um den Arbeitsmarkt vorübergehend abzuschöpfen und die Hunderttausende abgeschobener bzw. freiwillig abgewanderter Arbeitsemigranten.
Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bereits höher als 20 %. Dazu kommen 1,5 Mio. Kinder von ausländischen Arbeitern, »zweisprachige Analphabeten« und »natürliches Subproletariat«, wie die •Welt­ schreibt.
3.) Mit dieser Entwicklung ist eine zunehmende öffentliche Armut verbunden, denn der inländische Produktionsrückgang bedeutet nicht nur weniger Steuern, sondern auch wachsende Staatsausgaben zur »Ankurbelung der Produktion«. Dem stehen auf der anderen Seite immer größere Ausgaben durch die hohe Arbeitslosenquote, Sozialhilfeempfänger etc. gegenüber.
Und das »Heer der Überflüssigen« wird weiter wachsen. Der ehemalige Bundesforschungsminister Matthöfer rät ihnen, in den »humanen Dienstleistungsbereich« überzuwechseln, was einer gesellschaftlichen Bankrotterklärung gleichkommt, angesichts der wachsenden öffentlichen Armut, die sich vor allem in diesen Bereichen auswirkt. Denn gerade die »Industrien des tertiären Sektors«: Schule, Universität, die Post, die Sozialfürsorge, das Transport- und Nachrichtenwesen, werden immer stärker demontiert. So kommt auch die IG-Metall zu der Einschätzung: »Der Dienstleistungssektor fällt als Auffangbecken aus, weil er selber vor einer großen Rationalisierungswelle steht, bei der sich auch der öffentliche Dienst aus finanzpolitischen Erwägungen beteiligen wird.«
So sah denn auch das Gespann Friedrichs-Lambsdorff [58] schon 1975, das »Ende der sozialen Leistungsfähigkeit des Staates« gekommen, d.h. den »Ausweg in den Versorgungsstaat« gibt es nicht.
Damit bricht auch der Mythos vom Sozialstaat in sich zusammen, der 30 Jahre lang die notleidende Existenz eines Drittels des westdeutschen Volkes aus dem öffentlichen Bewußtsein radierte. »Vorsichtig geschätzt leben rund 18 - 20 Millionen Menschen der westdeutschen Bevölkerung in materieller Not.« (FR [59], 17.11.75)
4.) Pläne wie die Heraufsetzung des Rentenalters, die Einführung der flexiblen Altersgrenze, Arbeitszeitverkürzung, Verlängerung der Schulzeit, mehrjähriger Bildungsurlaub, Babyjahr etc. verfolgen zwar die Absicht, den Arbeitsmarkt abzuräumen, können aber angesichts der wachsenden öffentlichen Armut, die sich im versuchten Rentenbetrug, im geplanten Abbau der Sozialfürsorge, in der Erhöhung der Rezeptgebühren etc. ausdrücken, die Probleme absolut nicht lösen, höchstens verschieben bzw. vergrössern, Die Krise des Regimes ist nicht im reformistischen Sinn zu lösen.
So sieht denn auch die •Welt­ [60] vom 26.1.77 »Verteilungskämpfen entgegen, die das gesellschaftliche System bis zum Zerreißpunkt belasten«. Das explosionsartige Anwachsen einer industriellen Reservearmee in den Industriestaaten hat auf der einen Seite die bekannte disziplinarische Wirkung. Auf der anderen Seite fallen Millionen Menschen aus dem Zwangssystem der Arbeit heraus, der Dirigismus der Büros und Fabriken bestimmt nicht mehr ihr Leben, das Rattern der Maschinen erschlägt nicht mehr jeden Gedanken und ein Leistungs- und Konkurrenzdruck fällt von ihnen ab, der vorher eh schon Gespaltete täglich aufs Neue spaltete.
Eine Harvard-Untersuchung vermeldet, aufs Höchste alarmiert, »eine Veränderung im Arbeitsverhalten der US-Bürger - irgendetwas Neues, Produktionsfeindliches, das man wissenschaftlich noch nicht genau definieren kann.« Die FR hat Ähnliches an den Deutschen bemerkt: »Viele verlieren ihren Halt und schwimmen in einem Meer von Zeit, wenn die Arbeit als Ordnungsinstrument ihres Lebens nicht mehr zur Verfügung steht. ... Die steigenden Zweifel an der Arbeit als Antriebskraft und Ordnungsinstrument unseres Wirtschaftssystems bringen den zentralen Pfeiler der Industriegesellschaft ins Wanken - und das ist erschreckend.« Und der SPD-Arbeitsmarktexperte Lutz sieht »einen Sprengsatz aus Verbitterten und Verbissenen« entstehen, »der unsere Gesellschaft zuverlässiger in die Luft jagt, als jeder noch so wild entschlossene Anarchist dies vermöchte.«

Dies ist die Stunde der präventiven Konterrevolution
»Der zunehmende Despotimus des Kapitals gegenüber der Arbeit, die fortschreitende Militarisierung des Staates, die Intensivierung der Repression als strategisches Faktum sind die objektiven und unausweichlichen Konsequenezen.« (Rote Brigaden)
So entsteht denn auch exakt am »Beginn dieser neuen Wirtschaftsaera« (OECD) die Verabschiedung der Notstandsgesetze, ergänzt durch die Brandtsche APO-Zwangsbefriedung [61] mit dem Kalkül, anschließend gezielter die Jagd auf diejenigen eröffnen zu können, die sich nicht zwangsbefrieden lassen.
Wir wollen hier nicht auf die einzelnen Stadien und Erscheinungsformen dieses Faschisierungsprozesses eingehen, darüber liegen genügend Materialien und Untersuchungen vor. Wir wollen hier ein für allemal klarmachen, daß es sich hier nicht um die »hysterische Überreaktion eines durch die Geschichte zutiefst verunsicherten Staatswesens« handelt, sondern um das eiskalte Machtkalkül sozialdemokratischer Krisenmanager, die sich rechtzeitig das massenpsychologische und militärische Instrumentarium für die Durchsetzung der »radikalsten und schmerzhaftesten Veränderungen seit Menschengedenken« zu schaffen versuchen. Nur ein monströser, totalitärer Machtapparat kann die provozierten Spannungen und Revolten durch Meinungsmanipulation und offene Repression in Schach zu halten versuchen.
Allein auf diesem Hintergrund ist die Repression in der BRD zu verstehen, als Totalitarismus eines industriellen Systems, das angesichts der von ihm produzierten, wachsenden, unlösbaren Widersprüche, durch die immer despotischere Organisation der Macht die Kontrolle über die Situation wieder zu gewinnen sucht. Der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse, der in der Nachkriegsaera in nie gekannter Totalität die Kontrolle über die Industriegesellschaften zu garantieren schien, ist brüchig geworden und wird Zug um Zug durch einen außerökonomischen Totalitarismus ergänzt.
Dies ist kein schleichender Prozeß, das war noch nie die Gangart des Faschismus. Das beweisen u.a. die fast täglich neu erlassenen Notverordnungen in der BRD:
- die Totalerfassung der Bevölkerung
- die freiwillige Gleichschaltung der Medien nach dem Motto: »Menschen, damit ihr unwissend bleibt, werden wir euch informieren«
- die wahnwitzige und doch so systematische Treibjagd auf jegliche Opposition bis hinein in die eigenen bürgerlichen Reihen
- die Liquidierungsstrategie gegenüber der Stadtguerilla
- die Entwicklung von Waffen wie der »Neutronenbombe«, die keineswegs ein Produkt des »militärischen Gleichgewichts zwischen Ost und West« ist, sondern geplant und entwickelt wurde als Waffe für regionale Aufstandbekämpfung
- die Zwangsbefriedung Europas unter germano-amerikanischer Regie
- die sprachliche und begriffliche Einebnung mittels der alles umfassenden und durchdringenden Medien.

Internationale Fangschaltung
Die BRD, als »ein starker Staat des konstitutionellen Typs, eine einzigartige Symbiose aus alten Traditionen und einer Technologie ý la americaine« (Vigier), führt diese Entwicklung in Europa als absoluter Spitzenreiter an. Die vom transnationalen Kapital produzierte »neue ökonomische Ordnung« beschränkt sich jedoch nicht auf sie, sondern erfasst alle OECD-Staten. Daß in der BRD die Entwicklung zum totalitären Staat am weitesten fortgeschritten ist, steht in direktem Zusammenhang zu ihrer ökonomisch-technologischen Führungsposition. Diese wiederum ist das unmittelbare Produkt des durch den US-Imperialismus erzwungenen Kapitalismus nach 1945. Damit wurde auf deutschen Boden eine Gesellschaft geschaffen, deren sämtliche Institutionen - wie die Parteien CDU und SPD, die Einheitsgewerkschaft DGB, Studentenorganisationen etc. - unter der direkten Beteiligung der amerikanischen Geheimdienste gegründet bzw. finanziert wurden; in der die Spitzenpositionen von Wirtschaft, Finanzkapital, Politik, Justiz mit alten Nazis wie Abs [62], Schleyer [63], Kiesinger [64], Flick [65] usw. neu besetzt wurden; die sich auf eine weitgehend angepaßte Arbeiterschaft stützt, die sich von der Liquidierung ihrer Kader durch den Faschismus und den Stalinismus nie richtig erholt hat. In der die Zerstörungen des Krieges eine »tabula rasa« geschaffen haben, die einen Produktionsaufbau auf dem neuesten technologischen Stand ermöglichte und die von dem Antikommunismus geprägt ist, der von Anfang an jedwede Opposition als »fünfte Kolonne« diffamierte und verfolgte.
Angesichts der heraufbrechenden Krise des kapitalistischen Industrieregimes hat deshalb der westdeutsche Staat als erster in Europa seinen polizeilich-militärischen und meinungsmanipulatorischen Apparat mobilisiert. Die Strategie der frühzeitigen und totalen Zwangsbefriedung der präventiven Konterrevolution soll sich nicht auf die BRD beschränkten, sondern ganz Westeuropa aufgezwungen werden. Sie vollzieht sich in engster Abstimmung mit dem US-Imperialismus und ist in ihren strategischen Zielsetzungen und taktischen Schritten das Produkt der »trilateralen Kommission«, dieser heimlichen Weltregierung und gigantischsten Verschwörung gegen die Völker der Welt. Diese Kommission stellt inzwischen die Regierung der USA, hat als Mitglieder z.B. den deutschen Bundeskanzler, den deutschen Wirtschaftsminister, Bankiers wie einstens Ponto [66], Poniatowsky, die graue Eminenz des französischen Staates, der die Innenpolitik nach deutschem Muster umrüsten soll etc. Beispiele für die Zwangsbefriedungsstrategie in Europa sind unter anderem
- Portugal [67], dem die USA die militärische Intervention androhte, die Weltbank die Kredite sperrte, das von der EG ökonomisch und von der BRD politisch erpresst wurde,
- Irland, wo die BRD durch massiven Druck auf England die Aberkennung des politischen Status der gefangenen Revolutionäre durchgesetzt hat, wo der CIA mittels der Dame Williams [68] »Friedensmärsche« inszeniert und wo für 54 Mio. Pfund aus dem »EG-Fonds für arme Länder« ein riesiges Stammheim gebaut wird.
- das Baskenland, wo - seit Franco verreckte - die Repression im französischen Teil sich ständig verschärft, wo die spanischen und französischen Behörden ihre Verfolgung inzwischen genau koordinieren - das Europa der Bullen
- Griechenland, Spanien, die Türkei, die, um aufs EG-Karussell springen zu dürfen, der »EG-Norm für politische Stabilität« entsprechen müssen, d.h. garantieren müssen, daß sie in der Lage sind, den Widerstand in ihren Ländern liquidieren zu können
- die innenpolitische Gleichschaltung der westeuropäischen Länder, die von der BRD immer stärker forciert wird. Gemeint ist u.a. die militärische Lösung in Assen [69] (Holland), die Kapitulation Griechenlands im Fall Pohle, die gemeinsame Strategie gegen die Anti-AKW-Bewegung Malville, Kalkar usw.
- Der Eurokommunismus, der deutlich macht, daß er Staat machen will, wenn nicht den proletarischen, dann den bürgerlichen. Im Rahmen der Zwangsbefriedung Europas wird er sicherlich eine wesentliche Rolle als Ordnungsfaktor spielen.
Der »Weg ins 4.Reich« (George Jackson [70]) der United States of Europe ist den kapitalistischen Industrieregimen Westeuropas zwingend vorgeschrieben. Die »neue revolutionäre Mobilität des transnationalen Kapitals« (Wirtschaftswoche) verlangt die gleichmäßige und totale Verfügungsgewalt über ganz Europa. Die Zentralisation der politischen und ökonomischen Macht spielt sich nicht im Rahmen eines Europarates oder eines euorpäischen Parlaments ab, das sind nichts als die unerläßlichen legitimatorischen Debattierzirkel, sondern im Rahmen »neuer transnationaler Souveränitäten« (FAZ) wie des internationalen Währungsfonds (IWF) und der trilateralen Kommission.
Und es wird ein Zentralismus sein, der sich immer totalitärer und despotischer organisieren muß, je mehr die Organisation von Produktion und Gesellschaft den menschlichen Bedürfnissen entgegengesetzt ist, denn es gibt kein menschliches Bedürfnis, verwaltet, ausgebeutet, kontrolliert, fremdbestimmt, vergiftet, überwacht und psychiatrisiert zu werden.

Früchte des Zorns
Die Bewegungen, in denen sich die Bedürfnisse der Menschen ausdrücken, sind heute in Europa sehr vielfältig. Gegen die totalitäre Zentralisation des Imperialismus wächst eine neue Kraft, die den Kampf für ein Europa der autonomen Völker auf ihre Fahnen geschrieben hat. Das irische und baskische Volk führen diesen Kampf an, die Bretonen, Korsen, Katalanen und Galizier, die Jurasser und Occitanier sammeln sich hinter dieser Vorhut. Sie entwerfen die Zukunft eines Europas autonomer sozialistischer Völker, die in einem Verhältnis gegenseitiger Unterstützung und gleichwertiger Arbeitsteilung zueinander stehen.
In den internationalen Brigaden der Umweltkämpfer von Malville und Kalkar formiert sich eine Front, die ihren Ausgang nahm im badisch-elsässisch-jurassischen »Dreyeckland« der Bauern, Winzer und Arbeiter. Eine Front, die sowohl regional fest verankert ist, als auch in der Lage, international zu operieren und der es gelang, was so wenigen Bewegungen und Revolten gelingt - die Vereinheitlichung aller Schichten des Volkes und das Niederreißen der nationalstaatlichen Demarkationslinien. Ihre Anziehungskraft ist deshalb so groß, weil sie weit über den konkreten Angriffspunkt hinaus, den Mythos vom »Wachstum«, von der »Wissenschaft« und von den Experten zerschlägt, weil sie eine beispiellose Massenschulung über ökologische, politische und ökonomische Zusammenhänge imstande war, zu realisieren und weil sie versucht, konkrete Zukunftsbilder einer Gesellschaft zu entwerfen, in der das Gleichgewicht zwischen Menschen und Natur wiederhergestellt wird; was heißt:
«In Malville genügten 300 CRS-Bullen, um 50.000 Demonstranten, die den Bauplatz besetzen wollten, durch Tränengas und Offensiv-Granaten in die Flucht zu schlagen und zu demoralisieren. Was das Vorgehen der Bullen angeht, so bietet sich in Kalkar ein qualitativ anderes Bild. Mit deutschem Perfektionismus wurde das Ziel der Schweine, nur eine friedliche Demo zuzulassen, erreicht. So wurde z.B. ein fahrplanmässiger Zug der Bundesbahn auf offener Strecke mit BGS-Hubschraubern gestoppt. Wer nach Demonstrant aussah, mußte den Rest der Strecke laufen. Bei tausendfachen Verkehrskontrollen wurden sogar Zitronen und Halstücher - trotz Blümchenmuster - beschlagnahmt. 112 wurden im voraus verhaftet, insgesamt 147.000 Personenkontrollen durchgeführt, über 10.000 Demoteilnehmer zurückgeschickt. Selbst die Vaterlandsgrenzen wurden abgeriegelt, um Demoteilnehmern aus Frankreich, Holland, Dänemark usw. die Einreise zu verweigern.« (Pflasterstein [71], KKW-Sondernummer)
Sie hätten nicht die Macht, wenn sie nicht die Mittel hätten, die Schweine [72]; schrieb die RAF 1972.
Und die Mittel sind seitdem nicht weniger geworden. Das ist die eine Seite. Und das die andere:
Es gibt kein Regime auf der Welt, das sich mit solch gigantischem Aufwand in seiner Festung gegen den inneren Feind eingekeilt hat, das sich auf einen Todesteppich von atomaren Sprengköpfen setzt, um sich sicherer zu fühlen, das seine Meute von Herrschenden hinter kleinen Privatarmeen, hinter schußsicherem Glas, in Panzerwagen und Bunkerwohnungen verstecken muß. Und das trotz seiner geifernden, wahnwitzigen, tagtäglichen Gehirnwäsche doch nur bei 16 % des Volkes erreicht hat, daß es sich von der »Schlinge um ihren weißen Herrscherkragen« mitbedroht fühlt. Und das bedeutete einiges in diesem Land.
»Was die Politiker schwatzen, ist nicht das, was die Leute denken, sondern das, was sie denken sollen - und wenn sie »wir« sagen, versuchen sie so zu schwatzen, daß die Leute das, was sie denken und wie, darin wiedererkennen und für artikuliert halten - aber der Staat bräuchte die Demoskopie nicht, auch nicht den Verfassungsschutz, wenn die Indoktrination durch psychologische Kriegsführung so einfach wäre. Das legale Land ist nicht das wirkliche Land, sagt Gramsci [73] oder aber einfach: die herrschende Meinung ist nicht die Meinung der Beherrschten.« (Brief von Ulrike Meinhof an Hanna Krabbe). [74]
Es gibt eine Tendenz unter den Liberalen und Linken, über das Land zu jammern, in dem wir leben und alle Hoffnungen auf's »liberale Ausland« zu setzen. Wir haben diese Analyse geschrieben, um klar zu machen, daß der faschistische Prozeß in der Tat nicht zu begreifen ist, wenn man nur auf »dieses kaputte Land mit seinem kaputten Volk« abhebt. Wir müssen davon ausgehen, daß wir es mit einem Totalitarismus des industriellen Systems zu tun haben, der sich anschickt, ganz Europa zu überziehen. Und »totalitär« heißt per definitionem, daß alle Handlungsspielräume -individuelle wie kollektive - abgeräumt werden, das beweisen die letzten 5 Jahre und zwar in einem Tempo, das sich zunehmend überschlägt.
Für den Widerstand heißt das, gerade und vor allem in der BRD, sich dem offenen Zugriff dieser »4.Reich-Strategen« zu entziehen. Heißt: Organisationsformen und Widerstandsmethoden zu entwickeln, die aus dem Moment des Verdeckten, des Klandestinen eine Waffe machen. Wir haben gesagt, daß Klandestinität Massenbewegungen wesentlich fremd ist. Dies wird jedoch zu einer philosophischen Feststellung angesichts der Situation, in der sich der legale Widerstand in der BRD heute befindet. Ihm bleibt bei Strafe des Untergangs nur eines: die Praxis und Techniken des verdeckten, klandestinen Kampfes sich massenhaft, so schnell wie möglich anzueignen. Und zwar, weil es selbstmörderisch und uneffektiv ist, angesichts dieses polizeilich-militärischen Gewaltapparates in die offene Feldschlacht zu ziehen.
Das Industriesystem zerschlagen, das Ökosystem erhalten!
Von Italien [75] beginnt eine linksradikale, militante Bewegung auszustrahlen - das explosive Bündnis von Studenten, Arbeitslosen, Armen und Ghettokindern. Sie laufen Sturm gegen die wachsende Massenverelendung in den Metropolen, gegen den dreckigen »Historischen Kompromiß« und die »Germanizazzione« Italiens, die den »italienischen Verhältnissen« die deutsche Endlösungsstrategie aufzuzwingen versucht.
Die Frauenbefreiungsbewegung, die das Gesicht Europas verändert hat, scheint von dem heraufziehenden Totalitarismus in Europa am stärksten betroffen zu sein. In dem Sinn, daß es ihr - besonders in der BRD - ungemein schwer fällt, darauf die ihr adäquaten Kampfformen zu entwickeln. Sie scheint in dem Widerspruch zu erstarren, die herrschende Gewalt, die sich in besonderem Maße gegen Frauen richtet, nicht bekämpfen zu können, ohne dagegen die Gewalt von unten mobilisieren zu müssen. Für einen großen Teil ist dieser Widerspruch nur »lösbar«, indem er immer weite gesellschaftliche Bereiche ausblendet. Das heißt, die Frauenbewegung muß auf diesem Weg trotz ihrer Breite einen Hang zum sektierischen entwickeln, wenn sie es nicht schafft, z.B. die Positionen und Aktivitäten der »Politischen« und »Mili-Tanten« in ihre Konzeption mit aufzunehmen.
Diese Aufzählung kann in ihrer knappen Form nicht auf die Widersprüche und Probleme eingehen, mit denen sich diese Bewegungen herumschlagen. Ganz allgemein läßt sich jedoch sagen, daß sie von der rasant fortschreitenden Zubetonierung der europäischen Gesellschaften in ihrem Nervenzentrum getroffen werden - und das ist ihr öffentlicher Charakter. Massenbewegungen brauchen die öffentlichen Diskussionen, die öffentlichen Handlungspielräume, das öffentliche kollektive Experimentieren mit Aktionsmöglichkeiten. Sie stehen ihrem Wesen nach im Widerspruch mit allem Heimlichen, Klandestinen. Sie brauchen eine »offene« Gesellschaft, um kollektive Lernprozesse, ein neues, revolutionäres Selbstverständnis zu entwickeln. Und genau an dieser Offenheit setzt der totalitäre Überwachungsstaat an, um ihnen die Luft abzuschnüren: um aus jedem Ansatz zu kollektivem Widerstand eine »Massenfalle« zu machen: »Es ist geradezu selbstmörderisch, den Staat - und das sind auf dem Bauplatz nur die Bullen - dann anzugreifen, wenn er vorbereitet ist und es in der Hand hat, das Geschehen total zu kontrollieren. Hier werden wir immer die Verlierer sein und unsere minimalen Kräfte gegen die Bullen verheizen« (Pflasterstein, KKW-Sondernummer). Manes Sperber [76] sagt dazu: »Die Zeit ist gekommen, mit dem Leben besonders jener zu geizen, die willens sind, es zu opfern.« Der Lehrer Hartmut Gründler [77] ist in Hamburg so einen sinnlosen Opfertod gestorben. Doch es gibt viele Arten, sich zu töten - Selbstverbrennung ist die eine - zu resignieren die andere Möglichkeit.
Wenn von Praxis und Techniken des verdeckten, klandestinen Kampfes die Rede ist, dann ist damit noch nicht Guerillakampf gemeint, sondern eine Methode, die viele Abstufungen kennt und daher massenhaft möglich ist. Es ist eine Ebene des Kampfes, auf der die notwendigen politischen und praktischen Erfahrungen gemacht werden können, auf der man sich selber kennenlernen kann, von wo man wieder zurück kann oder aber aufgrund dieses Lernprozesses den Entschluß fassen kann, den Widerstand mit Waffen zu führen.
«Daß aber kleine Gruppen auch in einem hochindustrialisierten Staat angreifen, sein sorgfältig ausbalanciertes Gefüge politischer, wirtschaftlicher und sozialer Funktionen und Funktionsabläufe lähmen oder zerschlagen und sein vielfach überlegenes militärisches Potential mit vergleichsweise geringem Risiko unterlaufen, wird auch heute noch allgemein für unmöglich gehalten.« (Müller-Borchert, Guerilla im Industriestaat). [78]
Wir haben in dieser Untersuchung nachgewiesen, daß dieses »sorgfältig ausbalancierte Gefüge politischer, wirtschaftlicher Funktionen und Funktionsabläufe« des hochindustriellen Staates zunehmend die Balance verliert, was mit einer immer despotischeren Organisation der Macht beantwortet wird. Widerstand hat in dieser Phase die Aufgabe, durch ein immer dichteres Netz von großen und kleinen Aktionen diese substantielle und legitimatorische Krise zu verschärfen und gleichzeitig sich gegen die totalitäre und faschistische Lösung zu formieren und zu bewaffnen.
Die Guerilla in Westeuropa hat den antiimperalistischen Kampf bewaffnet und somit eine Form des Kampfes gewählt, die sich in einen gewissen Widerspruch zu Massenorganisationen setzt.
«Indem die Stadtguerilla direkte Aktionen gegen das Eigentum der Regierung und der großen Kapitalisten durchführt, setzt sie sich automatisch außerhalb der Legalität und die Stadtguerilleros werden von den Organen des Staates verfolgt. Jede Aktion der Stadtguerilla ist illegal. Ihre bloße Existenz ist illegal. Die Stadtguerilla setzt sich daher als Kampfform ständig in einen Widerspruch zur unterdrückten Klassen, eben weil diese nicht insgesamt in die Illegalität gehen kann bzw. wenn sie es tut, der Kampf so verallgemeinert wird, daß die Stadtguerilla als solche aufhört zu bestehen. Natürlich würde die Stadtguerilla untergehen, wenn sie nicht gleichzeitig mit dem Setzen des Widerspruchs auch die Form seiner Lösung entwickeln würde ... Wenn die Stadtguerilla Aktionen durchführt - und sie sind, wie wir gesehen haben, immer illegal - dann muß sie gleichzeitig einen Prozeß auslösen, der den unterdrückten Massen die Teilnahme an den Aktionen ermöglicht ... Der Widerspruch läßt sich also nicht innerhalb der Kampfform lösen, sondern nur im Verhältnis zum Bewußtsein der Massen, die nicht an den Aktionen teilnehmen. Indem die Stadtguerilla das revolutionäre Bewußtsein der Massen entwickelt, die nicht an ihren Aktionen teilnehmen, sich aber damit identifizieren können, findet dieser Widerspruch erst die Form, innerhalb derer er sich lösen kann. Das heißt natürlich nicht, daß er damit verschwindet: er wird vielmehr bei jeder neuen Aktion und während des gesamten revolutionären Kampfes auftreten.« (Alex Schubert, Die Stadtguerilla als revolutionäre Kampfform, S. 9) [79]
Daß dieser Widerspruch mit Fortschreiten des revolutionären Prozesses einer Lösung entgegen geht, beweisen die Funktion und Stellung der IRA im irischen und der ETA im baskischen Kampf. Ähnliches ist in Italien zu beobachten, wo sich in den letzten Revolten die Kampfform der Guerilla, der Roten Brigaden und der Bewaffneten Proletarischen Zellen immer mehr vermasste.
In der BRD ist dieser Widerspruch am stärksten ausgeprägt. Die Gründe dafür sind schon tausendmal analysiert, dargelegt und beklagt worden. Bloß: der Widerspruch wird ständig wachsen, wenn nicht hier und heute an seiner Lösung gearbeitet wird. Und die praktische Antwort kann nur heißen: Aktionen primär unter dem Gesichtpunkt der Vermassung durchzuführen, d.h. sie dort anzusetzen und mit den Mitteln durchzuführen, die sie für die Leute nachmachbar machen bzw. mit denen sie sich identifizieren können. Dies gilt für das ganze Spektrum unseres Kampfes: für den Nulltarif in öffentlichen Verkehrsmitteln, gegen Fabrikdirektoren, Jugendzentrumsliquidatoren, Wohnungsspekulanten, chauvinistische Ärzte, Sex-Shops und Kirchen, Ausländerpolizei, die Atomindustrie, die chilenische Gorilla- und südafrikanische Rassendiktatur.
Zur Lösung des Widerspruchs gehört der Aufbau einer Gegenpropaganda wie Zeitungen oder Schwarzsendern in West-Berlin. Dazu gehört das Vermitteln von Techniken, wie der Bau von Brand- und Sprengsätzen, Fälschen, Anleitungen zum Senderbau usw. Und dazu gehört der Schutz derer, die sie z.B. wegen nachgedruckter Sozialscheine drankriegen wollen. Nachdem die Autos von Richtern und Staatsanwälten brannten, gab es nur noch Freisprüche.
Zur Lösung des Widerspruchs gehören weiterhin, daß wir in der Anti-AKW-Front, der Frauenbewegung, in Bürgerinitiativen und Betriebsgruppen mitkämpfen. Nicht zur Zwecke der »Rekrutierung«, denn es kann nicht darum gehen, die Militanten aus allen Bereichen abzuziehen und sie gesondert zu organisieren (das war z.B. ein wesentlicher Fehler der Tupamaros), sondern sie in ihren Bereichen zu unterstützen und zusammen wie die Hefe im Teig zu wirken. Das meint auch die Parole: »Schafft viele revolutionäre Zellen«. Sie ist politisch richtig, weil sie auf der Autonomie, der Eigeninitiative und jeweiligen Verankerung der einzelnen Zellen aufbaut und sie ist sicherheitspolitisch richtig, weil allein eine Organisation, die auf selbständig operierenden Gruppen aufbaut, in einem totalitären Überwachungsstaat die Chance hat, nicht aufgerollt und zerschlagen zu werden. Dafür liefern die Revolutionären Zellen seit fünf Jahren den Beweis.
Das kann nicht heißen, daß es so etwas wie eine Garantie gibt, daß wir es schaffen werden. Und das heißt auch nicht, daß wir heldenhafte Idioten sind, die »ihr Leben für eine These aufs Spiel setzen«, wie sich der Biermann [80] mal dazu äußerte. Das bedeutet nur, daß es in Anbetracht aller Ängste, aller Schwierigkeiten, aller Widersprüche für die Unterdrückten keine andere Möglichkeit gab, gibt und weiterhin geben wird, als zu kämpfen - mit allen Waffen, die ihnen zur Verfügung stehen. Und das sind beileibe nicht nur militärische, aber ohne sie haben wir keine Chance. Die Geschichte der Menschheit ist voll von Versuchen, das Problem anders zu lösen, mit Verweigerungsstrategien, mit Petitionen, mit Hungerstreiks, mit Selbstverbrennungen usw. Sie alle appellieren an eine moralische Substanz der Herrschenden, die es nicht gibt. Dagegen steht eine andere Tradition, die allein das Risiko, sich in Gefahr zu begeben, lohnt. Nämlich die, sich im Kampf gegen die Menschenfresser zu bewaffnen. Denn, wenn je die Unterdrückten ihre Lage verändern konnten, dann nur auf diesem Wege. Das heißt nicht, daß alle Versuche erfolgreich waren, sondern, daß alle Erfolge nur auf diesem Wege erreicht wurden. Das meinen wir, wenn wir sagen, daß es keine Garantieren gibt, um dazuzufügen, daß es keine andere Möglichkeit gibt. Angesichts des Weges der United States of Europe ins »4.Reich« wird es immer dringlicher, diesen Prozeß in seiner barbarischen Konsequenz zu demaskieren. Demaskierung ist keine Schreibtischarbeit, sondern eine Funktion revolutionärer Praxis, die zum Ziel hat, alle revolutionären Kräfte gegen die Kräfte der Barbarei zu sammeln und zu mobilisieren, die Bornierung der verschiedenen Bewegungen auf ihr »Spezialgebiet« auf eine einzige und ausschließliche Interventionsform, selbst wenn diese sich längst als nicht mehr tauglich erwiesen hat, zu überwinden.
Wir meinen dies ausdrücklich nicht nur auf die BRD bezogen. Denn wenn hier angesichts einer Mobilmachung des Faschismus die revolutionären Perspektiven zu erstarren und zu ersticken drohen, dann wird der Austausch mit den Initiativen und Erfahrungen in anderen westeuropäischen Ländern, dann wird die gegenseitige Unterstützung umso dringlicher. Wenn es dem revolutionären Lager nicht gelingt, die verschiedenen Revolten der Klassen und Völker zu vereinigen, dann wird es der Faschismus einkreisen und vernichten - ideologisch, politisch, militärisch. Die revolutionären Kräfte vereinen meint, den beiden Grundübeln der verschiedenen Bewegungen und Revolten entgegenzuarbeiten: Dem Kampf ohne Einheit und der Einheit ohne Kampf.
Dies erscheint uns nur möglich, wenn ein Prozeß in Gang kommt, in dessen Verlauf jenseits der vielfältigen Erscheinungsformen der gemeinsame Feind wieder ausgemacht wird, der sich hinter Atomlobby und Rassismus, hinter Männerherrschaft und Völkermord, hinter dem Totalitarimus der Industrieregime, psychischer Verelendung und Hungerkatastrophen verbirgt. Das bedeutet wesentlich wieder einen Begriff vom antiimperialistischen Kampf [81] zu bekommen, der mit Ende der Studentenbewegung für viele zur »Außenpolitik«, zur revolutionären Pflichtübung verkommen ist. Einst der Geburtshelfer und Motor der politischen Bewegungen und Revolten in den Metropolen, fristet er heute eine kümmerliche Existenz zwischen inhaltsleeren Solidaritätserklärungen und lästigen Spendenaufrufen. Viele mögen sich nicht mehr mit Palästina, Südafrika, Chile, Portugal, Argentinien, den USA abgeben. Das sei zu abstrakt, da könne man keine politische und emotionale Betroffenheit mehr aufbringen. Von entfremdeter Kampagnen- und Interventionspolitik ist die Rede, vom alten Trip »Politik zu machen«, um sich nicht mit der eigenen Veränderung beschäftigen zu müssen.
Die mangelnde Betroffenheit ist tatsächlich nicht mehr zu übersehen. Untersucht man die Ursachen dafür genauer, dann liegt das weniger an der »Abstraktheit des Internationalismus«, sondern in der konkreten Enttäuschung darüber, daß es mit der Revolution in aller Welt nicht so läuft, wie man sich's vorgestellt hatte (die Gründe dafür haben wir versucht im ersten Teil darzulegen). Der Internationalismus-Boom der sechziger Jahre war immer und in erster Linie eine Identifizierung mit Siegen. Che und Ho [82], Kuba und China, Vietnam waren die lebendigen Beweise dafür, daß es möglich ist, den Koloß Imperialismus zu schlagen, das Unabänderliche zu ändern. Das brachte auch die versteinerten Verhältnisse in den Metropolen zum Tanzen. Die zwanzigjährige Betonierung von Macht und Ordnung, Antikommunismus und Untertanenmentalität, der ganze Müll der dreckigen fünfziger Jahre wurden hinweggefegt und setzte maßlose Kräfte, Hoffnungen und Phantasien frei:
Hundert Blumen blühten [83] plötzlich in der Steinwüste. Eingebettet in die weltweite Offensive der revolutionären Kräfte, mit dem Vietcong [84], den Fedayjin [85], den Tupamaros [86], den Black Panthers [87] als Vorhut, schien unser Sieg nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Als die revolutionäre Offensive in den siebziger Jahren weltweit in die Defensive gedrängt wurde, hat sich dieses Verhältnis schlagartig geändert. Dies drückte sich in Parolen aus wie »Kämpft nicht die Schlachten von anderen«, »Unterstützung für Kämpfe von Dritt-Welt-Völkern ist Politik aus bloß schlechtem Gewissen« und »Man kann jemand nur über seine eigenen Interessen organisieren«.
Es geht nicht darum, daß diese Parolen, für sich genommen, zum Teil nicht falsch sind; es geht darum, daß damit eine begriffliche und praktische Abkoppelung der Auseinandersetzungen in den Metropolen von den Kämpfen in den unterentwickelt gehaltenen Ländern betrieben wird.
Denn wir haben nie die Schlachten von anderen gekämpft, das ist der Rassismus der weißen Herren, die mal wegen Tal-Saatar auf die Straße gegangen sind - sie sind es nicht mal. Wir haben nur eine Deckungsgleichheit unserer eigenen Interessen und denen der Völker der Dritten Welt erfahren und zum schlechten Gewissen ist diese Erfahrung erst verkommen, als durch den Verlust der eigenen Perspektive anstelle des einstmals praktischen Verhältnisses wieder ein nur moralisches trat.
Die Aufkündigung des Internationalismus, die Reduzierung des Begriffs vom antiimperialistischen Kampf auf Außenpolitik, führt dazu, den Begriff vom eigenen Kampf zu verlieren, führt zu einer heillosen Ver-Gruppelung des revolutionären Lagers. Indem sich jeder seinen eigenen Feind strickt. Es gibt zwar viele Fronten und an den Barrikaden wird in vielen gesellschaftlichen Bereichen gebaut, doch der Feind dahinter ist immer derselbe und sein Vorgehen ist allein davon bestimmt, zu spalten, um getrennt schlagen zu können.
Antiimperialistischer Kampf bedeutet, den gemeinsamen Nenner immer wieder herauszuarbeiten und anzugreifen und damit eine Grundlage für die Vereinheitlichung und Verbreiterung der revolutionären Kräfte zu schaffen, die sich sonst immer zusammenhangloser an den Erscheinungsformen des imperialistischen Weltsystems in allen Bereichen (Fabrik, Umwelt, Schule, Universität usw.) abarbeiten werden. Indem in ihm immer wieder die wirklichen Ursachen und Verursacher, die eigentlichen Zusammenhänge, die verborgen bleiben sollen, aufgezeigt und angegriffen werden, entwerfen wir Stück für Stück die Umrisse des Feindes, zeichnen ein immer genaueres Bild von ihm, seinen verbrecherischen Praktiken und Absichten.
Denn während für den Kolonialisierten der Feind in Gestalt des Besatzers klar zu erkennen ist, weil er ständig die Tritte seiner Stiefel spürt, ist dessen Herrschaft in den Metropolen vielschichtiger, schillernder, psychisch und physisch tiefer verankert. Der antiimperialistische Kampf in den Metropolen hat zunächst die Aufgabe, Trennungslinien zu ziehen, die verwischten Fronten Zug um Zug klarzumachen. So verstehen wir unter anderem unsere Angriffe auf die US-Armee. Wir haben sie gezwungen, ihr Erscheinungsbild dem Volk gegenüber immer mehr mit ihrer Funktion als imperialistische Besatzungsmacht in Übereinstimmung zu bringen. Wir haben sie gezwungen, sich immer mehr einigeln zu müssen, hinter 2 Meter hohen Elektrozäunen, hier dreifachem Natostacheldraht, ihre Wachposten im letzten Jahr zu verzehnfachen, »Volksfeste«, wie das geplante 20tägige zur 200-Jahr-Feier [88] abzusagen, Sicherheitsbesprechungen nicht mehr in Casino-Atmosphäre abhalten zu können, weil ihnen im Juni vergangenen Jahres dabei eine Bombe unterm Arsch gezündet wurde.
Wir haben dieses Beispiel gewählt, um daran klarzumachen, daß Angriffe auf die Zentralen des Imperialismus nicht allein daran gemessen werden können, ob sie einem unmittelbaren Masseninteresse entspringen, sondern auch daran, ob sie dem Feind den reibungslosen Ablauf seiner schmutzigen Geschäfte erschweren. Wir haben dieses Beispiel nicht gewählt, um damit durch die Hintertür doch wieder einen Begriff von antiimperalistischem Kampf einzuführen, der ihn ausschließlich in den »großen Schlägen« gegen die Zentralen der Menschenfresser verwirklicht sieht.
Antiimperialistischer Kampf, das ist alles, was die Ruinierung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Metropolen vorantreibt, um dagegen die Menschen als Maß aller Dinge zu setzen und in den kämpfenden Kollektiven die Keimformen einer neuen Gesellschaft zu verwirklichen.
Indem in ihnen die Verzweiflung der Einzelnen in der kollektiven revolutionären Praxis der Gruppe aufgehoben wird, werden sowohl die »objektiven Bedingungen«, die unabänderlich erscheinen, veränderbar, als auch die Verhältnisse der Menschen untereinander von ihnen neu und freier bestimmbar. Sie durchbrechen den Teufelskreis, in dem sich die zerstörerischen Bedingungen in der Selbstzerstörung bzw. gegenseitigen Zerstörung der Individuen fortsetzen und somit immer aufs Neue eben diese Bedingungen ermöglichen und stabilisieren. Den Teufelsskreis durchbrechen heißt nicht, daß wir uns von der ganzen Scheiße befreit haben, sondern daß wir sie immer mehr in den Griff bekommen, daß sie uns nicht mehr beherrscht, daß wir uns gegenseitig dazu befähigen, von uns selbst, von dem, was wir wollen, von dem, »was für ein Land aufgebaut werden soll«, konkretere Vorstellungen zu entwerfen und sie zu verwirklichen. Malatesta [89] drückt dies folgendermaßen aus: Der Kommunismus muß in den Herzen verwirklicht sein, bevor er an den Dingen verwirklicht werden kann«. Um ihn in den Herzen zu verwirklichen, bedarf es der kollektiven revolutionären Praxis.
Für uns heißt das: Die Kämpfenden Kollektive als die Keimzellen einer neuen Gesellschaft aufbauen und vermassen.




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