Offener Brief an den Ministerpräsidenten Stolpe

Berlin, den 11.10.1997

Herr Ministerpräsident,
in Anbetracht der Zuspitzung der Ereignisse in Gollwitz, in dem der Gemeinderat einstimmig abgelehnt hat, die dem Dorf zugewiesenen jüdischen MigrantInnen aus der ehemaligen SU aufzunehmen, in dem die GollwitzerInnen offen ihre Vernichtungsbereitschaft artikuliert haben "wollt ihr ein zweites Dolgenbrot".
In dem ohne Ausnahme, jedeR der ein Mikro vor den Mund bekam, den ganzen antisemitischenund rassistischen Haß ausplauderte, in dem die GollwitzerInnen aufs Verbarrikadieren sich einrichten wollen "wenn die kommen baue ich ein drei Meter hohen Zaun um mein Haus" und somit klarstellen, daß die jüdische
MigrantInnen in Feindesland mit all seine Folgen kommen, sind wir der Meinung, daß auch dann wenn die Verträglichkeitsgrenze der GollwitzerInnen (20 statt 60 Flüchtlinge aufzunehmen) gemäß Ihrer Direktive (jüngste Gemeinderatsbeschluß) eingehalten wird, das Leben und die Unversehrtheit der Flüchtlinge erst recht in akute Gefahr sich befindet (statt 405 zu 60 wäre 405 zu 20)!
Daher fordern wir sie auf, um gerade diese Gefährdung der Flüchtlinge zu minimieren, die GollwitzerInnen in einem anderen Ort zuzuweisen, damit sie Ihre Drohungen nicht wahrmachen können bzw. ihren Haß nicht artikulieren dürfen.

Wir wenden uns an Sie, nicht nur als politisch Verantwortlicher, sondern - gemäß ihrer öffentlichen Äußerungen - als Beschützer der Gollwitzer Volksgemeinschaft: sie können am ehesten dafür sorgen, daß die GollwitzerInnen in einen Ort umziehen, der ihrer Denk- und Lebensweise entspricht.
Eine andere Lösung zur Entschärfung der Situation sehen wir nicht. Vor allem sehen wir nicht mehr ein, daß jedesmal, wenn das deutsche Kollektiv den Aufstand erprobt (mit demo-kratischen oder molli-kratischen Mitteln) die Flüchtlinge wegziehen müssen. Wir sehen auch nicht ein, daß jüdische Flüchtlinge als Erziehungsmittel für ihre Wahlvolk herhalten müssen (wie sie sagen "wenn die Kinder erst einmal miteinander spielen, dann bricht das Eis").
Es bringt nichts. Nicht mehr!
Schließlich ist uns tausendmal lieber mit Flüchtlinge Feste zu feiern als gegen Pogrome zu demonstrieren.

MigrantInnen-Gruppen in der BRD
Cafè Morgenland (Frankfurt/M.), Dirna (Hamburg), Köxüz (Berlin),Sever Kerem (Freiburg), !sol lez ruw! (Nürberg/München)





Unmittelbar vor der Veröffentlichung dieses Briefes kam die Nachricht, daß nach der Intervention von Ignatz Bubis, die Flüchtlinge gar nicht erst nach Gollwitz, sondern in einer Großstadt untergebracht werden sollten (was angesichts der genannten Bedrohung besser für sie war). Auch wenn dies ein Sieg für die Gollwitzer bedeutet, sahen wir keinen Anlaß mehr auf unserer Forderung zur beharren und haben den Brief nicht veröffentlicht. Hier zur Dokumentation


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