Eine nichtgehaltene Rede in einer Nichtdemo in Gollwitz

(Warum die MigrantInnen keine Rede in Gollwitz halten konnten)

Jegliche Rede, die dem äußerst wahnwitzigen Schicksal ausgesetzt ist, heute an dieser Stelle und in dem gegebenen Kontext gehalten werden zu müssen, muß sich notwendig und an allererster Stelle einer selbstreferentiellen und schmerzhaften Sinnfrage stellen. Weil es nicht des geringsten geistigen Einsatzes bedarf, einzusehen, daß hier auch die simpelsten Initialfragen zu hochkomplexen, unlösbaren Problemen werden. Fragen wie "wer redet?", "wer wird angesprochen?", "worüber wird geredet?", "worin besteht der kommunikative Gehalt der Redesituation?" Eben auch diese elementaren Fragen, die sich oft implizit nebenbei, dennoch meistens trefflich beantworten lassen, verwandeln sich hier in Aporien ohnegleichen. Der mörderische Witz an Gollwitz ist, daß dieser kleine Fleck in diesem Deutschen Lande mit seiner für das Land der Deutschen keineswegs beachtungswürdigen Leistung in keiner Hinsicht einen besonderen Punkt markiert. Weder topographisch noch historisch. Im absoluten Gegenteil gehört Gollwitz, um erneut zu betonen, sowohl synchron als auch historisch zu einer spezifisch Deutschen Raumzeit, die bezüglich eben dieser Spezifität eine einmalige Homogenität aufweist, und somit jeglichen Versuch in Richtung einer sozio-politischen Binnendifferenzierung unaufhaltsam zu einem hilflos schlechten Witz degradiert. Also stehen wir an einem unauffälligen Ort des kollektiven und eben deshalb vehement zu meidenden Schwachsinns, der von sich aus mit keinen differentialen Merkmalen bestückt ist, und deswegen keine laute, sinnträchtig anmutende Rede verdient.
Zur illustrativen Paraphrasierung möge man sich das Deutsche Land mit seinen Deutschen Wäldern, seinen Deutschen Autobahnen und selbstverständlich mit seinen Deutschen Radwegen, und mit allen lebenden und leblosen Deutschen darauf als ein einfarbiges Feld, sei es beispielsweise weiß, vorstellen. Wir betonen, die Wahl der Farbe ist zufällig, wir wollen selbstverständlich nicht der Deutschen Bewegung für den Schutz der Farbenwürde in die Quere kommen.
Nun stehen wir auf diesem allseitig endlos in den Horizont fließenden weißen Feld, irgendwo auf einem Fleck, der witzigerweise Gollwitz heißt, und wollen eine Rede darüber halten, daß eben dieser Fleck weiß ist. Und dabei haben wir nicht einmal die Absicht witzig zu wirken. Es ist todernst. Jede zu einem solchen unsäglichen Schicksal verdammte Rede muß sich, wie demotivierend es auch sein möge, gestehen, daß sie nur als ein lautes Selbstgespräch eine legitime Existenz in Anspruch nehmen darf. Die Zustimmung dieser Aussage bedeutet gleichzeitig ihre Negierung: Selbstgespräche kann man überall führen; sie legitimieren sich einzig und allein durch den Selbstsprechenden und nicht durch den Ort wo er sich zufällig befindet (Klo oder Gollwitz). Es sei denn, auch sie (die Rede) hätte den atavistischen unwiderstehlichen Drang, an dem gnadenlos weißen Freudenknäuel, der das ganze Feld durchziehenden nekrophilen Geflüster teilzuhaben, indem sie darin untergeht. Wir stehen vor einem großen weiß/grauen Haus - "Herrenhaus" nach der ortsübliche Sprache genannt -, um den zum Scheitern verurteilten Versuch zu unternehmen, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Bausubstanz, seiner Architektur und seinem menschenleeren Zustand auf der einen Seite, sowie dem geplanten Einzug von Menschen in dieses Gebäude auf der anderen Seite herzustellen. Dies kann uns nicht gelingen. Es ist ein aussichtsloses Unterfangen.
Denn wir stellen fest, daß ein Zusammenhang nur möglich (und das nur indirekt) ist, wenn dieses Herrenhaus als Umweg, als Brücke, als Anlaß benutzt wird: indem die Gedanken und Vorstellungen, die die Gollwitzer über das Haus und seine zukünftige Einwohner machen mit den Gedanken und Vorstellungen, die die Menschen, die einziehen sollen, über das Haus und seine Nachbarn machen in Zusammenhang gebracht werden. Wenn es aber so ist, dann ist es egal welcher Anlaß für exakt die gleiche Rede genommen werden kann; denn solche Anlässe gibt es in dieses Land zuhauf. Auch dieser Versuch also, unsere Rede durch die Lokalität des Hauses zu legitimieren scheitert.
Der nächste Versuch zur Legitimierung, zur sinngebenden Grundlage der Rede, über die eigenartiger Geräusche (P-o-l-a-c-k-e-n-p-a-c-k-a-b-s-c-h-a-u-m-h-a-u-t-a-b-g-r-r-r-w-z-k-o-t-z...) und Erscheinungsbilder der Masse der AnwohnerInnen -die um uns herum steht und brüllt - scheitert ebenfalls: Die Rede hätte einen Sinn, wenn die Inhalte, die darüber transportiert werden und/oder der Tonfall mit dem diese Inhalte zum Ausdruck kommen, eine Wirkung erzeugen, solche die die Geräusche des Rudels abstellen lassen. So wie bei den dressierten Hunden, ein bestimmter Laut des Herrchens, z.B. "R-u-h-e" das Aufhören des Bellens bewirkt. Dies setzt allerdings voraus, daß eben solche Laute sowohl verstanden als auch respektiert werden. Dies hat aber bekanntlich weder mit der Struktur der Sätze (Syntax) noch mit dem Inhalt (Semantik) der Wörter bzw. Begriffe zu tun, sondern ausschließlich mit der Lautstärke und dem Tonfall. Eine inhaltsgetriebene Rede hätte ihr Ziel verfehlt.

Was bleibt ist das Eingeständnis, daß es in Gollwitz unmöglich ist, eine Rede zu halten.


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