Interview aus »Holger, der Kampf geht weiter«

Mai 1975

Frage:
In Österreich wird die Diskussion über das »Konzept Stadtguerilla« praktisch ausschließlich anhand von Publikationen aus der BRD geführt. Ich will mich in den folgenden Fragen hauptsächlich auf die Kritik beziehen, die linke Gruppen und Organe in der BRD an euch üben und nach den Beziehungen zwischen der legalen Linken und der Stadtguerilla bei euch fragen. Du solltest mal was dazu sagen, wie du zur Guerilla gekommen bist, was eure Gruppe macht und wie lange sie schon existiert, damit man weiß, wie überhaupt so etwas entsteht.

Antwort:
Ich gehöre zur Revolutionären Zelle, die vor ein paar Jahren entstanden ist, zu einem Zeitpunkt, als es die RAF [34] und die Bewegung 2. Juni [35] schon gab. Mit dem Wissen über diese beiden Gruppen - was wir also aus Presse usw. erfuhren - haben wir angefangen. Es waren halt ein paar Genossen, die es richtig fanden, auch die Frage des bewaffneten Kampfes hier und heute auf die Tagesordnung zu setzen, wobei wir auf Erfahrungen aus der politischen Massenarbeit aufbauen konnten. Na ja, was machen so ein paar Leute, die sagen, Propagierung und praktische Aufnahme des bewaffneten Kampfes ist richtig, die aber keine konkreten und praktischen Erfahrungen haben? Die sich sagen, so wie wir bisher die Massenarbeit gemacht haben, reicht es nicht, die sagen, das, was die RAF macht oder der 2. Juni, so wollen wir es auch nicht, die sich also immer nur negativ abgrenzen konnten? Wir waren nicht in der Lage, positiv und konkret was Neues zu benennen und die Genossen haben sich dann gesagt: »Probieren wir's mal!«. Die einzigen strategischen Überlegungen waren eigentlich die (und die waren dann doch ziemlich konkret), daß man an gesellschaftlichen Konflikten anknüpft.
Wo wir vorher Demos gemacht haben, teach-ins [36] organisiert haben usw., da schien es uns jetzt richtig und notwendig, über die Formen des Kampfes hinauszugehen, auch über die des Steineschmeißens, des Molli-Werfens und auch mit den Erfahrungen von Demos, von Agitation, von dem Frust immer wieder von den Bullen demoralisiert zu werden, wo man eins auf die Rübe gekriegt hat, wo Hausbesetzungen [37] nicht geklappt haben, wo nur ein paar Leute zu 'ner Demo gekommen sind usw. So ging es den anderen und mir eigentlich auch, auch für mich war die ganze subjektive Erfahrung, die man in der Massenarbeit gemacht hat, tragendes Element für die
Frage: Wie kann der Kampf eigentlich weiter aussehen, wie könnte eine neue revolutionäre Strategie aussehen ? Einschneidend war für mich der Vietnamkonflikt [38] gewesen. Er war ein neuer Anstoß - insbesondere damals die Verminung der Häfen durch die USA [39] - wobei ich eigentlich zweierlei Neues empfand: das erste war, daß ich an der Stelle begriff, daß unsere Kampfformen nicht ausreichen, um wirklich auch neue Positionen einnehmen zu können, so was wie Gegenmacht herzustellen. Das andere war, endlich Subjekt sein zu wollen in diesem Kampf. Das meint, daß ich viele Jahre gekämpft habe mit dem Gefühl, dem Bewußtsein, andere in den jeweiligen Bereichen, wo ich drin war, agitieren zu müssen und zu können und dabei das, was man eigentlich selber ist, das was man an sich selber befreien will, machen will, einsetzen will, daß das in der Phase, wo man ganz intensiv Massenarbeit betreibt, herausfällt. Das soll nicht heißen, daß wir nicht auch das weiterhin tun müssen, aber wir selbst müssen uns in diesem Kampf immer mit verändern und die ungeheure Gefahr vermeiden, die in der Massenarbeit steckt: nämlich sich selbst dabei herauszulassen.

Frage:
Also daß man sich selber als handelndes Subjekt begreift, wird ja von einer ganzen Anzahl linker Kritiker genau anders herum dargestellt und daraus massive Vorwürfe abgeleitet. Zum Beispiel werfen die Autoren entsprechender Aufsätze in Organen wie »links« [40] oder »Probleme des Klassenkampfes« [41] euch folgendes vor: »In einem typisch bürgerlichen Mißverständnis wird die proletarische Klassengewalt mit dem privaten Faustrecht einzelner Personen und kleiner Gruppen verwechselt und damit verhöhnt« und auch andere Linke argumentieren ähnlich. In einem Leserbrief an den »Langen Marsch« [42] heißt es z.B. die Stadtguerilla bastele sich zunächst eine richtige Linie aus Versatzstücken von Mao [43], Che [44], den Tupamaros [44]. Dann habe sich das Volk gefälligst befreien zu lassen und zwar durch die Guerilla, die beabsichtige, als Minorität auf putschistische Weise, also stellvertretend und für die Massen und selbst gegen deren Willen das System der Klassenherrschaft zu beseitigen.

Antwort:
Der erste Vorwurf ist mir eigentlich am unverständlichsten. Hier scheint die Linke eine schöne Verkehrung vorzunehmen. Man meint, aufgrund unserer Herkunft und unserer politischen Nachsozialisation, die wir von der Studentenrevolte bis zum heutigen Tage erfahren haben, sei der militante Kampf, also die Arbeit einer Stadtguerilla, nur in der Weise zu führen, daß man sich selber unter Druck setzt, sich und andere instrumentalisiert. Es paßt nicht in ihr Bild - weil sie selber so nicht sind - , daß gerade eine Guerilla nur erfolgreich sein kann, wenn die Genossen sich der permanenten Selbst- und gemeinsamen Überprüfung unterziehen, sich im Kampf permanent verändern. Das heißt nichts anderes, als sich selber einzubringen, ohne die Teilung, die die Linke immer noch vornimmt, hier Privatleben, da Politik und zwar auf allen Ebenen. Die andere Seite der Verkehrung liegt in der Politik selber begründet. Der Massenarbeiter [46] ist grundsätzlich in der Situation, jederzeit der Politik den Rücken kehren zu können, die Bereiche zu wechseln, wie es gerade paßt. Also er läßt sich selber Freiräume und Hintertüren offen, macht immer ein Stückchen Freizeitsozialismus. Er glaubt es zumindest, daß er die Möglichkeit hat. Und klar ist auch, daß viele Linke sich so verhalten. Die Zunahme der Repression durch die Staatsgewalt in den letzten drei Jahren in der Wirkung auf eine Masse von Linken bestätigt das. Die Genossen der Guerilla haben sich für eine Form der Politik entschieden, die das unmittelbar mit einschließt. Die Stadtguerilla-Genossen wissen von vornherein, daß die Repression sie unmittelbar trifft, daß die Existenz, die Wohnung, Beruf, Freund/in usw. im Eimer ist, wenn die Bullen sie kriegen. Also subjektiv doch eine ganz andere Entscheidung. Das heißt natürlich nicht, daß auch die Stadtguerilla ihre Politik immer wieder revidiert, nicht daß wir uns da mißverstehen: Es gibt ja Leute, die behaupten, die Stadtguerilla hätte sich so verrannt, daß sie nicht mehr zurückkönne. Man kann alles auch auf eine kurze Formel bringen: ein Guerillero hat sich dafür entschieden, seine Persönlichkeit, Gedanken, Gefühle und Handlungen deckungsgleich werden zu lassen, also daran zu arbeiten, identisch zu werden. Da können Linke ein »privates Faustrecht« draus machen, das ist lächerlich, weil sie nicht zugeben können oder wollen, daß sie sich momentan in einer Situation befinden, wo sie erkämpftes Gegenmilieu kaltlächelnd wieder aufgeben und den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Und dies noch politisch rechtfertigen! Wenn ich alleine an das Berufsverbot [47] denke! Meine Güte, sprich mit den Leuten und du wirst sehen, wie sie sich hinter dem Berufsverbot verstecken. Fragen, wie kann sich Gegenmacht entwickeln, stehen momentan kaum zur Debatte. Man kann sagen, daß die Linke sich z.Zt. in einer defensiven Phase befindet. Das ist dann einfach, sich einen Feind aufzubauen, nämlich die Stadtguerilla, die natürlich kaum einen historischen Hintergrund in der BRD hat, die sich in der Phase der praktischen Erarbeitung von revolutionärer Strategie befindet. Sie diffamieren uns mit ihrer eigenen zerstückelten Klassikertheorie, bis hin zu der Behauptung, daß die Stadtguerilla der Rechten in die Hände arbeitet und das angeblich selber auch wisse und vergessen dann ganz schnell, daß es die Aufgabe der radikalen Linken ist, Widersprüche auf die Spitze zu treiben, daß das ein Teil unserer Aufgabe ist: den Staat zu entlarven.
Also wenn man es genau betrachtet, werden die Zunahme der Repressionen, also Gesetze usw. und das Bemühen der Stadtguerilla, eine revolutionäre Strategie zu entwickeln, zur Rechtfertigung der eigenen falschen Politik oder besser des falschen Bewußtseins benutzt. Daß sich die Stadtguerilla eine Strategie aus Che, Mao, Marighella [48] zusammenbastelt, ist so bescheuert, daß man nur sagen kann, die Linken, die das sagen, sollen sich davor hüten, weiter Marx, Lenin zu zitieren. Klar, habe ich schon gesagt, die Theorie der Stadtguerilla gibt es in der Dritten Welt, aber nicht in Westeuropa, aber Vorsicht, sie ist im Kommen! Aber nicht, weil wir einen Dutschke [49] oder Rabehl [50] haben, der nichts weiter macht, als sich an den Schreibtisch zu setzen (hat sich sowieso gezeigt, daß nichts als Scheiße bei rauskommt), sondern weil wir als Stadtguerilla und zwar in allen westeuropäischen Ländern, wo es eine Stadtguerilla gibt, versuchen, unsere Theorie mit unserem politischen Hintergrund - also sowohl theoretisch wie praktisch - und dem, was wir tatsächlich machen, zu entwickeln. Ich glaube, das ist auch korrekt. So haben wir immer wieder die Möglichkeit, da, wo wir agieren und intervenieren, die Richtigkeit praktisch zu überprüfen. Und damit entkräftet sich auch der Putschismusvorwurf von allein. Wenn wir putschen wollten, sofern das ginge, setzten wir uns an den Schreibtisch wie Herr Negt [51], machten einen Plan und würden uns einen Scheißdreck um die Massen scheren. Das ist in sich schon so hinterfotzig, weil diese Typen davon ausgehen, daß die Massen das mit sich machen lassen. Die KPD scheint das tatsächlich zu glauben! Aber erstens wollen wir uns selber befreien, wollen wir dieses unmenschliche System bekämpfen und wollen eine solche Politik machen, wo die Guerilla zur Massenperspektive wird. Nicht die Massen sollen sich durch uns befreien lassen, sondern wir wollen uns befreien: wir gehören nämlich dazu! Zu Rudi Dutschkes Rede in Berlin kann ich nur sagen, er scheint irgendwie schon befreit zu sein. Wahrscheinlich ist er schon der neue Mensch? Sicher ein wunderbares Gefühl!

Frage:
Manche der Vorwürfe der Linken sind wohl direkt gegen die RAF gerichtet, zum Teil scheinen sie mir berechtigt. Daher sag mal was ausführlicher über die RAF, weil zum einen die RAF und das, was sie gemacht bzw. was sie nicht gemacht hat, sondern was man ihr nur unterstellt, weil das insgesamt praktisch gleichgesetzt wird mit Stadtguerilla überhaupt.

Antwort:
Entscheidend ist doch dabei, daß die RAF die erste Organisation war, die den bewaffneten Kampf aufgenommen hat und deswegen ist sie auch ein wesentliches Moment für unsere Politik und andere Gruppierungen. Im weitesten Sinne für die ganze Bewegung. Wenn man uns fragt, was unser Verhältnis zur RAF ist und wie wir die Politik der RAF einschätzen, dann müßte man vor allen Dingen erstmal vorab das Verhältnis zwischen der Linken und der RAF erörtern und das nicht nur, weil die unmittelbar was miteinander zu tun haben oder weil die Linke auf die RAF-Politik Einfluß genommen hat, sondern vor allem, weil wir und natürlich auch die RAF aus der Massenarbeit hervorgegangen sind. Deswegen ist es notwendig, mal ganz konkret zu untersuchen, wie die Linke sich zur Politik der RAF verhalten hat.

Frage:
Ja, mach das mal.

Antwort:
Alle linken Gruppen haben in den letzten Jahren mit einer Latte von Unterstellungen versucht, die Auseinandersetzung mit der Politik der RAF zu unterlaufen. Diese Geschichte ist ein Leidensweg für alle Linken gewesen. Am liebsten hätten sie sich nicht mit der RAF auseinandergesetzt, aber das ließen RAF und Presse und die Massen nicht zu. Es passierte zuviel, es stand zuviel in den Zeitungen, die Leute redeten zuviel darüber. Und die Linken hatten Angst und waren unentschlossen. Die K-Gruppen [52], das sind KPD - damals AO -, KBW und KPD/ML hatten es anfangs drauf, zum Teil die Bild-Zeitung von links zu überholen. Sie überschlugen sich und diffamierten: kleinbürgerliche Putschisten, Provokateure im Sold der herrschenden Klasse, faschistische Anschläge, das sind keine Genossen mehr. Die RAF stört offensichtlich die Aufbauphase dieser Miniparteien, die ausgezogen sind, beste kommunistische Tradition der 20er Jahre fortzusetzen. Ich muß allerdings hinzufügen, daß sich speziell bei der KPD/ML der Standpunkt etwas verändert hat, verbal, daß sie ungeheuer militante Artikel in ihrem Blatt schreiben, praktisch distanzieren sie sich aber auch heute von der Politik der Stadtguerilla. Der KBW ist der Linie der Verteufelung treu geblieben. Am taktischsten hat sich die KPD verhalten, die die RAF als Genossen wiederentdeckt hat, natürlich mit der falschen Linie und die, wie in allem, den Eindruck vermitteln will, als hätten sie dieses Problem fest im Griff - mit ihrer richtigen Linie. Naja, das wird sich zeigen.
Am ärgsten gebeutelt wurde die Sponti-Linke. [53] Die hatten nie die Sicherheit der ZK-Anweisung, der richtigen Linie. Sie bekamen auch mit, daß eine Menge Leute die RAF ganz dufte fanden und sie selbst fanden die RAF manchmal auch ganz gut. Und sie hatten Angst und waren moralisch und kannten Baader [54] von früher. Diese Mischung bekam der politischen Auseinandersetzung nicht gut. Sie hielten sich lange mit dem Vorwurf über Wasser, die RAF würde keine politischen Aktionen machen, sondern nur Logistik betreiben. Und Baader kennt man ja. Dann, als die Aktionen kamen und die Hetze der Presse und die Fahndung lief, kam die Angst und der erste Vorwurf war vergessen. Jetzt glaubten die Spontis, das alles richtet sich vor allem gegen sie selbst. Und die Aktionen würden nicht vermittelbar und zu groß sein. Als die Genossen verhaftet wurden, löste sich der Druck von den Spontis und sie konnten moralisch sein, als die Vernichtungshaft bekannt wurde. Aber diese Moral hält nicht lange. Als Holger ermordet wurde, große Empörung und Rache [55] für Holger, als einen Tag später Holger gerächt wurde, griff die Angst die Spontis wieder und sie fühlten ihre Kampagne von der Drenkmann [56]-Erschießung kaputtgemacht. Das ist alles grob und verkürzt, klar, aber ich glaube, wenn man auch die Nebenlinien dieser Geschichte noch genauer untersuchen müßte, die vor allem daher kamen, daß wir alle der bürgerlichen Presse immer wieder zuviel geglaubt haben, würde das hier zu umfangreich.

Frage:
Das sehe ich nicht ganz ein. Ich halte den Moralismus für einen wichtigen Teil jeder linken Politik.

Antwort:
Ich meine ja auch nicht, daß Moralismus grundsätzlich falsch wäre, sondern der Moralismus der Linken, d.h. also unserer Erziehung, die wir so mitbekommen haben, mit den gesamten Normen usw. hat eine wesentliche Rolle bei der Distanzierung gespielt. Das zeigen Beispiele wie die Ermordung des Genossen Georg von Rauch [57] und die Auseinandersetzung zwischen der Staatsgewalt und dem Genossen Grashof [58] bis zum heutigen Tage eigentlich auch die Verhaftungen, im Hungerstreik, in der gesamten Knastsituation, in der Frage der Verräter usw. Um es nochmal an dem Beispiel Georg von Rauch und Grashof klarzumachen: Ich meine, daß ein wesentliches Moment war, warum die Linke sich zu Georg von Rauch anders verhalten hat als zu der Verhaftung von Grashof, daß durch die gesamte Presse und durch das, was die Linke versucht hat zu recherchieren, erkennbar wurde, daß Georg von Rauch bei dem Schußwechsel mit den Bullen offensichtlich keine Knarre dabei hatte, der Grashof aber sehr wohl eine hatte und sich offensiv zur Wehr gesetzt und einen Bullen erschossen hat. Das, was danach gefolgt ist, war, daß zu Georg von Rauch ne Masse geschrieben worden ist in den verschiedenen Organen der Linken. Daß große Demos stattgefunden haben, also Solidarität mit Georg von Rauch, und die Bullen waren da die großen Schweine, und die Staatsgewalt hat sich wieder einen mordsmäßigen Übergriff geleistet. Bei dem Genossen Grashof, wo ja nahezu das Gleiche gelaufen ist, daß sie ihm aufgelauert haben und Grashof dann in der Situation, wo er kapiert hat, daß die Bullen auf ihm drauf sind, sich noch ernsthaft gewehrt hat, um aus der Situation rauszukommen. Da ist schon absolut nichts mehr gelaufen an Demos oder sonstigen Sachen. Und ich meine schon, daß das ein ganz entscheidendes Beispiel ist, woran sichtbar wird, daß nicht politische Kategorien maßgebend dafür gewesen sind, in welcher Weise man auf bestimmte Konflikte reagiert, also nach außen hin Propaganda macht, sondern daß hier die uns eingepflanzten humanitären Normen voll durchschlagen und sonst nichts. Das genau zeigt sich also eigentlich bis zum heutigen Tag, zeigt sich nicht nur an diesem genannten Beispiel, sondern hat sich auch an den Aktionen, die die RAF gemacht hat, gezeigt. Da, wo z.B. US-Schweine bei einer Aktion umgekommen sind, zeigt sich bei den ersten Verhaftungen von Genossen aus der RAF, zeigt sich bis hin eigentlich zu dem Hungerstreik, daß immer wieder die Linke sich mit ihrem gesamten Moralismus in die Waage wirft oder sich in ner ganz bestimmten Weise distanziert.

Frage:
Was sagst du aber zu der Kritik an der RAF von den Anarchisten [59] (Berlin), die sagen, die RAF sei völlig unemanzipiert, »terroristisch nach innen, gegen sich selbst und die eigenen Genossen und damit mehr auf die Erhaltung herrschender Verhaltensweisen bedacht, als auf deren notwendige Zerstörung«. Die Frage wäre also, ob du diese Einschätzung teilst, woher - wenn es stimmt - diese Struktur der RAF kommt und ob eine andere Verhaltensweise überhaupt in dem Zusammenhang, in dem die RAF existiert, denkbar gewesen wäre oder denkbar ist.

Antwort:
Also erstmal halte ich diese Kritik sowieso für ausgemachten Blödsinn, weil das für mich eigentlich gar keine andere Qualität hat, als die diffamatorischen Äußerungen, die ja auch fast alle anderen Linken gebracht haben, also immer wieder das gleiche: hierarchische Strukturen, daß sie sich gegenseitig in die Fresse gehauen haben, daß es Kader gegeben hat und Fußvolk, sehr starke Unterschiede zwischen den einzelnen Genossen und so weiter. Mir scheint es eher so zu sein - und deswegen halt ich's auch für ausgemachten Blödsinn - daß diese Genossen sich absolut nicht überlegen, daß es auch möglich sein könnte, unter den Bedingungen, unter denen die Genossen von der RAF existiert haben, Politik gemacht haben, nämlich also auch immer unter dem Druck, den Bullen in die Hände zu fallen, es sehr wohl möglich ist, sich trotzdem emanzipativ zu verhalten. D.h. also auch mit der Knarre in der Hand und also auch irgendwo damit, nichts mehr zu verlieren zu haben, und die bürgerliche Existenz für diese Genossen gleich Null war, daß das irgendwo gleichbedeutend ist damit, daß sie auch nach innen ein terroristisches Verhalten haben müßten; und das ist natürlich 'ne Sache, die so absolut nicht läuft, denn das hieße eigentlich, daß jede Guerilla notwendigerweise auf ne Selbstbefreiung oder so verzichten müßte. Außerdem kann die Innenstruktur einer Gruppe nur im Zusammenhang mit der Politik, die sie macht, gesehen werden. Kleine bewaffnete Gruppen sind ganz stark aufeinander angewiesen und können es sich nicht leisten, heute so und morgen mal wieder anders. Sie sind in ganz starkem Maß darauf angewiesen, sich zu emanzipieren und immer auch die eigene Befreiung im Auge zu haben und sich entsprechend zu verhalten. Fragen des Verdrängungsapparates z.B. und des Sich-Gehen-Lassen oder ausgeflippt sein oder so müssen in ganz anderer Weise bearbeitet werden. Jeder ist für jeden verantworlich.

Frage:
Damit hast du aber nur den allgemeinen Charakter der Innenstruktur einer Stadtguerilla beschrieben. Nach wie vor steht die Frage, ob derartige Tendenzen bei der RAF sichtbar waren und womit das zusammenhängt. Ich würde dir durchaus zugestehen, daß die Innenstruktur gar nicht losgelöst betrachtet werden kann von der eigentlichen Politik, aber dann mußt du dazu was sagen.

Antwort:
Du hast recht, ich habe den allgemeinen Charakter beschrieben, aber ich werde dazu auch gar nichts anderes sagen. Ich kann nur immer wieder wiederholen, man muß sich davor hüten, bürgerliche Presse und sonstiges Geschwätz und das Bild, das die Herrschenden von der RAF aufgebaut haben, ernsthaft zu glauben.
Ich will nochmal unsere Kritik an der RAF in folgenden Zusammenhang stellen, wo dann vielleicht das Verhältnis von Innenstruktur und Politik sichtbarer wird:
Das erste ist - und da schließen wir uns ganz klar mit ein - ohne die RAF wären wir nichts, d.h. gäbe es uns wahrscheinlich gar nicht. Damit meine ich einfach nur, daß sie historisch für uns eine ganz wichtige und notwendige Funktion hatte, daß sie initiiert hat, was es bisher nur in der Diskussion um die Dritte Welt gegeben hat, wo Emotionen da waren, wo man dafür war, aber dieses Dafürsein sich absolut nicht übertragen hat auf die bundesrepublikanische Situation und auch gar keine faktischen Auswirkungen gehabt hat. Für uns hat die RAF z.B. ganz konkrete und praktische Auswirkungen gehabt. Wir haben uns gefragt - und das fehlt eben wieder bei Kramer [60] genauso wie bei der Linken überhaupt - wie kann das, was sie ansetzt und anzeigt an neuer Politik, wie kann so was umgesetzt werden in revolutionäre Strategie. Das heißt, wie kann man ein Verhältnis herstellen zwischen dem, was es hier an Bewegung in der BRD gibt und dem, was wir meinen, was wichtig und notwendig ist zu tun - heute schon, ohne daß dafür schon eine ganz konkrete Grundlage gegeben ist. Die andere Seite ist unsere Kritik an der RAF. Da müssen wir uns auf die Praxis der RAF beziehen, d.h. auf ihre Aktionen, auf ihre Papiere und auf ihre Wirkung auf die politische Situation, auf die Leute hier.
Die Aktionen sind das einfachste: sie waren richtig. Wir haben daran nichts zu kritisieren, außer, was sie selbst schon kritisiert haben, nämlich, daß sie Springer [61] nicht als das Schwein eingeschätzt haben, das er ist, als er in Hamburg das Haus nicht räumen ließ, weil er Leichen und Verletzte wollte, um sie zu vermarkten. Die Kommuniques sind abstrakt und militärisch, d.h. dem tatsächlichen Stand des Kampfes und der Widersprüche damals unangemessen, z.T. etwas großmäulig, sicher in ihrer agitatorischen Wirkung gering. Bei den Papieren der RAF blicken wir selbst nicht richtig durch, obwohl wir eine ähnliche Praxis haben. Wir wissen nicht, warum sie die Lenin-Exegese geschrieben haben. Wir sind davon nicht überzeugt worden. Auch die anderen Papiere sind für die Linke geschrieben, allerdings so, daß die sie zu leicht kritisieren und abtun konnte.
Auch wir meinen, daß die Papiere oft den Alleinbesitz der richtigen Linie, der Wahrheit hinknallen, wo eigentlich Probleme und Widersprüche aufgezeigt werden müßten. Beispiel dafür ist die Avantgardeproblematik und der verkürzte Automatismus des zwangsläufigen Kampfes der unterdrücktesten Schichten des Volkes. Und wir müssen sagen, daß uns die Papiere in der Lösung unserer theoretischen und praktischen Fragen nicht viel weitergebracht haben. Das ist die Hauptseite der Kritik.
Die politische Wirkung der RAF kritisieren wir an dem Punkt, wo sie unserer Meinung nach nicht alles getan hat, um die Hetze der bürgerlichen Presse wenigstens zu neutralisieren. Mit mehr Phantasie hätte man sicher was ändern können, d.h. wir glauben, daß sie dem Problem des Meinungskampfes in den Massen für oder gegen die Guerilla zu wenig Aufmerksamkeit schenkten. Und damit machten sie es auch der Linken einfach sich so zu verhalten, wie sie sich verhalten hat.
Das sind die wichtigsten Punkte unserer Kritik. Wir sind vorsichtig, weil wir die konkreten Bedingungen der RAF nicht kennen. Wenn wir mal Zeit haben, schreibt sicher mal einer von uns mehr über das Problem, weil das logisch für unsere eigene Diskussion wichtig ist. Denn was die Linke bisher an Kritik an der RAF auf die papiernen Beine brachte, ist - bis auf ganz wenige Ausnahmen - ziemlicher Unsinn.

Frage:
Nun zu einem Argument, das von liberalen Kreisen und auch verschiedenen linken Fraktionen benutzt wird: »Auch der Klassenfeind ist ein Mensch und wie kann man einen menschlichen Kampf entfalten?« Die Frage, ob nicht die Kampfformen, die Kampfinhalte und die Kampfmethoden vom Kapital bestimmt sind und daß sie deswegen ebenfalls autoritär, machtorientiert, gewaltinfiziert, inhuman, terroristisch sind, ist ja wohl in dem Satz enthalten.
Damit im Zusammenhang steht dann auch immer die auftauchende Behauptung, die Massen lehnen eure Aktionen ab, überhaupt euren Kampf und durch diese Art der Kampfführung erreicht ihr mit Sicherheit eine immer größer werdende Isolierung von den Massen und ganz aktuell werdet ihr dafür verantwortlich gemacht, wenn Solidaritätsbewegungen nicht mehr laufen können, wie z.B. der Hungerstreik der RAF-Genossen. [62] Wo also die ganze Linke so gerade eben richtig breit ihre Solidaritätsbewegung entfalten wollte und dann die Stadtguerilla den von Drenkmann umgelegt hat. Und das ist nicht der erste Fall, es hat schon bei vergleichbaren Anlässen die Argumente gegeben: die Appelle an die Öffentlichkeit usw. sind nicht mehr möglich, gehen völlig unter angesichts der Terrortaten, die inzwischen von Linksradikalen ausgeübt wurden.

Antwort:
Zunächst zu der möglichen Verhinderung von Solidaritätsdemonstrationen durch unsere Praxis: Wer die Demos und Kampagnen verhindert, sind doch nicht wir, sondern das sind diejenigen, die das Argument gebrauchen; wenn es einen Anlaß gibt für eine Kampagne, z.B. wegen des Todes von Holger Meins und gegen die Haftbedingungen, ne Kampagne in der Öffentlichkeit, dann ist der Anlaß doch nicht dadurch weg, daß die Stadtguerilla Drenkmann erschießt. Die Linken, die sich hier hinter diesem Argument verstecken, wollen nicht mit uns in einen Topf geworfen werden - in Presse und »öffentlicher Meinung«. Sie haben auch zuvor keine Hungerstreikkampagne gemacht oder sie wünschen sich eine Kampagne aufbauend auf einem moralischen und humanitären Selbstverständnis, ohne daß ihnen was dabei passiert und ohne daß irgendwie zuviel Unruhe entsteht. Daneben gibt es natürlich noch Leute, die überhaupt den Klassenkampf ablehnen, also Reformisten aller Schattierungen, z.B. die Führer von DKP [63] oder Sozialistischem Büro 2000 [64]; in Bezug auf die hat eine Aktion wie die der Stadtguerilla im Fall von Drenkmann natürlich eine positive Funktion insofern, als daß eine Polarisierung innerhalb der Linken beschleunigt und schneller und klarer zu sehen ist, wer hat einen revolutionären Anspruch und wer ist schon längst auf dem reformistischen Dampfer abgefahren.
Zur Frage der Mittel, der »Gewaltmethoden«: Man kann da sagen, daß zum einen ja aus den Sachen, die ich vorhin gesagt habe, hervorgeht, daß Stadtguerilla ja nicht eine militärische Fetischisierung von Gewalt ist, eine Rote Armee, sondern daß Guerilla eine ganz umfassende Sache ist. Was die gewaltsamen Formen jedoch betrifft, so ist natürlich klar, daß wir ebenfalls Waffen verwenden, wie sie die andere Seite verwendet und mit Revolvern und Bomben und Erpressung und Entführung arbeiten müssen - aber wenn der Satz »von Chile lernen« irgendeinen Sinn haben soll, neben einigen anderen Sinnen natürlich, dann doch den, daß sämtliche Beispiele, die uns irgendwie zugänglich sind, gezeigt haben: Die Herrschenden in Ländern wie unserem oder in unterentwickelt gehaltenen Ländern lassen sich nicht durch gute Wünsche wegzaubern und nicht durch Verweigerungskampagnen und Streiks zum Verschwinden bringen und sind auch nicht durch den Aufbau einer Gegenkultur wegzuschaffen, durch Gegenmilieu. Soviel Narrenfreiheit zuzubilligen sind sie allemal bereit, solange nicht die Grundfesten ihres Systems erschüttert werden. Es zeigt sich jedoch, sobald irgendeine Widerstandsform anfängt, für sie gefährlich zu werden, daß sie dann - ganz egal, ob die Widerstand Leistenden bewaffnet sind, nicht bewaffnet sind, Kinder sind oder erwachsen oder sonst was - daß dann mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, einschließlich der brutalsten gewaltsamen Mittel dieser Widerstand gebrochen wird. Und wenn es mal durch Aufklärung der Volksmassen und einen weiter entwickelten Bewußtseinsstand über ihre Lage und deren Ursachen passiert und durch Wahlen, wie z.B. in Chile, dann wird auch alles versucht, die Umsetzung der Wünsche und Ideen und Programme der Leute und ihrer Parteien und Vertreter zu verhindern; und wenn das alles mit halbwegs friedlichen und diplomatischen und intrigenhaften Mitteln nicht möglich ist, dann wird ganz brutal zugeschlagen und es gibt die größten Massenabschlachtereien, die man sich vorstellen kann. Deswegen halten wir das Argument, ob der Terror auf die gewaltsam Widerstand Leistenden zurückfällt, für philosophisch angesichts der Wirklichkeit, der wir uns gegenübersehen, angesichts der grausamen Herrschaftsmethoden, über die Menschen verfügen, die die Macht haben, die angewandt werden und gegen die wir uns zur Wehr setzen müssen. Und die wir nur mit Gewalt endgültig beseitigen können, wobei »wir« natürlich wieder nicht Stadtguerilla-Grüppchen meint, sondern natürlich - wie gesagt - nur eine Guerilla praktiziert von Massen. Außerdem: Wie die Formen der Auseinandersetzung in zig Jahren aussehen werden, will ich nicht prophezeihen. Das kann völlig anders sein, als wir uns das heute vorstellen können. Aber das ändert nichts an der jetzigen Einschätzung und an den Konsequenzen, die wir notwendigerweise jetzt und immer wieder neu daraus ziehen müssen.
Also: Es gibt zwei Arten von Gewalt, es gibt zwei Arten von Toten. Die eine Seite der Gewalt ist die Gewalt der Herrschenden, zur Sicherung ihrer Herrschaft, zur Unterdrückung der Massen der Ausgebeuteten und Beleidigten, auf der anderen Seite gibt es den Widerstand kleiner Teile des Volkes, den Widerstand von Massen, den Widerstand auf verschiedenen Ebenen und in allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen mit allen nur denkbaren Mitteln. Genauso wenig also, wie man sagen kann, die Leiche von Drenckmann und die Leiche von Holger Meins sind beides Opfer sinnloser Gewaltanwendung oder sind in beiden Fällen Grund, sich zu solidarisieren oder gegen »die« Gewalt aufzutreten, genauso wenig kann man davon sprechen, daß die Übernahme der »gleichen« Mittel, nämlich Gewalt, Pistolen, Revolver, automatisch auch systemerhaltende Verhaltensweisen reproduziert. Inhuman wäre es, wenn man mit dem Wissen, jedoch unter Zuhilfenahme solcher Scheinargumente, auf die Aufnahme des Kampfes verzichten wollte oder die Aufnahme des Kampfes verschieben und abschieben wollte auf andere Leute.

Frage:
Es wird behauptet, daß durch die Stadtguerilla zaghafte Ansätze klassenbewußter Aktionen der Arbeiter sofort zertreten werden, so daß die Stadtguerilla praktisch dazu beiträgt, daß sich in diesem Land eine starke klassenbewußte Arbeiterbewegung gar nicht erst bilden kann.

Antwort:
Daß die Ansätze von Klassenbewußtsein im Proletariat und Klassenkämpfe selbst durch die Stadtguerilla zerstört werden, kann gar nicht stimmen. Daß die Gewerkschaften das machen, das stimmt wohl, also bitte nicht den Feind aus den Augen verlieren. Die SEW hat bei den Berliner Wahlen im Wahlausschuß, als es um die Zulassung der Parteien BFD, KPD und KBW ging, als einzige gegen KPD und KBW gestimmt und sich beim rechten Bund Freies Deutschland der Stimme enthalten. Ich mein ja nur ...
Also: Bisher hat unsere Praxis das nicht bestätigt, das einzige, was ich überhaupt akzeptieren würde, ist die Gefahr - aber das trifft die gesamte Linke - daß man bestimmte gesellschaftliche Konflikte falsch einschätzt und dann auch dementsprechend falsch interveniert. Das ist hundertmal, bei der Hochschulpoltik, Betriebsarbeit, Hausbesetzung, Straßenbahnkämpfen passiert. Eben weil wir falsche Einschätzungen hatten, haben wir immer wieder Niederlagen erlitten. Aber wir lernen noch! Und wir befinden uns in einem Prozeß permanenter Überprüfung. Deswegen bin ich eigentlich ganz hoffnungsfroh, wenn ich auch die Einschätzung des Genossen Mahler [65] nicht teilen kann, der zu meinen scheint, das Proletariat würde ihm die Mauer hinwegfegen, bevor er seine Zeit sowieso abgesessen hat. Und da wir als Revolutionäre Zelle nicht losgelöst von der Massenarbeit sind, das also mit Grundlage unserer Politik ist, sehe ich nicht, warum wir weniger Kontrollmöglichkeiten haben sollten, als die Sponti-Linke.

Frage:
Was sagst du zu folgenden Einwänden gegen das Konzept Stadtguerilla, Einwände, die man gerade bei linken Zeitungen, Gruppen sehr oft hört und die selbst von bürgerlichen Kommentatoren herangezogen werden, um einerseits zu rechtfertigen, daß es in Südamerika solche Bewegungen gibt und andererseits die Guerilla in Ländern wie dem unseren abzulehnen. Das geht dann so, daß man sagt: der Zeitpunkt, zu dem ihr den bewaffneten Kampf angefangen habt, sei verfrüht oder es heißt: bewaffneter Kampf gut und schön, aber in Chile, in Palästina, in Uruguay oder sogar in Spanien, in Italien, bloß nicht bei uns, denn hier fehle so was wie der soziale Hintergrund. In diesem Zusammenhang kannst du dich vielleicht auch beziehen auf dieses Modell von Revolutionen, wie es z.B. die KPD im Kopf hat, wo sich nämlich das Proletariat wie ein Mann erhebt, zu den Waffen greift und die Gefängnismauern des kapitalistischen Systems und wer weiß, was noch alles, hinwegfegt.

Antwort:
Ja, das ist verhältnismäßig einfach zu beantworten. Also, ich hab es ja schon ein paar Mal gesagt: Es hat in Deutschland keine starke Widerstandsbewegung, keine Resistance wie etwa in Frankreich gegeben, und das bedeutet für uns, daß wir auf einem solchen Hintergrund nicht aufbauen können. Nicht umsonst gibt es auch so große Schwierigkeiten, in den Betrieben weiterzukommen; aber die Leute, die behaupten, der Zeitpunkt für die Stadtguerilla wäre verfrüht, müßten dann konsequenterweise sagen, daß die Massenarbeit der Linken auch verfrüht ist. Denn auch dafür gibt es ja nun sehr wenig reale Grundlagen. Aber das ist natürlich albern, weil wir - und das habe ich auch schon gesagt - der Überzeugung sind, daß dieses System der »Herrschaft von Menschen über Menschen« bekämpft werden muß. Es gibt ja nun mal die objektive Tatsache, daß wir in einem kapitalistischen System leben, das uns unterdrückt, ausbeutet und kaputtmacht. Das Erkennen, das Empfinden und auch das Darunter-Leiden müssen ins Verhältnis gesetzt werden zu einer richtigen Strategie. Wir versuchen - um es etwas plump zu sagen - die gegenwärtige Situation zu analysieren und dann zu handeln. Wir meinen eben einfach, daß wir mit unserem Vermögen, mit der Möglichkeit, ständig Konfrontationen ausgesetzt zu sein, in der Lage sind, zu kämpfen und was wir noch meinen ist, daß so ein Zeitpunkt nie auf einen selber zukommt und auch nicht, wie die KPD meint, daß die Arbeiterklasse eines Tages wie ein Mann zum Gewehr greift. Das wäre so schön einfach, ich kann mir gut vorstellen, daß viele sich das wünschen, dann brauchten sie selber nicht für sich die Frage der Revolution zu entscheiden. Die Idee von Revolution ist kaum noch von Evolution zu unterscheiden, daß sich irgendwann einmal alles verändert, von selbst. Nun gut, das sind wir nicht. Wir meinen - und da spricht die Geschichte für uns - daß wir und alle, die schon ebenso bewußt unter diesem System leiden, also wo die objektive Situation zur subjektiven wird, eben in dem Moment anfangen müssen, für die Befreiung zu kämpfen. Daß für die Sponti-Linke der MIR oder die Roten Brigaden [66] eine größere Bedeutung hat als wir oder zum Teil als sie selber, hat etwas zu tun mit ihrem Verständnis von revolutionärer Bewegung. Chile ist ein Land, wo die objektiven Bedingungen so klar sind, (nur die Münchner Theoriewichser [67] meinen, die chilenischen Massen haben sich den Putsch selber zuzuschreiben, weil sie nicht genügend Kapitalstudium betrieben haben) daß es notwendig ist, den bewaffneten Kampf zu führen, um erfolgreich zu sein. In der BRD aber erscheint es nicht so. Ein Gutteil ist es der Kapitalismus selber, der mit seinen Mechanismen und Möglichkeiten, also der gesamten Ideologie, gegen die wir ja auch nicht ein für allemal gefeit sind, uns weismachen will, daß wir in einem demokratischen sozialen Rechtsstaat leben. Und der andere Teil ist der uns noch gelassene Raum, in dem wir agieren können. Ihn gibt es und es ist richtig, ihn voll und ganz auszuschöpfen, ihn politisch optimal zu erzwingen, ihn sich immer wieder zu nehmen. Aber wir müssen auch das nehmen, was uns dieser Staat sicher nicht freiwillig geben wird.

Frage:
Noch ein Zitat: Die Klassenherrschaft wird in »normalen« Zeiten durch das ökonomische Gewaltverhältnis aufrecht gehalten, nicht durch Bullen, durch Militär, durch Justiz. Es gibt bei uns keine unmittelbare Unterdrückung, wie es sie vor Jahrhunderten gegeben hat, sondern ein entpersönlichtes sachliches Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis.
Daraus leitet sich dann der Vorwurf ab, daß durch das Umnieten von Politikern oder höheren Justizbeamten, das in die Luft Sprengen von öffentlichen Gebäuden, überhaupt durch den Angriff auf Institutionen und Personen, kein Beitrag geleistet wird zu den Klassenkämpfen, sondern daß es sich bei den Institutionen um reparabele Sachschäden handelt und bei den Personen, daß sie jederzeit austauschbar sind.

Antwort:
Ich verstehe gar nicht, wie das entpersönlichte Herrschafts- und Knechtschaftsverhälntis als Begründung genommen werden kann dafür, daß Bomben und Erschießen von Personen falsch wäre. Aber zu dem letzten muß ich doch was sagen: mit welchen Mitteln und Möglichkeiten man interveniert, hängt ab vom gegenwärtigen Stand der Auseinandersetzung und der Einschätzung, die man davon hat. Natürlich sind Häuser, Autos usw. reparabel, aber mit der Ideologie ist es doch schwerer, die wieder zu reparieren. Natürlich sind Personen ersetzbar, aber die Unruhe ist so einfach nicht wieder aufzuheben. Besetzte Häuser werden auch wieder geräumt, Streiks hören auch wieder auf - ohne Erfolg oft genug - Straßenbahnaktionen [68] hören auch wieder auf - ohne Erfolg bis auf einige Ausnahmen - wer ein so blödes Argument bringt, sollte lieber im Bett liegen bleiben. Da braucht man dann nichts zu reparieren und die Herrschenden werden auch gar nicht böse auf sie. Wir wollen mit unserem Kampf, der alle Formen des Kampfes in der jeweiligen richtigen Situation umfaßt - von der Sabotage im Betrieb bis zur Enteignung und Entführung - diesen Staat an seinen empfindlichen Stellen treffen und ihn entlarven; wir wollen Machtpositionen erkämpfen und Erfolg haben: alle Angehörigen der herrschenden Klasse sollen in ihren Villen unsicher sein, sie haben lange genug ruhig geschlafen. Sie sollen gezwungen werden, wirklich alles und jedes Objekt mit ihrem Aufgebot von Bullen zu schützen. Wir wollen, daß die Stadtguerilla eine Massenperspektive wird und nicht eine Sache von ein paar Leuten. Alles andere wäre wirklich nur Selbstzweck.

Frage:
Du hast jetzt an einer ganzen Reihe von Einzelbeispielen zu Vorwürfen der linken oder der bürgerlichen Seite Stellung bezogen und zum Teil kann man auch erkennen, was für ein Verständnis mit Begriffen wie bewaffneter Kampf der Stadtguerilla verbunden ist. Vielleicht kannst du das ganz ausführlich auf eure Gruppe und auf eure Praxis bezogen im Zusammenhang darstellen.

Antwort:
Vorhin habe ich schon gekennzeichnet, daß es sich bei Stadtguerilla nicht um »Politik« handelt, wie sie nahezu alle anderen Gruppen machen. Stadtguerilla ist nicht: Termine besuchen, Papers schreiben, Einzelaktionen durchführen, theoretische Ak's einrichten, sondern Guerilla heißt, sich völlig identifizieren mit dieser Art Dasein, heißt völlige Deckungsgleichheit zwischen Leben und Politik. Das zeigt gleich, welcher Schwachsinn es ist, uns vorzuwerfen, wir würden die Auseinandersetzung auf eine militärische Ebene reduzieren, wir seien nicht emanzipativ, würden nicht versuchen, stückchenweise theoretische und praktische Erfahrungen und Einsichten in Notwendigkeiten in die Tat umzusetzen. Im Gegenteil: wir meinen, daß der umfassende Krieg gegen das System der Herrschaft von Menschen über Menschen gleichzeitig und gleichgewichtig auch den Kampf gegen das kapitalistische System in uns selbst einzuschließen hat. Das eine wäre nichts ohne das andere.
Eine waffenmäßig und militärtaktisch bestens ausgerüstete Stadtguerilla ist zum Scheitern verurteilt, wenn sie nicht diesen beschriebenen umfassenden Kampf aufgenommen hat. Spätestens durch die Spitzel des Bundeskriminalamtes werden sie geschafft. Genauso bringt eine Selbsterfahrungsgruppe, die sich versucht zu verstehen und kennenzulernen, den Kampf für die Befreiung nicht voran, sie bleibt stecken, sie schafft es vielleicht, einen Freiraum für ihre Insider aufzubauen, landet aber im ohnmächtigen, im hilflosen Ghetto, ohne den Herrschenden gefährlich zu werden. Wenn sie nicht integrierbar oder zumindest abkapselbar wäre, wäre ihr Freiraum schnell dahin. Wir versuchen beides - Verschärfung gesellschaftlicher Widersprüche vorantreiben, Guerillakrieg gegen das Herrschaftssystem zu beginnen, gleichzeitig Änderung von uns selbst - und schrittweise Befreiung von all den Mechanismen, die als die richtigen Normen dieser Gesellschaft uns eingepflanzt wurden; konkret heißt das z.B. Verhinderung der Herausbildung hierarchischer Strukturen: Gerade das ist bei illegaler Arbeit schwer, weil aus tausenderlei Gründen sich zum Beispiel Problemlösungen durch Arbeitsteilung immer wieder anbieten, was dann die fatalen Konsequenzen in der Herausbildung von Machern und Fußvolk haben kann. Durch unsere permanenten Bemühungen, uns alle allseitig auszubilden, unsere Diskussionen und Gespräche, durch die Bekämpfung der alten falschen Verhaltensweisen, durch die Vermeidung des Fehlers, wegen angeblich vordringlicher Aufgaben die Probleme zwischen uns, die Probleme in vielen Fragen des Kampfes, hinten an zu stellen, durch all das schaffen wir es tendenziell immer eher, gleichberechtigt, selbstbestimmt, absolut vertrauensvoll zusammenzuarbeiten und miteinander umzugehen. Dies ist auch bestimmend z.B. bei der Vorbereitung und Durchführung jeder einzelnen Handlung der Stadtguerilla-Zelle. Wir reden über unsere Angst, wir machen keine Aktion als Mutprobe oder auf Befehl eines Kommandierenden. Wir versuchen, die intellektuelle Arroganz zu analysieren, abzubauen. Jede Art von möglicher Instrumentalisierung anderer Menschen durch uns zu verhindern, sie als Individuen, als Subjekte zu begreifen und uns entsprechend zu verhalten. Ein erfolgreicher Kampf - hier ist mal gemeint, die möglichst hohe Wahrscheinlichkeit, nicht so bald verhaftet zu werden, nicht verraten zu werden - ist nur denkbar, wenn die Angehörigen eines autonomen Kerns in irgendeiner Stadt sich hundertprozentig kennen.
Wenn durch gemeinsame Praxis, durch Gespräche, durch eine Existenz, die kein Problem, von der Reproduktionsfrage bis zu Liebesbeziehungen einzelner zu anderen, als individuell zu lösendes begreift, wenn gesichert ist, daß man sich völlig offen zueinander verhalten kann, das verhindert schon mal Dutzende von Fehlern, die man sonst machen kann und verhindert die Einschleusung von Bullen viel eher. Das alles klingt natürlich besser, als es jeweils realisiert ist, das ist klar, aber das will auch niemand behaupten, daß wir das alles so lässig schaffen. Wir müssen dauernd aufpassen, daß wir nicht zurückfallen in die bequemen bürgerlichen Verhaltensmuster. Dieser ganze Beitrag sollte halt nur aufzeigen, wie sehr die entsprechenden Vorwürfe gegen uns Stadtguerilla daneben gehen, daß gerade die unterstellten Verhaltensweisen absolut fernliegen.

Frage:
Soviel ich weiß, ist von euch bis heute noch keiner im Knast gelandet. 1.Wie kommt das? 2.Was ist, wenn es euch doch mal passiert?

Antwort:
Klar ist der Knast eine Frage, die für uns sehr wichtig ist. Im vorigen habe ich schon geschildert, wie die Verräterfrage sich ganz anders stellt, als man es sich gemeinhin vorstellt. Genauso ist eine große Sicherheit - auch bei der Durchführung gefährlicher Aktionen - nur mit so einer Gruppenstruktur, so einem Verhältnis der Genossinnen und Genossen zueinander denkbar; trotzdem können einzelne von uns von den Bullen gefaßt werden. Die Angst vor dem Gefängnis ist natürlich da, doch sie ist überwindbar und tritt zurück durch das, was wir wollen. Da die völlige Identität von Leben und Kampf - weniger pathetisch kann ich es im Moment nicht sagen - da ist oder tendenziell verwirklicht wird, muß man sich völlig mit allem, was man hat und ist und kann, einsetzen. Nur dann ist jeder Kampf auch gleichzeitig sowas wie ein Schritt zur Selbstbefreiung. Naja und im Knast ist der Kampf nicht zu Ende, im Gegenteil, zahllose Einsitzende haben uns schon immer bewiesen, daß auch dort die Sache weitergeht, ob wir an Max Hölz [69] denken, an Sante Notarnicola [70] oder an die politischen Gefangenen heute in der BRD oder die Tupamaros. Der Hungerstreik der RAF-Gefangenen hat sein Ziel nicht erreicht, nämlich die Aufhebung all der Vernichtungsmaßnahmen, der Isolationsfolter. Er hat aber auch deutlich gemacht, daß du selbst isoliert im Knast solidarisch weiterkämpfen kannst mit dem letzten Mittel, was einem völlig Wehrlosen bleibt. Und er hat gezeigt, was vorher nicht bekannt war, daß dieser letzte Rest moralischer Substanz, der bei den Adressaten des Hungerstreiks vorhanden sein muß, wenn sie durch ihn zu den gewünschten Handlungen bewegt werden sollen, daß der bei den Regierenden in diesem Land nicht mehr da ist. Daher sind in Zukunft andere, neue, militante Kampfformen im Knast und von außen das notwendige Mittel. Diese Einsichten und Erfahrungen zu machen und zu vermitteln, zeigt vor allem die Ermordung des Genossen Holger; daß die Herrschenden so weit gehen würden, hier und heute, haben die meisten nicht erwartet. Noch eine solche Fehleinschätzung wird uns nicht passieren, einen solchen Mord wie an Holger werden wir nicht mehr zulassen und alles tun, um das Realität werden zu lassen, was Genose Marighella mal sinngemäß gesagt hat: »Für die Guerilla gibt es keine undurchdringlichen Gefängnismauern.«
Dieses Bewußtsein untereinander, daß der Knast nicht Endstation, totes Gleis ist, daß wir auch dann mit allen draußen Kämpfenden im Zusammenhang stehen und auch die Befreiung aus dem Knast für alle draußen eine vorrangige Aufgabe ist, dies alles läßt es zu, daß wir cool und überlegt an den Gedanken herangehen, was mache ich, wenn ich mal einfahre.

Frage:
Wie erklärst du dir eigentlich, daß die bürgerliche Presse bisher gegen euch so gut wie gar nicht hetzt und die Linke wiederum euch so gut wie gar nicht zur Kenntnis nimmt ?

Antwort:
Ach ja, das haben wir auch immer wieder bedauert. Wenn das anders wäre mit der Presse, hätte die Linke von uns bestimmt schon mehr Kenntnis genommen. Aber sei's drum, unsere gesamten Aktionsplanungen hatten und haben ein Prinzip gemeinsam: nämlich das der Sicherheit. Mit Sicherheit ist erstens gemeint, daß die Presse und die Herrschenden so wenig wie möglich die Möglichkeit erhalten, unsere Aktionen gegen uns zu wenden, d.h. die Aktionen müssen klar, durchsichtig und eindeutig sein: Widerstand gegen die Schweine. Zweitens die größtmögliche Sicherheit für die Genossen, die die Aktion ausführen und drittens, daß es bereits breite Kampagnen um diesen oder jenen Konflikt gegeben hat, d.h. von den Genossinnen und Genossen und Teilen des Volkes aufgegriffen ist. Das ist unsere Einschätzung, in welcher Situation wir uns befinden. Wir meinen - und das ist keine großartige programmatische Erklärung, sondern nur kurz skizziert - daß es richtig ist, revolutionäre Gelegenheiten wahrzunehmen. Voraussetzung ist: zu wissen, was revolutionäre Gelegenheiten sind, unsere Einschätzung davon, die sich herleitet aus Diskussionen mit Leuten, sind unsere eigenen Erfahrungen in der politischen Massenarbeit und die damit verbundene Untersuchung im jeweiligen Bereich. Voraussetzung, um revolutionäre Gelegenheiten wahrzunehmen ist auch, gewisse Kenntnisse zu besitzen, die sich auf den Umstand einer Aktion und die konkrete Ausführung beziehen. Weiterhin Material zu haben, Material ausprobiert zu haben, um es richtig einsetzen zu können. Und diese Voraussetzung stelle sich bitte niemand so einfach vor. 90 % unserer Arbeit sieht und hört man nicht. Das sind nicht Sachen, die sich schnell nach Feierabend machen lassen und niemand sollte auf die Idee kommen, das als kleines technisches Problem zu diffamieren, weil ja die Hauptseite der Politik die Massen sind, das Diskutieren ist, das Nachdenken. Jedes technische Problem, das Mittel, das man einsetzt, ist genauso wichtig und politisch wie ein Agitationsbeitrag auf einem Teach-in.
Es gibt aber auch einen Teil unserer Politik, den, soweit wir die Diskussion geführt haben, viele Genossen nicht verstehen und nicht akzeptieren und den auch die Massen nicht verstehen und der sie vorläufig auch nicht interessieren wird. Wir halten ihn dennoch für richtig. Dieser Teil des Kampfes bezieht sich auf den Internationalismus, wo es primär um die Solidarität mit den Genossen ausländischer Guerillabewegungen geht und die Solidarität mit den kämpfenden Völkern anderer Länder.
Jetzt zu der Frage, warum uns die Linke öffentlich kaum zur Kenntnis nimmt. Genau weiß ich das auch nicht, aber vielleicht sagt sie irgendwo mal selber was dazu. Eine wesentliche Rolle spielt sicherlich, daß wir bisher keine großartigen Pamphlete rausgegeben haben, lediglich Erklärungen zu unseren Aktionen (dies Interview ist ja auch nur ein unvollständiges Anreißen vieler Fragen und Probleme). Das andere ist, daß die bürgerliche Presse und das Fernsehen noch nie so richtig gegen uns gehetzt hat; sie haben auch Probleme gegen Bomben bei ITT etwas zu sagen (die Jusos [71] ja auch), wo sie selber »empörend finden«, was in Chile gelaufen ist.
Wir haben auch nicht die Publizität in den Medien von Verhaftungen oder Namensnennung im Zusammenhang mit der RZ. Und wenn sie gegen uns gehetzt haben, wie z.B. bei antiisraelischen Aktionen, dann so, daß sie die Revolutionäre Zelle als nicht existent erklärt haben. Wir sind wohl zu anonym für die Herrschenden, da ist die gezielte Hetze schwieriger. So schlecht ist das ja auch nicht. Aber offensichtlich ist es so, daß die Linke doch sehr stark - nicht natürlich, was ihre Kampagnen betrifft - von diesen bürgerlichen Organen abhängig ist. Das zeigt sich auch sehr häufig daran, daß die Interpretationen, die die bürgerliche Presse zu ausländischen Guerillaaktionen in der BRD bringt, fast wörtlich von der Linken übernommen werden und immer auch ein bißchen geglaubt wird, was die bürgerliche Presse schreibt, obwohl jeder Linke genau weiß, wissen müßte, wessen Instrument das ist. Da muß man allerdings einen Unterschied machen zwischen der Spontilinken und beispielsweise der ML. Die ML hat nie - wohl weil sie sich viel mehr mit dem antiimperialistischen Kampf auseinandergesetzt, Propaganda und Solidaritätskomitees gebildet hat, und seien die Bewegungen im Ausland auch viel schwächer, z.B. der MIR in Chile - Vorbehalte und Ängste gehabt, die es ihr verunmöglicht hätten, in ihren Organen über Interventionen durch die Guerilla zu berichten. Die Spontilinke hat sich fast immer ausschließlich auf starke Bewegungen gestützt. Also das, was der Linken eigentlich lieb sein müßte, daß unsere Aktionen so angelegt sind, daß nur ein Mindestmaß an Hetze möglich ist, wird absolut nicht registriert. Das geht so weit, daß auch die linken Organe unsere Erklärungen in der Regel nicht abgedruckt haben. Wir finden das beschissen und müssen uns von daher auch überlegen, daß wir den Fehler gemacht haben, auf diese linken Organe mit der Verbreitung der Propaganda, und damit auch Auseinandersetzung mit unseren Aktionen, gebaut zu haben. Das heißt, wir müssen in Zukunft auch verstärkt unsere Kraft auf die Verbreitung selber legen. An alle irgendwo in Verbreitungsapparaten sitzenden Genossen möchte ich hier appellieren, den Diskussionsprozeß, die Auseinandersetzung mit uns nicht durch Boykott und Unterdrückung abzuwürgen.
Noch ein Moment ist sicherlich, daß die Spontilinke bisher unsicher war, was für eine Politik wir machen und sie uns in ihr Schema -, sie Massenfreunde, wir Massenfeinde - reinpreßt, obwohl an unseren Aktionen das eigentlich sichtbar sein müßte, daß dieses Schema nicht paßt.

Frage:
Aus den Vorstellungen, die du bisher bei den einzelnen Antworten entwickelt hast, kommt ja schon sehr viel raus, was unterschiedliche Positionen zu anderen Guerillagruppen kennzeichnet. Vielleicht kannst du abschließend zusammenfassen, was euch von anderen Stadtguerilla-Gruppen in der BRD unterscheidet.

Antwort:
Also, wir haben nicht den Anspruch, eine Partei oder eine Rote Armee zu werden. Wir sind da ganz vorsichtig, wir sind keine Bewegung, sondern nur ein Teil davon. Was wir wollen, ist Gegenmacht in kleinen Kernen zu organisieren, die autonom in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen arbeiten, kämpfen, intervenieren, schützen, ein Teil von der politischen Massenarbeit sind. Und irgendwann mal, wenn wir ganz viele Kerne sind, ist die Stoßrichtung für die Stadtguerilla als Massenperspektive geschaffen. Das dauert, aber da haben wir uns auch auf einen langwierigen Kampf eingestellt. Wie das zu machen ist? Ja, erstmal nur so, wie wir es bisher gemacht haben, mit all den vorhandenen Widersprüchlichkeiten, momentan sind wir noch ganz stark bezogen auf die politische Massenarbeit, das kann und wird sich nur in der Weise ändern, wie die objektiven und ökonomischen Lebensbedingungen sich verschärfen, wo die Klassenwidersprüche sich zuspitzen, die Kämpfe zunehmen und natürlich, wie wir richtig liegen mit unserer Politik, d.h. wesentlich an diesen Kämpfen beteiligt zu sein, sie voranzutreiben.
Wir erheben nicht den Anspruch, eine vollständige revolutionäre Theorie und Strategie zu haben, wir haben Schwierigkeiten, natürlich, aber es gibt Teile dieser Strategie, die sich bereits praktisch als richtig erwiesen haben. Wir erheben aber den Anspruch, sowohl verbal als auch praktisch, daß die Linke sich mit uns auseinandersetzt, daß sie endlich mal anfängt, ihr Einflippen auf MIR und die Roten Brigaden in der Weise umzusetzen, daß sie sich fragt, wie hier bei uns - das ist nämlich viel wichtiger - der Kampf aussehen könnte. Und nicht nur in Schwärmen über die Klassenkämpfe in Italien ausbricht. Diesen Anspruch zu realisieren heißt, daß wir verpflichtet sind, immer wieder die Linke mit der Frage des bewaffneten Kampfes zu konfrontieren.




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