Der Lange Marsch ist im Arsch -
es fährt ein Zug nach Nirgendwo!
Sommer 1975

Liebe Genossen!
Ihr habt euch in eurer Zeitung »Langer Marsch« wiederholt zu Problemen des Guerilla-Kampfes geäußert, meist in einer so infamen Weise, die es schwer macht, eine solidarische Diskussion zu führen. In der letzten Nr. 16, April 1975 geht ihr auf die Lorenz-Entführung durch die Bewegung 2. Juni ein.
In eurem Schreiben, Denken und wahrscheinlich auch Handeln habt ihr euch vom revolutionären Lager - und das sind nicht nur die Stadtguerilla-Gruppen - so weit entfernt, daß ihr euch von »SPD und Guerilla eingekreist« fühlt (S.8), ihr fühlt euch elend, wo ihr doch alles so gut machen wollt, denn ihr seid die ewig »Angegriffenen und Abgelehnten« (S.8).
Bewundernswert ist allerdings euer Opportunismus, der euch gefühlsmäßig die Lorenz-Entführung verstehen läßt; dies vermutlich aus Angst vor rückläufigen Verkaufszahlen eures Blattes bei zu wenig Gefühl.
Eure Vorwürfe gegen die Stadtguerilla insgesamt, soweit ihnen nicht nur aus Angst geborener Amok zugrunde liegt, lassen sich leicht zusammenfassen und entkräften.
1. Ihr spielt die alte und denunziatorische Leier vom Privatkrieg des 2. Juni und der anderen Guerilla-Gruppen. Wir würden nur noch unsere Gegner bekämpfen, unsere Gefangenen befreien (wer sitzt aus eurer Redaktion?).
Ihr fahrt dabei restlos auf die bürgerliche Presse ab, darauf, welche Guerilla-Aktion »Öffentlichkeit« findet und welche nicht. Wir, die Revolutionäre Zelle, haben seit 1973 ca. 15 Aktionen durchgeführt, davon nicht eine gegen unsere privaten Feinde. Es gibt in diesem Zeitraum noch mindestens 40 Aktionen anderer Stadtguerilla-Gruppen, die z.T. in engstem Zusammenhang mit Massenkämpfen standen.
Darüber redet ihr nicht, wenn ihr euch mit dem Konzept und der Praxis der Stadtguerilla »auseinandersetzt«. Ihr schreibt über die wenigen Aktionen für die Befreiung der gefangenen Revolutionäre, bei denen in der Tat die Auseinandersetzung nur zwischen uns und dem Staatsapparat geführt wird, auch deshalb, weil ihr euch wie viele andere einen Dreck um die Gefangenen kümmert.
2. Ihr werft uns Unmenschlichkeit vor. Nicht im Zusammenhang mit Lorenz, das wäre diesmal ein wenig schwierig. Aber im Vietnam-Artikel kommt es knüppeldick.
»Der Befreiungskampf hat seine schmutzigen Seiten gezeigt«; die Granaten des Vietcong [51] treffen genauso unterschiedslos, ebenso wahllos die »Unbeteiligten« wie die der USA; (auch hier ein Privatkrieg zwischen Vietcong und USA?); die Linke würde sich für den Sieg begeistern, aber kein Mitleid für die Gefallenen haben usw. usw. - alles wörtliche und sinngemäße Zitate aus dem LM.
Wenn diese wildgewordenen Schlitzaugen nicht immer wieder wie Desperados, wildgewordene, kleinbürgerliche Rebellenhaufen gehandelt hätten, wäre vielleicht schon lange Frieden, das ist eure Logik.
Vielleicht hätten die vietnamesischen Genossen auch mit Holzknüppeln gegen Panzer, mit Steinschleudern gegen Phantom und B 52 [52] kämpfen sollen, das wäre wenigstens humane Kriegsführung gewesen.
Was ihr betreibt, ist schlimmer als »Bild« [53]-Zeitung, das ist subtile imperialistische Propaganda. Unseres Wissens nach haben die Roten Khmer [54] bei der Beschießung Pnom Penhs [55] vorher ihre Ziele bekannt gegeben und im wesentlichen militärische Objekte und Regierungsgebäude angegriffen. In Flüchtlingstrecks in Südvietnam kam es zu Auseinandersetzungen, weil die faschistischen südvietnamesischen Truppen sich dort verkrochen.
3. Niemand hätte uns gerufen, es gäbe keine Notwendigkeit für die Guerilla, der Stand der Massenkämpfe sei noch nicht so und überhaupt: wir wären ja ganz kaputte Typen, verkrachte Existenzen, in ihrer Massenarbeit gescheitert und deswegen blindwütig zum Ballermann gegriffen.
Revolutionäre Politik hat zu jedem Zeitpunkt illegale Bestandteile. Wenn wir nicht die Illegalität organisieren, wird die Repression die Linke zum Schweigen, zur Machtlosigkeit verurteilen. Viele Massenaktionen stehen heute in der Tat an einer Schwelle, wo nur noch illegale, Guerilla-Aktionen die Niederlagen aufhalten oder unter günstigen Umständen sogar in einen Sieg verwandeln können.
Was war mit der Zerschlagung des Ford-Streiks? Was ist mit zahlreichen Fahrpreiskampagnen? Was mit dem Häuserkampf, dem Kampf um selbstverwaltete Jugendzentren? Was mit den illegalen Ausländern?
Was soll eure Schadenfreunde darüber, daß um illegale Wohnungen keine Mietkämpfe geführt werden? Warum braucht ihr keine illegalen Wohnungen?
Was lernt ihr aus Chile? Hat der MIR durch Land- und Fabrikbesetzungen, durch militärische Aktionen den Faschismus provoziert? Oder hat dort der Reformismus versagt, die Massen entwaffnet? Lieber im KZ als in der revolutionären Bewegung, in der Guerilla? Lieber tot als rot?
Unsere Fragen, die Antwort ist die Stadtguerilla. Wo sind eure Antworten?
Woher wißt ihr so genau, daß eure politische Praxis, die ausschließlich legale, konkret und richtig ist? Ihr glorifiziert, verherrlicht die Arbeit der Genossen im Betrieb, Stadtteil, Uni usw. Wir haben da andere Erfahrungen gemacht.
Die Genossen, die aus solcher Massenarbeit kamen - radikaler als eure Schreibtisch- und Beamtenidylle - haben meist erst in der Guerilla Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit, Kontinuität gelernt. In der Guerilla erschöpft sich die politische Arbeit nicht im Kreislauf von Kneipe - Kommunediskussion - 2 politische Termine die Woche - ab und zu 'ne Demo, ein Flugblatt. In den 30 Fragen an die Tupamaros [56] führte die MLN aus, und da stimmen wir 100 % zu: »Was man dem, der neu in die Bewegung eintritt, verständlich machen muß, und das ist im allgemeinen sehr schwer, daß die Revolution sich in den Bereichen abspielt, in denen unauffällige und kontinuierliche Arbeit geleistet wird; daß die heroische Tat nur ein Augenblick ist; daß die meisten Ereignisse eher langweilig und ohne Großartigkeit sind. Ein Militanter, der das begriffen hat, hat damit vielleicht das Allerwichtigste verstanden.«
Wir geben nicht damit an, sind nicht stolz darauf, aber das ist unser Leben, der Kampf, den wir führen. Paradox ist nur: die Unzuverlässigen werfen uns Unzuverlässigkeit vor, die Reformisten uns Linksradikalimus, die Schwankenden Flippertum, die Akademiker uns ein abstraktes Verhältnis zur Wirklichkeit, die Untätigen falsche Praxis, die Schwätzer, die von Bullen durchsetzte Scene, daß wir vom Verfassungsschutz infiltriert seien.
4. Den Rahmen eurer Vorstellungen gibt die Einschätzung der SPD ab. Um zur Revolution zu kommen, muß man erst einmal ein paar Jahrzehnte den Reformismus stärken, die SPD bzw. die Jusos.
Natürlich erstarkt im Verlauf des revolutionären Prozesses der Reformismus, aber nicht als positive politische Kraft, sondern in Reaktion auf die Offensive der Arbeiter, der Revolutionäre. Vor dem Faschismus (das ist bei euch Strauß, aber nicht Maihofer!) schützt nicht der Reformismus, schon gar nicht die SPD, sondern die Volksmacht. Nicht die SPD-Reformbürokratie (siehe S. 8) hat euch eure hochbezahlten Jobs verschafft, sondern die antiimperialistische Bewegung der 60er Jahre.
Ihr sitzt den deftigen Tönen der SPD gegen Strauß auf (»Antifaschistisches Programm der SPD«), weil das eurem Wunschdenken entspricht. Die SPD habe die Zeichen der Sonthofener Rede [57] versanden, kann man lesen (S.2), besonders wohl der von euch liebevoll abgebildete »Bundeskapitän Schmidt«. Wir, die Guerilla, würden die Unterschiede zwischen den Parteien nicht mehr sehen.
Die Polemik der SPD gegen Strauß ist keine antifaschistische Mobilisierung, sondern ein Kalkül der SPD-Wahlkampfstrategen und Werbebüros mit dem antifaschistischen Gefühl und Bewußtsein eines Teils der Massen. Gleichzeitig lobt die SPD Strauß als großen, demokratischen Staatsmann und verhandelt mit ihm über Große Koalition.
Darüber sollte man sich den Kopf zerbrechen; jetzt, nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und im Saarland ist die Dikussion um Strauß mit Sicherheit beendet.
Die Unterschiede zwischen den Parteien in Bezug auf die Repressionspolitik sehen wir in der Tat nicht. Kein Juso protestiert gegen Stockholm, im Gegenteil. Die sog. Linken in der SPD sind für die ganz harten Lösungen. Schmidt gebärdet sich als Allparteienkanzler, er kennt nur noch Deutsche.
Das Pöstchengerangel in SPD und FDP schon als Fraktionierung zu begreifen, ist für uns zu hoch. Diese Fraktionierungen sind angelegt, sie werden kommen, wenn die Arbeiterbewegung, die Revolutionäre in die Offensive kommen. Dann wird es auch kein Blatt wie den Langen Arsch mehr geben, das allein dazu da ist, um euch eurer Zweifel und Skepsis zu versichern. Dann seid ihr entweder bei SPD, FDP, DKP-SEW oder in der revolutionären Bewegung. Dazwischen kann man nur während der Defensive sein.




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