Vorbemerkung Kapitel III

Im Mai 1974 trat Bundeskanzler Willy Brandt zurück, Helmut Schmidt wurde sein Nachfolger. Während Brandt eine Symbolfigur für schrittweise Reformen war und viele Linke integrieren konnte, galt Schmidt als Technokrat und der richtige Mann, um als »Krisenmanager« die ökonomischen und sozialen Probleme der beginnenden Rezession in den Griff zu bekommen. Hans-Dietrich Genscher wurde zum Außenminister ernannt. Den Bundestagswahlkampf 1976 gewann die SPD mit Helmut Schmidt als Kanzlerkandidat unter der Parole »Für das Modell Deutschland« und stellte gemeinsam mit der FDP wieder die Regierung. In Schmidts Regierungszeit wurden die innen- und außenpolitischen Instrumente zur »Terrorismus«-Bekämpfung durchgesetzt.

Europäische Abkommen »zur Bekämpfung des Terrorismus«
Bis Ende 1976 war in der Bundesrepublik Deutschland das »Sofortprogramm Innere Sicherheit« abgeschlossen. Polizei, Verfassungsschutz, BKA und Bundesgrenzschutz wurden personell und materiell massiv aufgerüstet, die datenmässige Erfassung und Überwachung zur perfektesten in Europa.
Die Bundesregierung ging nunmehr daran, die europäische Vereinheitlichung der »Terrorismusbekämpfung« zu forcieren.
- Mit dem auf der Innenministerkonferenz im Februar 1974 formulierten Ziel einer besseren europäischen Zusammenarbeit fand am 29. Juni 1974 auf Betreiben des deutschen Innenministers eine europäische Konferenz zur Inneren Sicherheit statt. Es wurden Expertengruppen zu den Themen »Terrorismusbekämpfung, Technik, Ausrüstung und Ausbildung der Polizei sowie Austausch von Polizeibeamten, Luftsicherheit, Sicherung von Kernkraftanlagen und Katastrophenschutz« gebildet. Die Bundesrepublik Deutschland boten im Austausch gegen Informationen aus den anderen EG-Ländern den gesamten Datenbestand des BKA an, der als der weltbeste gilt.
- Auf der Europäischen Konferenz zur Inneren Sicherheit wurden die ersten Weichen für eine europaweite Zusammenarbeit gestellt, am 1. Januar 1977 trat dann das europäische Übereinkommen über die Auslieferung und Rechtshilfe für die BRD in Kraft.
Wenig später, am 27. Januar 1977 wurde das »Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus« unterzeichnet.
1976 hatte die Bundesregierung nur mit ökonomischem Druck auf die griechische Regierung die Auslieferung von Rolf Pohle erreichen können (Rolf Pohle war durch die Lorenz-Entführung freigelassen worden, in Griechenland wurde er erkannt und wieder verhaftet) und konnte auch die Auslieferung von Klaus Croissant (Anwalt von Andreas Baader im Stammheimer Prozeß), der in Frankreich Antrag auf politisches Asyl gestellt hatte, nur mit Einschränkungen und gegen einen breiten Protest durchsetzen. Mit den unterzeichneten Abkommen hatte die BRD ihre Interessen europaweit durchgesetzt und gesetzlich abgesichert.
Für Linke und Liberale im europäischen Ausland wurde »Modell Deutschland« zu einem Synonym für Repression und Überwachung. Nach zahlreichen Appellen aus verschiedenen Ländern Westeuropas beschloß die Bertrand Russell-Foundation in ihrem 3. Tribunal »die Situation der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland« zu untersuchen, Ansatzpunkt war vor allem der »Radikalenerlaß«, aber auch ein weitergehender Abbau der Menschenrechte.

Der Prozess in Stammheim
Um die Guerilla politisch zu isolieren, wurde von Politikern in den Medien immer wieder erklärt, daß es sich bei ihren Aktionen um rein kriminelle, nicht politische Taten handele.
So wurden die Gefangenen aus der Roten Armee Fraktion auch nicht des »Hochverrats« angeklagt, wie KPD-Mitglieder in den 50er Jahren, sondern der »Bildung einer kriminellen Vereinigung« (später »terroristischen Vereinigung«). Eine Anklage auf Hochverrat hätte zwangsläufig eine politische Argumentation in Anklage und Verteidigung nach sich gezogen. Mehrere Gesetzesänderungen dienten u.a. dazu, die Absicht der Angeklagten, einen politischen Prozeß zu führen, auf juristischer, verfahrensrechtlicher Ebene ins Leere laufen zu lassen.
So wurde am 18. Dezember 1974 im Vorfeld des Prozesses gegen Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan Carl Raspe, der am 21. Mai 1975 in Stuttgart-Stammheim begann, vom deutschen Bundestag eine Änderung des Strafverfahrensrechts beschlossen und dadurch die Rechte von Verteidigern und Angeklagten eingeschränkt. Die Zahl der Verteidiger wurde auf höchstens drei beschränkt, Mehrfachverteidigung verboten, der Ausschluß von Verteidigern erleichtert und die Durchführung der Hauptverhandlung unter Ausschluß der Angeklagten ermöglicht.
Zuvor wurde der Ausschluß von Rechtsanwalt Schily - mit der Begründung, durch Weiterleitung von Kassibern eine kriminelle Vereinigung (RAF) unterstützt zu haben - vom Bundesverfassungsgericht mit der Aufforderung an den Gesetzgeber aufgehoben, die rechtlichen Grundlagen für einen solchen Ausschluß zu schaffen.
Mit dem Inkrafttreten des sog. »Anti-Terror-Gesetzes« vom 24. Juni 1976 wurde die Überwachung des gesamten Schriftverkehrs zwischen Anwälten und Angeklagten ermöglicht, gleichzeitig der § 129 a (»terroristische Vereinigung«) eingeführt.

Hungerstreiks der politischen Gefangenen
Am 17. Januar 1973 traten erstmals Gefangene aus der Roten Armee Fraktion in einen Hungerstreik und forderten die Aufhebung der Isolationshaft. Bis 1989 folgten neun weitere Hungerstreiks.
Nun begann in der deutschen und europäischen Linken eine breit geführte Auseinandersetzung um Haftbedingungen und Isolationshaft.
In Köln-Ossendorf wurden Ulrike Meinhof und Astrid Proll (1971/72), in Hannover Ronald Augustin (1974) monatelang im Toten Trakt totalisoliert. Auch die anderen Gefangenen aus der Roten Armee Fraktion unterlagen ähnlichen Haftbedingungen. Astrid Proll hatte nach mehrmonatiger Isolationshaft so schwere, eindeutig auf die Haftbedingungen zurückzuführende, Gesundheitsschäden erlitten, daß sie am 1.2.74 als haftunfähig entlassen werden mußte.
Nach und nach setzte sich außerhalb der Gefängnisse die Erkenntnis durch, daß diese Form der akustischen und visuellen Isolation, der die politischen Gefangenen unterworfen wurden, weiße Folter darstellt - erprobt in Experimenten, die mit der sog. »camera silens« gemacht wurden und die nachweislich eine Zerstörung der sinnlichen und intellektuellen Fähigkeiten bis hin zum körperlichen Zusammenbruch bewirkt. Im Verlauf des dritten Hungerstreiks starb Holger Meins, ihm wurden bei der Zwangsernährung so wenig Kalorien zugeführt, daß er buchstäblich verhungerte. Am darauffolgenden Tag wurde der Berliner Kammergerichtspräsident Drenckmann bei einem mißglückten Entführungsversuch von der Bewegung 2. Juni erschossen.

Der Tod Ulrike Meinhofs
Am 8.5.1976 starb im Hochsicherheitstrakt Stuttgart-Stammheim Ulrike Meinhof. Die Behauptung des Staates, sie habe sich selbst getötet, wurde im In- und Ausland angezweifelt, eine internationale Untersuchungskommission erklärte, daß »die Behauptung der staatlichen Behörden, Ulrike Meinhof habe sich durch Erhängen selbst getötet, nicht bewiesen (ist), und die Ergebnisse der Untersuchungen vielmehr den Schluß nahe(legen), daß Ulrike Meinhof tot war, als man sie aufhängte.«

Die Linken
reagierten auf die staatliche Repression und die Haftbedingungen der politischen Gefangenen unterschiedlich. Ein Teil engagierte sich ab 1973 in »Anti-Folter-Komitees«, die die Forderungen der Gefangenen unterstützten und versuchten, Öffentlichkeit über die Haftbedingungen herzustellen.
Das Sozialistische Büro organisierte zu Pfingsten 1976 einen Anti-Repressions-Kongreß, an dem rund 20.000 Menschen teilnahmen.
Auf diesem Treffen wurde von einem Vertreter der Frankfurter Spontis eine Rede gehalten, die unten ausführlich zitiert ist, da sie exemplarisch für die Auseinandersetzungen zu dieser Zeit steht.
Die Spontis, die Bewegung undogmatischer Gruppen, hatten sich seit Anfang der 70er Jahre aus dem antiautoritären Flügel der 68er-Bewegung entwickelt. In Abgrenzung zu den K-Gruppen lehnten sie hierarchische Strukturen und eine politische Arbeit nach marxistisch-leninistischen Grundsätzen ab und setzen dem ihre eigenen Erfahrungen und Bedürfnisse entgegen: »Politik in der ersten Person«. Frankfurt war in der ersten Hälfte der 70er Jahre Hochburg der Spontis. Hier lag nach dem Scheitern der politischen Intervention in den Betrieben das Schwergewicht auf militantem Häuserkampf und auf Stadtteilarbeit.
Die Umsetzung eigener Bedürfnisse, das Leben in Wohngemeinschaften, der Aufbau von Zentren, die Diskussion über Alternativen wurde zum konkreten Ansatz für eine Veränderung der kapitalistischen Gesellschaft. Nach und nach bildete sich eine Struktur von Treffpunkten, Zentren, linken Buchläden, Alternativ-Betrieben heraus. Undogmatische Basisgruppen an Unis und Hochschulen gewannen zunehmend an politischem Einfluß.
Auf dem Pfingstkongreß 1976 grenzten die Spontis sich von den bewaffnet kämpfenden Gruppen ab: »Am 8. Mai wurde Ulrike im Knast von der Reaktion in den Tod getrieben, ja, im wahrsten Sinne des Wortes vernichtet. Daraufhin hat sich - zumindest in Frankfurt - Protest und Widerstand dagegen auf der Straße erhoben [...] Andererseits soll hier aber auch nicht verschwiegen werden, daß wir mit dieser Demonstration am Montag anläßlich des Todes von Ulrike an die Grenze unserer militanten Aktionsformen gestoßen sind und drauf und dran waren, denselben Fehler wie die Stadtguerilla zu begehen, nämlich unsere militärische Stärke nicht mehr im Zusammenhang mit unserer politischen Isolierung zu sehen. [...] Ein weiteres Mal hatten gewaltsame Eruptionen einerseits und die Angst andererseits sich als stärkende, überlebensnotwendige und daher untrennbare Korrektive einer Massenbewegung in dieser Stadt gezeigt. [...] Und dann kam es - von allen erwartet, von manchen erhofft und von vielen gefürchtet: der Beitrag der Stadtguerilla zu dieser Massenbewegung, ihre Antwort auf die Ermordung von Ulrike - zwei Bomben explodierten im Frankfurter US-Hauptquartier. Die Genossen der Revolutionären Zelle können nicht einen Augenblick ernsthaft über das, was sich in Frankfurt in den vergangenen drei Wochen an Massenbewegung abgespielt hat, nachgedacht haben - in ihrem Kommuniqué wird sie ja auch mit keinem Wort erwähnt - , denn anders läßt sich diese Aktion nicht erklären. Sie wollten mit den Bomben ein Signal für den bewaffneten Widerstand setzen und haben den Genossen, die sie zu verstehen suchen, ihre politischen und sonstigen Waffen aus der Hand geschlagen. Sie wollten uns damit Mut zum Kampf und Widerstand machen, und haben die meisten von uns doch nur verschreckt und in einen ohnmächtigen Zorn getrieben. Und schließlich wollten sie uns zeigen, daß bewaffneter Widerstand möglich und notwendig ist und zeigen uns dabei doch nur den Weg zur Selbstvernichtung.[...] Wir wollen ein anderes Lebens, ein revolutionäres Leben. Wir wollen nicht eines fernen Tages den Sozialismus aufbauen, sondern für uns vollzieht sich Befreiung im alltäglichen Widerstand, in unserem Leben. Aber Widerstand und Leben stehen bei uns in einem sehr prekären Verhältnis zueinander. Sobald sich das eine vom anderen isoliert, geben wir entweder auf oder gehen in den Untergrund. Und je stärker der Druck der Verhältnisse auf uns lastet, umso mehr streben Widerstand und Leben auseinander. Die einen denken nur an ihr Überleben und versteinern dabei. [...] Die anderen denken nur an Widerstand, an Kampf und haben sich ein anderes Leben aus dem Kopf geschlagen. Sie treiben ihre vom System erzwungene Selbstentfremdung bis zu physischer und politischer Selbstaufgabe.
Ihre Utopie finden sie nunmehr als Soldaten der Weltrevolution in den unterdrückten Massen der Dritten Welt. Ihre Revolution wird zur alleinigen Frage der militärischen Verunsicherung des Hinterlandes des imperialistischen Feindes. Sie handeln wie Techniker, wie Soldaten, wie ein Stoßtrupp im Feindesland, abgeschnitten von den konkreten Bedürfnissen, den persönlichen und politischen Erfahrungen und Problemen jener Menschen, unter denen sie leben. Sie isolieren sich von jeglichem Massenwiderstand, stempeln uns zu Zuschauern ihrer Attentate und setzen dem System einsam und vereinzelt das Messer der militärischen Machtfrage auf die Brust, mit dem ihnen dann jedesmal von den Bullen die eigene Kehle durchgeschnitten wird.
Wir können uns aber nicht einfach von den Genossen der Stadtguerilla distanzieren, weil wir uns dann von uns selbst distanzieren müßten, weil wir unter demselben Widerspruch leiden, zwischen Hoffnungslosigkeit und blindem Aktionismus hin- und herschwanken.[...] Gerade weil unsere Solidarität den Genossen im Untergrund gehört, weil wir uns mit ihnen so eng verbunden fühlen, fordern wir sie von hier aus auf, Schluß zu machen mit diesem Todestrip, runter zu kommen von ihrer •bewaffneten Selbstisolation­, die Bomben wegzulegen und die Steine und einen Widerstand, der ein anderes Leben meint, wieder aufzunehmen.« (Vollständiger Text nachzulesen in: ID, Nr. 129 vom 12.6.76)

Im Revolutionären Zorn Nr. 2 vom Mai 1976
setzen sich die Revolutionären Zellen mit dem Begriff »Repression« auseinander und kritisieren ihn als rein technischen Begriff, dem eine politische Bestimmung fehlt.
Nur über eine Analyse der politischen Situation in der Bundesrepublik und weltweit, dem Erkennen der präventiven Strategien der Konterrevolution, der Aufgabenteilung zwischen den rechten Fraktionen und der Sozialdemokratie, erwüchsen die Möglichkeiten politischen Handelns. Sie gingen davon aus, daß »die Bourgeoisie gelernt (hat), daß es effektiver ist, die Hirne und Herzen der Menschen rechtzeitig zu kolonisieren, als das Gemetzel des alten Faschismus zu wiederholen. Seit der als •Befreiung vom Faschismus­ getarnten Wiedererrichtung politischer Demokratie und kapitialistischer Produktionsweise ging es der herrschenden Klasse darum, auf gesellschaftlicher, politischer, ideologischer und militärischer Ebene ein Gesellschaftsmodell durchzusetzen, das den alten Faschismus überflüssig macht, revolutionäre Entwicklungen dennoch unmöglich.«
Der »neue Faschismus« stütze sich nicht mehr auf Teile der Bevölkerung, sondern gehe vom Innenministerium aus, erreiche mit anderen Formen der Durchsetzung aber die gleichen Ziele.
Der Tod Ulrike Meinhofs sei - so die RZ - der Anlaß für einen Sprengstoffanschlag auf das Oberlandesgericht Hamm und den Offiziersclub der US-Army in Frankfurt. Zudem fügen sie dem »Revolutionären Zorn« Nr. 2 eine Aufstellung von in- und ausländischen Reaktionen auf den Tod Ulrike Meinhofs bei.
Zur Unterstützung der Angeklagten in politischen Prozessen griffen sie im Februar 77, März 77 und Mai 78 mehrere Zwangsverteidiger (von den Gerichten beigeordnete Pflichtverteidiger, die der Verfahrenssicherung dienen sollen, wenn die Vertrauensanwälte ausgeschlossen wurden) und die Anwaltskammer Frankfurt an, schossen einem im Prozeß gegen den 2. Juni beigeordneten Zwangsverteidiger in die Beine.
Die Gefangenen aus dem •Kommando Holger Meins­ (die Besetzer der deutschen Botschaft in Stockholm) lehnten den Brandanschlag auf das Auto des Rechtsanwalts Peters ab:
»Wir verstehen den Angriff auf den Zwangsverteidiger als Ausdruck der Empörung über die Situation der Gefangenen aus der Guerilla, zu deren moralischer und politischer Vernichtung Bundesanwaltschaft und Staatsschutzjustiz dadurch kommen wollen, daß sie Schauprozesse zur kriminalistischen, öffentlichen Aburteilung revolutionärer Politik inszenieren, in deren Dramaturgie die Zwangsverteidiger die Ausschaltung der Wahlverteidung in- und außerhalb der Prozesse legitimieren und mit einem Alibi versehen sollen.
Wir stellen aber fest, daß die Zwangsverteidiger nicht das Ziel bewaffneter Angriffe sein können. Sie sind unwichtig.«
Im April 1977 veröffentlichten Revolutionäre Zellen zwei Stellungnahmen zu der Erschießung des Generalbundesanwalts Buback durch ein Kommando der Roten Armee Fraktion.

Der Revolutionäre Zorn Nr. 3 vom Mai 77
- Gegen den Mythos vom bewaffneten Kampf - bezieht sich auf Auseinandersetzungen in der Linken um den bewaffneten Kampf, hier vor allem auf die oben zitierte Rede der Spontis auf dem Pfingstkongreß.
Die RZ bezeichnen die Position der Spontis als Zeichen einer »verinnerlichten Revolte« und setzten dieser Haltung ihre eigene Erfahrung von bewaffnetem Widerstand als Befreiung, als Kampf um Leben entgegen: »Man kämpft entweder gegen dieses System oder man wird vom System gelebt.«
Sie greifen die Stilisierung von Revolutionären zu Helden oder Übermenschen - auch durch die Linken - an. Die Nährung eines solchen Mythos habe zwangsläufig zur Folge, daß Widerstand für viele unmöglich erscheine.
Trotzdem konnte der Mythos, der mit dem Namen »Revolutionäre Zellen/ Rote Zora« verbunden war, nicht aufgehoben werden, wozu auch wesentlich die Anonymität der einzelnen Protagonisten der RZ beigetragen hatte. Im Gegensatz dazu wurde ihnen aus der Linken der Vorwurf gemacht, sich als Avantgarde zu begreifen bzw. zu verhalten, mit ihrer Theorie und Praxis quasi den pädagogischen Zeigefinger zu erheben und - entgegen ihrem Anspruch - nicht ausreichend mit der »Bewegung« verknüpft zu sein.
In dem Text »Wenn die Nacht am tiefsten, ist der Tag am nächsten« vom April 1992 greift eine Revolutionäre Zelle diese Ablehnung der Avantgarde-Position auf und stellt die Frage, ob »dies nicht in erster Linie die Weigerung, Verantwortung zu übernehmen« sei.
Der letzte Teil des Revolutionären Zorns 3 ist eine Antwort auf den mit RZ unterschriebenen »Offenen Brief an alle Genossen aus der RAF« vom Dezember 76: »ein offener Brief an alle Genossen, die noch bei Verstand sind«. Dort wird vehement die Praxis der RAF kritisiert und diese aufgefordert, sich der Kritik zu stellen.
Neun Jahre später druckte die taz am 13. Februar 1985 nach Beendigung eines Hungerstreiks der Gefangenen aus der Roten Armee Fraktion eine mit RZ unterschriebene Erklärung »Die Bilanz ist schlimm« ab, auf die »eine Gruppe aus dem Traditionsverein« mit der Erklärung »Es ist zum Kotzen« antwortete.
Dies sind Beispiele für das Verhältnis der RZ als »Gesamtverband« gegenüber anderen Guerilla-Gruppen. In diesen Erklärungen wird ausdrücklich eine öffentliche Kritik z.B. an der RAF abgelehnt. Politische Unterschiede könnten sich nicht in theoretischer Abgrenzung, sondern nur durch die Umsetzung einer anderen Praxis, in eigenem Handeln, ausdrücken.


Die Anmerkungen zu diesem Kapitel befinden sich im Buch auf Seite 702 ff.




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