II. Anstelle eines Schlußwortes: Ein kurzer, aber keineswegs sentimentaler Rückblick

... daß meine jetzigen Ansichten und Fähigkeiten weniger wert wären ohne die Kenntnis meiner früheren ­ vorausgesetzt, da hat eine Besserung stattgefunden ...«
Bertolt Brecht
The times are changin'. Wie sollte es auch anders sein? Immerhin ist mittlerweile in Rechnung zu stellen, daß die über 40 Jahre lange ultrastabile West-BRD allerspätestens im Herbst '92 im Verlauf eines seitens der Bullen wirksam gegenüber Autonomen und Antifas abgeschirmten Pogroms gegen Flüchtlinge und Arbeitsmigranten in Rostock untergegangen ist. Dabei markiert das mit kalkulierter tätiger Unterlassung staatlicher Stellen von einem neofaschistisch aufgepeitschten Mob in Brand gesetzte Flüchtlingswohnheim von Rostock ein in jeder Hinsicht deprimierendes und grauenhaftes Abschlußverbrechen der alten West-BRD. Nicht nur damit wird auch die vom Verfasser in den Jahren '89/'90 gewählte Sichtweise, ein Hauptaugenmerk der Interpretation wesentlich auf eine Gegenidentifikation zu den vielschichtigen Folgen der 68er-Revolte zu legen, zunehmend gegenstandslos.
Noch in der ersten »Feuer und Flamme«-Fassung habe ich mir unter dem Stichwort der »Organisierung« einen ­ stark zum »Ganzen« tendierenden ­ großen Kopf um hochbrisante Fragen autonomer Vergesellschaftung gemacht: Dabei wurden ein paar Gedanken dazu beigesteuert, daß Herr und Frau Autonom sich nicht von der staatlichen Repression einschüchtern lassen sollten. Ich wünschte mir daß das Patriarchat männerbewegt durchbrochen werden kann, und gerade in krassen Zeiten war daran gedacht, daß Klassenanalysen für klasse Zeiten sorgen könnten. Selbstverständlich sollte der schwarz-graue Alltag in Bewegung gehalten und alle autonomen Mythen in schwarz-rote Abfalltüten gesteckt werden; die reale Situation im down-down-in-the-ghetto sollte nicht billig beklagt, sondern als realer Ausgangspunkt begriffen werden. Und das natürlich vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses der unterschiedlichen »autonomen« Lebensbedingungen sowohl in den städtischen Metropolen als auch in den ländlichen Provinzen. Zudem wurde die Frage aufgeworfen, wie mit Militanz der dummen Gewaltfrage begegnet werden kann, um für gewalt(ig)-freie Verhältnisse zu streiten. Hinzu kamen Überlegungen zu dem Verhältnis von autonomer Theorie und Praxis und zum Internationalismusbegriff.
Nun, nach wie vor kann ich mich an einem großen Teil der für diese Neubearbeitung herausgeworfenen Überlegungen erfreuen. Das diese Passagen mittlerweile ein wenig »veraltet« klingen, ist nach einem halben Jahrzehnt gar nicht zu vermeiden, sondern auch gut so. Die Praxis der lebendigen Bewegung schreitet vernünftigerweise über eine Reihe der von mir damals präsentierten Einsichten hinweg. Ach ja, und bevor ich's vergesse: Was die Sache mit »das Ganze sagen wollen« angeht, da habe ich zwischenzeitlich durch den Text eines etwas bekannteren Philosophen lernen können, daß das wirklich zum Unwahren und nirgendwohin sonst führt.
Etwas unbequemer ist dahingegen eine andere, zwischenzeitlich gewonnene Einsicht. Sie bezieht sich auf eine Reihe von getroffenen Aussagen, bei denen es sich um schlechte soziologistische Abstraktionen handelt. Und zwar deshalb, weil diese Überlegungen zum Teil vor dem Hintergrund eines kurzschlüssigen instrumentellen Ad-hoc-Praxis-Verständnisses gegenüber der damalig als »aktuell« erscheinenden Situation verfaßt wurden. Und das ist wiederherum darauf zurückzuführen, daß ich vor einem halben Jahrzehnt öfters in einem dusseligen Bemühen um die »richtige Linie« in den »wichtigen Themen«, auch wegen der viel zu starken Selbsteinschüchterung, ertrunken bin. Statt dessen wäre es besser gewesen, in einem viel größeren Maße meine eigene Fragen darin zu verhandeln und als im besten Sinne selbstbestimmte und zu verantwortende Positionen argumentativ zu vertreten.
In besonderer Weise wäre die von mir 1990 ­ natürlich mit den allerbesten Absichten ­ geteilte Dummheit über die Verhältnisse in einem Kapitel namens »Hoch die internationale Solidarität im eigenen Land« zu besichtigen gewesen. Selbstverständlich lassen sich bei ein paar diesbezüglichen Textsequenzen ­ mit sehr viel guten Willen ­ erste Ahnungen erkennen, die seitens der neuen Linken in die Kategorie des »Internationalismus« hineingepumpten Projektionen auf die Befreiungskämpfe der »Anderen« zu verlassen. Und doch ist es nur mehr als vernünftig, daß diese in einem Kraut-und-Rüben-Kauderwelsch vorgelegte Fassung eines »Inter-Nationalismus«-Begriffes aus der Epoche des Ost-West-Ordnungsregimes im Rahmen dieser Neubearbeitung nicht mehr auftaucht. Um keine Mißverständnisse entstehen zu lassen: Von einer bedingungslosen Solidarität mit allen von Diskriminierung und Rassismus bedrohten Menschen, die in diesen Breitengraden zum Teil das Pech haben, nicht Besitzer eines deutschen Personalausweises zu sein, ist nichts zurückzunehmen. Abgesehen davon, daß der Kampf gegen alle Formen von Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit) selbstverständlich ist, wäre er in manchen Bezügen in der Perspektive von weltweit egalitären Verhältnissen, in denen wir endlich frei von Furcht verschieden voneinander sein können, nur zur radikalisieren. Und daß darin, anstelle peinlicher und unsinniger Selbstbezichtigungen eine gründliche Selbstkritik immer eingeschlossen sein muß, bedarf eigentlich der großen Erwähnung nicht.
Der von mir zu verantwortende Entschluß für eine erheblich gekürzte neubearbeitete »Feuer und Flamme«-Fassung rechtfertigt sich nicht aus einem konservativen Bemühen, eine zwischenzeitlich da und dort als Gänsefüßchen-»Autonomen« zu erleidende gesellschaftliche Zwangsform retten zu wollen. Im Gegenteil: Wenn es stimmt, daß eine Form, bei den Autonomen aufzuhören, darin besteht, immer so weiter zu machen wie bisher, dann bedarf dieses politische Kollektiv mehr denn je einer ­ egal von wem ­ praktizierten radikalen Selbstkritik in der Perspektive seiner Aufhebung.
In diesem Sinne verfolge ich nach wie vor ein paar aktuelle Interessen in einem Zusammenhang, den ich nach wie vor außerordentlich »positiv« gestimmt mit: die Autonomen bezeichne ­ und das in einem inhaltlichen Sinne ganz selbstverständlich ohne auch nur den Hauch irgend eines Gänsefüßchens. Noch immer kann ich in diesem Zusammenhang neben Amüsement und Spaß vielfältige Anregungen, Hilfe und um Teil rabiat kritisches In-Frage-Stellen finden. So gibt es dann noch immer Grund, sich hier und da einmal ­ neben allen anderen Gleichgesinnten ­ zu Wort zu melden, um dann so gut wie möglich zu versuchen, das auszudrücken, was wir doch alle gemeinsam schon längst wissen (können). Und da und dort bemühe ich mich als ein einfacher Amateur bei den Volxsportlern um eine vom Schreibtisch etwas entferntere, durchaus auch politisch verstandene Lebenspraxis. Jedoch soll schon allein aus dem Grunde der Selbstkritik an dieser Stelle festgehalten werden, daß für diese Praxis in der Regel zuvor um eine Erlaubnis bei der zuständigen Polizeidienststelle nachgesucht worden ist. Wahr ist aber auch, daß die spannenden Dinge des autonomen Lebens zumeist als zum Teil nervenaufreibende Ausnahmen von den eher banalen Alltagsregeln stattfinden.
Vielleicht kann das Material dieses neubearbeiteten »Feuer und Flamme«-Textes über die Geschichte der West-BRD-Autonomen dem Ziel dienen, die auch in diesem Zusammenhang wirkenden Gespenster der Vergangenheit besser zum Teufel zu jagen. Und in diesem Zusammenhang gilt mehr denn je: Angesichts des allerorten in diesen autoritär-patriarchalen gesellschaftlichen Verhältnissen zu beobachtenden Zusammenbruchs des Politischen, wo aktuell eine willkürlich exekutierte barbarische Ellenbogenkultur des Ausschlusses dominiert, kann doch an notwendigen neuen Anfängen immer nur das Ende stehen; und zwar deshalb, weil doch sonst das Neue nur die beständige Wiederholung des kläglich gewordenen Alten wäre. Das hoffentlich verwesende Alte läßt sich wiederherum vortrefflich als Dünger für wieder neu zu formulierende Erwartungen, und manchmal sogar überschäumende Begierden, gegen die Trüb- und Mühsal der grauen Realität verwenden. Und das erscheint mir wiederherum schon jetzt ­ hier und heute! ­ eine auf das 21. Jahrhundert gerichtete, faszinierende Perspektive eines guten, glücklichen und von allen Formen der Ungerechtigkeit und Angst befreiten Lebens zu sein.