"angelegt"

"Das gilt nicht nur für das vergangene, sondern auch für die Gegenwart, denn diese Land produziert Schmerz mit derselben Gründlichkeit und Selbstverständlichkeit, mit der es Maschinen herstellt" (Heleno Sana, Die verklemmte Nation, S. 242)

Das Leben, wie wir es verstehen, wird heute in Deutschland faktisch in Frage gestellt. All das, was mit den Adjektiven "revolutionär", "aufständisch", "widerspenstig", "radikal", "emanzipatorisch", "marxistisch" usw. benannt wird, verkommt zu einer Makulatur (wenn es nicht schon immer so war). Die Zuspitzung der Verhältnisse macht all die Dinge zu ohnmächtigen Mitteln, ja, sie zensiert das Denken und bremst die Gefühle.
Ideologien aller Art erweisen sich als Ersatz für fehlenden Verstand oder als revolutionäre Esoterik, als brauchbare Mittel zu Durchsetzung von vielfältigen Interessen, die mit den o.g. vorgegaukelten Adjektiven nichts zu tun haben. Das Ganze ist zu einem großen Geschäft geworden, zu einer Kloake, deren sich jeder bedienen kann, je nach dem, welchen Mist er/sie gerade braucht.
Und alles, von völkischen Gemeinheiten bis zu rassistischen Attentaten, wird funktionalisiert, instrumentalisiert, analysiert, "Politik" damit gemacht. Selbst Auschwitz bleibt davon nicht ungeschont.
Auf der Strecke bleiben all diejenigen, die von den Mehrheitsangehörigen als "nicht-hierher-Gehörende" deklariert werden. Sie leben mittendrin in der für sie bedrohlichen Situation. Die Nachkommen der Nachkommen ("Dritte Generation", laut herrschendem soziologischem Befund und exakter Arithmetik genannt) richten auf den Straßen, auf den Bahnhöfen und den Parkanlagen der Großstädte ihre Leben zugrunde. Immerhin, sie haben ihre Überlebensstrategien am weitesten entwickelt.
Ja, wir sprechen von den "Ausländern", von den "Kanacken", von den "Fremden", die die Groß- und Kleinstädte dieses Landes bevölkern, wir sprechen von denen, die ganz genau wissen, daß sie im Vernichtungsvisier der Deutschen stehen. In den letzten Jahren hat sich ihr Überlebensinstinkt verschärft: Sie sind vorsichtiger geworden, wenn sie viele Deutsche auf einem Haufen sehen, schauen sie umsichtig herum, wenn sie allein unterwegs sind, vermeiden sie die Nähe zu besoffenen oder betroffenen Deutschen. Und wenn deren ausländerfreundliche Sorte sie umarmt, passen sie besonderes gut auf: Die Gefahr der Erstickung ist zu groß. Nach jedem verbalen oder tätlichen Angriff wird dieser Überlebensinstinkt ein Stück weiter verschärft. Und immer wieder, mit immer größeren Anstrengungen wird verdrängt, daß sie sich mitten im feindlichen Gebiet befinden, daß die Zeit und die Inländer Sturm gegen sie laufen; die "Normalos", weil sie fremd sind; die Alternativen, weil sie kein ökologisches Bewußstsein haben; die Feministinnen, weil sie Paschas oder "unterdrückte Kopftuchtragende" sind; die Restlinken, weil sie nicht politisch sind; die Autonomen, weil sie unerwünschte Automarken fahren und "spießige" Anzüge tragen (der Rassismus der Kreuzberger Szene z.B. ist inzwischen Gegenstand von soziologischen Untersuchungen, von Leuten die nicht auf der Gehaltsliste von CM stehen); die selbsternannten Intellektuellen, weil sie sich nicht an deren Identitätslogik halten.
Niemand will sie hier sehen. Sie stören. Sie werden in Ghettos gesteckt, zunächst mal in die der eigenen Einbildung. Wehren sie sich selbst nach diesen geistreichen Warnschüssen noch gegen diese Konstruktionsübermacht, schreien die identitätsfixierten Linkenund die anderen, die sie stigmatisieren, und in souverän definierte Schubladen stecken, empört von Identitätsschwachsinn.
Mit dem ganzen rassistischen Sumpf, wird Politik gemacht. Die Schröders verdanken ihre Erfolge einzig und allein der Existenz der "Fremden". Zwei, drei knackige rassistische Sprüche, die auf den Vernichtungsinstinkt der Deutschen abzielen, reichen aus, um satte Mehrheiten in diesem Land zu bekommen. Faschistoide Elemente - wie Kanthers-Klone, der niedersächsische Innenminister Glogowski - kassieren Stimmen und Wahlerfolge aus der Anzahl der abgeschobenen Flüchtlinge und der "Säuberung" der Innenstädte.
Die alltäglichen großen und kleinen Verbrechen der Germanen sind zum kulturellen Mob-iliar, zum notwendigen, ja zu ihrem existentiellen Bedürfnis geworden. Die Gesellschaft ist gemütlich eingerichtet.
So geht das Morden in aller Stille weiter. Und wir? Wir bilden uns ein, das leise Zischen der kleinen Flamme an der Zündschnur zu hören, die Millimeter für Millimeter zielgerichtet ihren Weg bahnt. Wir warten auf den großen Krach, der nicht kommt. Wir beharren trotzig weiterhin darauf, indem wir uns einreden, daß die Zündschnur zu lang sei, noch Zeit braucht usw.
Und das Morden, die Angriffe gehen weiter. Jeden Tag, überall im Land der unbegrenzten Häßlichkeiten.
Unsere Interventionen erweisen sich als hilfloser Schrei (immerhin ein Schrei) in dieser Stille. Im schlimmsten Fall werden sie instrumentalisiert, es wird damit geprahlt, sie werden als Kulisse für Pressekonferenzen mißbraucht (siehe Gollwitzer Kundgebung usw.).
Im besten Fall regen sich die Deutschen und ihre Linke auf, nehmen unsere Aktionen zum Anlaß, um ihre Normen darzustellen, um klar zu machen, wer hier was zu sagen hat und wer nicht.
Was ureigens bleibt, sind die eigenen Erfahrungen, die kleinen Erfolge, wenn es jemandem durch unsere Interventionen ein Stück besser geht, wenn Leute, die wir schätzen, mit einem heimlichen Lächeln unseren Aktionen zustimmen.
Es bleiben schließlich die eigenen Gedankengänge, die wertvollen Diskussionen und Auseinandersetzungen, wichtige Mittel, um unser jetziges und zukünftiges Verhalten zu bestimmen.

Manchen Linken passen unsere Unverschämtheit nicht mehr. Sie haben viel zu lange "Geduld" mit uns und unserem "Unsinn", unserer "Indifferenz", und unserem "antimaterialistischen Ansatz" usw. gehabt. Die Zeit ist reif für die Wiedererlangung der Hegemonie des Diskurses. Sie ist reif für die Rückführung der Diskussion auf "materialistische Grundlage" (weiß der Teufel, was das sein soll) oder auf "politische Basis" (siehe Geronimo, Glut und Asche).
Diskursive Gewaltverhältnisse werden reproduziert. Unter dem Mantel der "Wahrheitsfindung", der "richtigen Analyse", der Fragenstellung, was ist falsch und was ist richtig, mit Holzhammerphilosophien wird die Hegemonie der Diskussion wiedererlangt. Die, die sowieso nichts zu sagen haben, werden mit erhobenem Finger in ihre Schranken (oder Löcher) verwiesen, wenn sie sich doch trauen.

Das "Richtige", "die Wahrheit", "das Politische" scheint z. Zeit so etwas wie das letzte Aufgebot, ja der Volkssturm philosophischer Bemühungen zu sein.
Selbstverständlich aus dem eigenen, einzigen und abgesicherten Standpunkt.
Ergebnis der Rollback-Diskussion ist die Apologie und Verfestigung bestehender Verhältnisse und Rollenzuordnung, innerhalb derer nach wie vor ein stetiger Monolog jener Subjekte vorherrscht, deren angeblich beschädigte Kritikfähigkeit nun wiederhergestellt werden müsse.
Um nicht wieder mal mißverstanden zu werden: um Gottes Willen, keinE DeutscheR soll sich dadurch genötigt sehen, unsere Perspektive darzustellen (das wäre ja noch schrecklicher). Das können wir ganz gut allein.

Ein Beispiel einer solcher praktischer Umsetzung: auf einer Wehrmachtsausstellungsveranstaltung sprach ein sog. "reuiger Täter", ein SS-Mann.
Linke waren aufmarschiert, um sich schleunigst mit ihm zu identifizieren.
Eine Sintezza und eine Jüdin allerdings verließen den Saal, nachdem sie vergeblich versucht hatten, gegen den Versöhnungsterror zu intervenieren, und von den Linken niedergebügelt worden waren.
Die beschauliche Natur der obigen Kritik verschärft sich an diesem Beispiel konkreter "multirelationaler Totalität". Ein Deutscher, der seines "Standortes in der Gesellschaft", sprich seiner Partizipation am Massenmord aktiv bewußt ist, tritt in Kommunikation mit Leuten, die oppressed waren und werden. Das Ergebnis steht schwarz auf weiß: Arische Aufarbeitung, Versöhnung mit den drei V's (Volk, Vati und Vaterland).
Hannes Heer wünschte sich einen "Dialog der Generationen". Den hatte er auch bekommen.
Prägnanterweise stand dazu in einer Zeitung: "die Generationen, zwischen denen Heer sich Frieden wünscht, sind die der Tätergesellschaft. Die Opfer und ihre Nachkommen kommen in seiner "Friedens"perspektive nicht vor".
Heers Vortrag in Nürnberg endete mit den Worten: "Die Wahrheit über den Vernichtungskrieg und die Verbrechen der Wehrmacht ist zumutbar, sie kann uns (sic!) frei machen." Wahrheit macht UNS frei, der Satz muß erst mal auf der Zunge zergehen.
Als Gedankenexperiment sei hier nahegelegt, den Vortrag eines reuigen Vergewaltigers zu imaginieren, währenddessen die zwei einzigen Frauen den Saal verlassen müssen. Ohne hier Vergleichbarkeiten implizieren zu wollen, ist es doch so, daß das hier plötzlich verschwundene analytische Differenzierungsvermögen flugs wieder zum Vorschein käme.
Was zu diesem Versöhnungs- und Betroffenheitsterror zu sagen ist, hat Stokely Carmichael bereits hervorragend zusammengefaßt:
Go home, kill mother and father and shoot yourself.

Ein repräsentatives Beispiel der Umkehrung der Diskussion liefert die Zeitschrift "Bahamas" Nr. 25/1998.
Darin wird hastig der Versuch unternommen, die "fehlgeleitete Diskussion" in die "richtigen" Bahnen zu lenken. Gleichzeitig - und dafür sind wir dankbar - wird offen all das artikuliert was bisher bestritten wurde.
Einige Blüten (Alle Zitate aus genannter Nr.):

"Statt aus der Geschichte kapitalistischer Vergesellschaftung in Deutschland abgeleitet zu werden, werden die häßlichen praktischen und ideologischen Äußerungen der Deutschen kulturalistisch verarbeitet und entziehen sich so immer weiter der Kritik. Was bleibt, ist Mentalitätsgeschichte, die sich gefährlich der Völkerpsychologie nähert." (S.24)

"Mentalitätsgeschichte" darf bei Materialisten nicht sein, das Sein verstimmt bei ihnen das Bewußtsein. Das Bewußtsein der Deutschen soll ein Produkt ihrer Wirtschaft und nicht ihres Wirtshauses (Stammtisches) sein.
Die Deutschen sind also eigentlich nicht antisemitische Täter sondern Opfer: Opfer ihrer antisemitischen Ökonomie!
Es bleibt dabei: in Deutschland bestimmt das verbrecherische Bewußtsein das mörderische Sein ( für die Anderen).
Übrigens: der Hinweis auf die Völkerpsychologie soll heißen, daß all diejenigen, die den Bahamas-Imperativ nicht akzeptieren sich in der Nähe zu den Nazis sich befinden (wie es etwa weiter ersichtlich wird, handelt es sich um die Projektion der eigenen Psycho-Erklärung auf andere).

"Weil sie die Voraussetzungen des Antisemitismus nicht in der bürgerlichen Zivilisation selbst erblicken können, landen sie in der bürgerlichen Sackgasse. Die Auflösung frühbürgerlicher Zivilisation in panische Gemeinschaften von getriebenen Wertanhängseln läßt vom selbstbewußten Citoyen, den es in einer längst zurückliegenden Periode gegeben hat, nicht mehr übrig."(S.25)

Uns kommen fast die Tränen! Die arme getriebene panische Gemeinschaft von Wertanhängseln, die ihre geliebte frühbürgerliche Zivilisation aufgelöst sah. Sie werden getrieben, geraten in Panik. Und wer in Panik gerät, weiß ja bekanntlich nicht mehr was er/sie tut. Wohl aber ganz exakt, daß er/sie ein Wertanhängsel ist. Die Mitleidstour wird im nächsten Absatz noch deutlicher:

"Darin, daß, wer von Auschwitz spricht, zuvörderst von Deutschland wird sprechen müssen, waren und sind sich alle Antideutchsen einig. Doch obwohl Deutschland einen manchmal so angrinst, kann es nicht sein, daß dieser Staat, seine Bevölkerung, seine ökonomische Struktur, noch nicht einmal seine Geschichte aus der Welt gefallen ist. Antisemitismus ist in allen warenproduzierenden Gesellschaften angelegt (Hervorhebung von uns), weil sie das am Verwertungsprozeß Unbegreifliche verfolgungswahnsinnig rationalisieren müssen und auf die Konkretion des unverstandenen, bedrohlichen Prinzips drängen und stellvertretend totschlagen wollen." (S.26)

Die erkenntnistheoretischen Ansätze erreichen ihren intellektuellen Höhepunkt mit tiefsinnigen Gedanken wie "es kann nicht sein, daß dieser Staat, seine Bevölkerung, seine ökonomische Struktur, noch nicht einmal seine Geschichte aus der Welt gefallen ist".
Und weil die Deutschen, zwar irgendwie anderes aber doch letztenendes auch Menschen sind und sogar im gleichen Planeten wie der Rest der Welt wohnen, muß eine Rechtfertigung her: Sie vernichteten Juden und Andere, weil sie "das Unbegreifliche verfolgungswahnsinnig rationalisieren müssen". Warum "müssen", ist es so ins Menschsein "angelegt"? Psychisch bedingt? Im Ausgebeutetsein? Auf die Antwort wären wir sehr gespannt. "Sie drängen auf die Konkretion des unverstandenen, bedrohlichen Prinzips" (wie sollen sie es auch verstehen, damals gab es ja keine "Bahamas"), oder "sie wollen stellvertretend totschlagen". Stellvertretend für wen, wen wollen sie totschlagen? Weiß keiner die Antwort? Ist es ein Geheimnis? Wollen sie irgend jemand totschlagen, der gerade ihnen über den Weg läuft ?
Welch "unbegreiflicher" Zufall, daß sich das Unverstandene ausgerechnet im Nicht-Arier konkretisieren muß.
Die hier auf banal/ordinäre Weise stattfindende Psychologisierung der TäterInnen wäre nicht artikuliert, hätte sich der Autor auf seinen vorherigen Vorwurf (Völkerpsychologie) besonnen. Das hat man davon, wenn der eigene Text nicht auf logische Konsistenz überarbeitet wird. Keine Zeit dafür? Mußte unbedingt auf die Schnelle ausgekotzt werden?
Was andere platt aus den sozialen Verhältnissen erklären (Opfer, Frust, Sündenböcke suchen = Mord und Totschlag) bekommt hier selbstverständlich einen theoretischen Zuckerguß; "das Unbegreifliche", "sie blicken nicht durch", "sie verstehen nicht", "fühlen sich bedroht" usw.
Wir haben in den letzten Jahren zuhauf alle denkbaren und undenkbaren Rechtfertigungen des eliminatorischen Antisemitismus erfahren. Auch die hier vorgebrachten Argumente sind nichts Neues. Sie sind also nicht die ersten, aber zugegebenermaßen die besten.
Der Höhenflug der Abstraktion nimmt axiomatische Gestalt an: es wird zur Gesetzmäßigkeit, die für alle und alles gilt: "Antisemitismus ist in allen warenproduzierenden Geselschaften angelegt". Nur "angelegt"? (wie geht "angelegt"?), vielleicht doch "angelehnt"? Oder gar "eingelegt" zum späteren Gebrauch? Fragen über Fragen. In jeder warenproduzierenden Gesellschaft? Israel zum Beispiel als "warenproduzierende Gesellschaft" besteht aus lauter Masochisten, die ihre Selbstverfolgung reproduzieren (weil der Antisemitismus da drin angelegt ist). Und wir setzen uns hin und beschäftigen uns mit dem ganzen Quatsch! (Selbstkritik)

"Nur wer die Kritik der politischen Ökonomie als Kritik der Gesellschaft insgesamt betreibt und nicht als strukturalistischen oder historizistischen Ansatz, wer also die Totalität der Wertvergesellschaftung stets ihre historische und nationale Ausprägung abgewinnt (Kasusfehler, d. Redaktion) , kann von einem deutschen Sonderweg sprechen, ohne mit Blick nach Frankreich oder USA westliche Demokratie / Zivilisation als freundliche Alternative zum deutschen Wahn auffahren zu müssen. Von einem deutschen Sonderweg zu reden ist berechtigt, weil nur hier die allgemeine Tendenz der Wertvergesellschaftung, die Identität von Arbeit und Vernichtung, zur barbarischen Ausprägung kam." (S.26)

Hier werden - abgesehen von den Verallgemeinerungsversuchen (könnte überall passieren) und der Fortführung der Anti-Westbindung-Tradition - Disziplinarmaßnahmen ergriffen: wer von was "sprechen kann", unter welchen Bedingungen, wer nicht und wer doch "berechtigt zu reden ist", dem wird die Absolution erteilt, er wird selig!

"Statt ostentativen Bekennertums und gedankenschwerer-tiefschürfender Selbstkritik ist also eine materialistische Kritik des Antisemitismus gefragt. Dieselbe hat zwei Seiten: die konkrete Kritik an den nationalistischen Scheußlichkeiten deutscher Sozialisten und ihres Gangs zum Volk und eine Theorie des Antisemitismus selbst. ... Wer das unterläßt, wird weiterhin die Welt als eine Ansammlung vieler großer Übel begreifen müssen und sie je nach Präferenz eines derselben konkretistisch als sein Objekt küren. Unter diesen Voraussetzungen verkommt selbst der Verweis auf Deutschland als das schlimmste Übel zur müden Pose, die sich ein bißchen Kraft und Saft durch den Verweis auf Aktivitäten antideutscher Migranten borgt .... "(S.27)

Der Autor kann nicht aussprechen, was er in Deutschland verharmlosen will: Die Ermordung der europäischen Juden historisch und die Ermordung von MigrantInnen aktuell. Dies alles nennt er z.B. "das Unbegreifliche", "die häßlichen praktischen und ideologischen Äußerungen der Deutschen".

Die eigenen Gedanken werden auf andere projiziert und dann kritisiert (alter Trick).
Die These, die der Autor kritisiert, begreift die Welt gerade nicht als Ansammlung vieler großen Übel. Genau das Gegenteil: Es gab ein einmaliges Übel: Die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden. Nichts mit beliebigen Übeln dieser Welt. Nichts mit Präferenz für irgendeines dieser Übel. Das steht nur im Kopf und Wunschvorstellungen des Autors vielleicht. Es wurde stets das gesagt, was er so vehement, mit so vielen Klimmzügen revidieren will: Die Singularität der Vernichtung und infolge dessen die Singularität der Vernichter. Der Ansatz, überall wo die kapitalistischen Verhältnisse sich zuspitzen ein Holocaust entsteht, ist die linke Variante des Nolteschen Revisionismus.
Was Überwindung kostet, zu Ende zu lesen, ist diese Kälte der Sprache, die Anteilnahmslosigkeit beziehungsweise das Fehlen jeglicher Empathie mit den Ermordeten und Angegriffenen. Damals und Heute. Der einzige Bezug, den sie haben, ist der Versuch, aus Auschwitz "Kapital gegen das Kapital" auszuschlagen!
Und es ist der linke Versuch, all das, was in Ansätzen diskussionsfähig aussah, zu stoppen und umzudrehen.

Wir stören. Dan Diner stört, aber die Klassiker müssen von den selbstberufenen Aposteln gerettet werden. "Sein Schindler-Bewußstsein aber ignoriert jeglichen Formwechsel"(S.32) schimpfen sie gegen Dan Diner. Weil er sich getraut hat (schon vor Jahren) den Holocaust als Zivilisationsbruch zu benennen. Welch ein Verbrechen! Jetzt kommt die Abrechnung. Es wird sprachlich bagatellisiert, anstatt das Verbrechen bewertend beim Namen zu nennen. Die Verallgemeinerung, die Relativierung und die ironisierende Betrachtung der Angegriffenen schwingt wie eine Keule mit. "Die deutsche Judenvernichtung" (S.33). Bekanntlich gab es ja eine französische Judenvernichtung, eine holländische usw. und eben eine deutsche, "Deutschland grinst einen manchmal so an". Worüber so abfällig geredet wird bzw. lustige Sätze formuliert werden, worüber Humor und Spaß deutscher Abart ausgebreitet wird, ist die Verfolgung und Vernichtung von Menschen, weil die Deutsche damals entschieden haben, daß sie nicht leben dürfen, ist die Verfolgung und Ermordung von Menschen heute, weil die Deutsche entschieden haben, daß sie umgebracht gehören. Nicht mehr aber auch nicht ein einziges Millimeter weniger.
Karl Held ("Gegenstandpunkt") war offener, als er sich über die Ermordung von MigrantInnen äußerte: "was macht ihr euch verrückt wegen ein paar Zündeleien!" (Diskussionsveranstaltung im Konkret-Kongreß).
Gegen solches Verhalten können wir nicht mehr argumentieren. Wir erwarten nicht, daß dieser Beitrag irgend etwas an Meinungs- und Positions-Änderung bewirken wird. Die Abgebrühtheit ist viel zu viel festgesetzt, um daran was zu verändern. Wir erwarten allerdings, daß solche "Späßchen" keiner Veröffentlichung mehr "Standhalten". Sei es durch Reglementierung, Tabuisierung, Sanktionierung. Denn für irgendeine Aufklärung ist es viel zu spät.
Wir geben nur zu bedenken, welche Gefühle und Emotionen, ja Emotionen (so was immaterialistisches), solche abfällige Bemerkungen bei den Angegriffenen auslösen.
Fazit: wir stellen fest, daß manche der Autoren jahrelang ganz dicke Kröten schlucken müßten, viel zu viel erdulden müßten, um so auf einmal alles auszukotzen.


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